May erklärt Brexit „Haben verstanden, dass es keine Rosinenpickerei gibt“

Mit ungewöhnlich versöhnlichen Worten hat Theresa May den Austritt Großbritanniens aus der EU offziell verkündet. Ein Abschied von Europa sei das nämlich nicht. Dennoch bahnen sich harte Verhandlungen an.

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Live im TV: Theresa May informiert das Unterhaus in London über den von langer Hand geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU. Quelle: AFP

London Am Mittwochmittag war es soweit: In Brüssel übergab der britische EU-Botschafter Tim Barrow ein sechsseitiges Dokument an EU-Ratspräsident Donald Tusk. „Dear President Tusk“, beginnt der Brief, in dem die britische Premierministerin Theresa May offiziell den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union ankündigt. Vergangenes Jahr habe die britische Bevölkerung für den Abschied von der Europäischen Gemeinschaft gestimmt – „deswegen schreibe ich nun heute, um diese demokratische Entscheidung des britischen Volkes umzusetzen“. Es sei kein Abschied von Europa, stellt die Politikerin klar: Ihr Ziel sei eine „tiefe und besondere Beziehung“ zu erhalten. Großbritannien wolle ein engagierter Partner und Alliierter für „die Freunde auf dem Kontinent bleiben“.

Ihre Worte sind ungewöhnlich versöhnlich – bei früheren Gelegenheiten hatte sich die britische Seite wesentlich angriffslustiger gezeigt. Vor allem bei einem Punkt, der als Knackpunkt in den bevorstehenden Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien gilt: Der Abschlussrechnung. Aus Sicht der EU muss London beim Abschied von der Gemeinschaft einen Scheck über 60 Milliarden Euro überreichen, unter anderem für den laufenden EU-Haushalt sowie Pensionsverpflichtungen für EU-Mitarbeiter.

Auf der Insel hat diese Zahl für Entrüstung gesorgt. Brexit-Minister David Davis stellte postwendend klar: „Ich denke nicht, dass eine solche Summe den Besitzer wechseln wird“, sein Kollege vom Handelsministerium, Liam Fox tat dies gleich als „völlig absurd“ ab. Premierministerin May hatte schon zuvor versprochen, dass ihr Land „keine enormen Summen“ mehr nach Brüssel überweisen würde. Von dieser Summe ist in dem offiziellen Schreiben keine Rede. „Wir werden unserer Verantwortung als Mitgliedstaat nachkommen, solange wir Mitglied der Europäischen Union bleiben“, heißt es lediglich mit Blick auf die Wirtschaft.

Bei einem Punkt, den May nun ansprach, zeichnet sich jedoch eine Diskussion ab: London will sowohl den Abschied, als auch die zukünftigen Beziehungen parallel verhandeln. Auf dem Kontinent steht man diesem Ansinnen skeptisch gegenüber.

Als einen der ersten Punkte will die britische Seite über die Rechte der Millionen EU-Bürger in Großbritannien und der Briten in der EU verhandeln. Mit Blick auf die Wirtschaft erklärte May, Großbritannien werde sich nicht darum bemühen, weiterhin Mitglied des Europäischen Binnenmarktes zu bleiben. „Wir haben verstanden und respektieren die Ansicht, dass die vier Freiheiten des Binnenmarktes nicht voneinander getrennt werden können und es keine Rosinenpickerei geben kann“ – auch wenn man sich bewusst sei, dass das wirtschaftliche Konsequenzen für die britischen Unternehmen haben werde.

Man müsse die Austrittsverhandlungen „konstruktiv und mit Respekt füreinander“ angehen, appellierte May in Richtung Brüssel – gerade in Zeiten, in denen das globale Wirtschaftswachstum nachlasse und protektionistische Tendenzen in der Welt zu erkennen seien, müsse Europa zusammen stehen. Auch dürfe man nicht vergessen, dass man gemeinsam gegen Terror und Kriminalität vorgehen müsse.

In einer ersten Reaktion auf den Brief äußerte EU-Ratspräsident Tusk sein Bedauern. „Es gibt keinen Grund so zu tun, als wäre dies ein glücklicher Tag“, sagte er. Aber es gebe auch einen positiven Aspekt: „Der Brexit hat uns stärker zusammengeschweißt als früher“.

Die Worte aus London und Brüssel werden auf beiden Seiten für Erleichterung sorgen. „Die ersten Wochen nachdem Artikel 50 der EU-Verträge ausgelöst wurden, sind entscheidend“, hatte ein hochrangiger britischer Diplomat hinter vorgehaltener Hand gesagt: Wenn sich die beiden Parteien da zerstreiten, könne sich das hochschaukeln und schwerwiegende Folgen haben – auf beiden Seiten des Kanals.

Auch Ifo-Präsident Clemens Fuest warnte vor Streit. „Es liegt im Interesse aller Beteiligten, einen Scheidungskrieg zu vermeiden und auch künftig eng zu kooperieren“, meinte er. Eine schmutzige Scheidung will May ebenfalls vermeiden. „Häufig haben Eheleute nach der Scheidung keine gute Beziehung mehr“, hatte die Pfarrerstochter vor wenigen Tagen Brexit-Skeptiker im britischen Parlament zu überzeugen versucht. Sie wolle „keine Scheidung, sondern eine neue Beziehung zur EU aufbauen“.

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