Medien in der Türkei „Deutschland ist ein Feind“

Merkel mit Hitler-Bart, die Bundesrepublik als Feindesland: Wieder gibt es Streit mit der Türkei, nun um das Verbot der Erdogan-Liveschalte nach Köln. Für Ankara ein Affront – die Erdogan-Gegner würden besser behandelt.

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Schlagzeile: „Heil Merkel“. In der Auseinandersetzung über die Demonstration der Erdogan-Unterstützer in Köln greifen türkische Medien tief in die Nazikiste. Quelle: dpa

Istanbul Türkische Zeitungen holen bei Konflikten mit Deutschland gerne die Nazi-Keule heraus, und am Tag nach der Demonstration von Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Köln ist es wieder so weit. Dass der Staatschef nicht per Videoleinwand zu seinen Fans geschaltet werden durfte, dient der Zeitung „Aksam“ als Beleg für „Erdogan-Angst in Deutschland“. Die in Versalien gehaltene Überschrift lautet „Heil Merkel!“ Daneben durfte sich ein Redakteur an der Bildbearbeitungs-Software versuchen – die Kanzlerin trägt Hitlerbart und reckt den rechten Arm zum Nazi-Gruß.

„Aksam“ gehört zur wachsenden Zahl der türkischen Zeitungen, die nichts schreiben würden, was der Regierungspartei AKP nicht genehm wäre. In diesen erlauchten Kreis gehört auch „Yeni Akit“, deren Schlagzeile am Montag lautet: „Deutschland ist kein Freund, sondern ein Feind“. Vor diesem Hintergrund lesen sich die regierungsamtlichen Beschreibungen der bilateralen Beziehungen fast wie eine Farce.

So nennt das Außenministerium in Ankara Deutschland immer noch „einen unserer wichtigsten Verbündeten“. Auch das Auswärtige Amt ist bewandert in der Kunst der diplomatischen Verklärung. „Deutschland genießt in der Türkei ein traditionell hohes Ansehen“, beteuert das Ministerium auf seiner Internetseite. Es gebe „eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit auch in kontroversen Fragen“.

Richtig daran ist, dass es kontroverse Fragen gibt, wobei selbst das nach Untertreibung klingt. Im Streit über die EU-Visumfreiheit und den Flüchtlingspakt hat Außenminister Mevlüt Cavusoglu Brüssel gerade erst ein Ultimatum gestellt. Dass er sich dabei mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eines deutschen Mediums bediente, dürfte kaum ein Zufall gewesen sein: Kanzlerin Angela Merkel ist die Architektin des Paktes vom März, gemeinsam mit dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, der später von Erdogan geschasst wurde.

Die Völkermord-Resolution des Bundestags zu den Armeniern am 2. Juni schien bislang den Tiefpunkt in den Beziehungen zu markieren, auch damals hielten sich türkische Zeitungen mit Nazi-Vergleichen nicht zurück. Seit der Resolution verweigert die Regierung dem deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, jedweden Termin. Erdmann ist derzeit im Urlaub, sonst hätte er am Montag doch wieder ein Gespräch im Außenministerium gehabt. Das Ministerium bestellte im Streit über das Erdogan-Verbot bei der Demonstration in Köln den Gesandten der Botschaft ein, Robert Dölger, der den Botschafter vertritt.

Der Streit über die Demonstration zeigt, wie tief das Misstrauen zwischen Deutschland und der Türkei inzwischen ist. Aus Sicht Ankaras wollten Deutsch-Türken in Köln gegen den Putschversuch vom 15. Juli demonstrieren – und damit für die Demokratie. Deutsche Behörden befürchteten, in der aufgeheizten Stimmung könnte es zur Gewalt kommen. Dazu gab es allerdings weder Aufrufe oder Präzedenzfälle – Erdogan sprach schon mehrfach vor Anhängern in Deutschland –, noch bewahrheiteten sich die Befürchtungen am Ende.


Der befremdliche Personenkult

Möglicherweise lagen die Befürchtungen in Deutschland auch an einer Fehlinterpretation der Lage in der Türkei. Dort geht die Regierung zwar mit großer Härte gegen Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vor, den Erdogan für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich macht. Doch bei allen berechtigten Sorgen um die Menschenrechte in der Türkei im Ausnahmezustand: Wiederkehrende Vergleiche aus Deutschland mit der Lage in Nordkorea oder mit dem Nazi-Reich zielen an der Realität vorbei.

Zwar versammeln sich immer noch allabendlich Tausende Anhänger Erdogans zu sogenannten Demokratie-Wachen auf dem Istanbuler Taksim-Platz. Dabei handelt es sich aber nicht um marodierende Horden, die in SA-Manier zur Jagd auf Andersdenkende blasen. Die langen Schlangen am Stand, wo umsonst Hot Dogs verteilt werden, deuten auf die wahre Motivation vieler Anwesenden hin. Hilfreich zur Mobilisierung ist auch, dass öffentliche Verkehrsmittel in Istanbul seit dem Putsch soviel kosten wie die Hot Dogs, nämlich nichts.

Der auf dem Taksim-Platz zur Schau getragene Personenkult wirkt auf westliche Beobachter befremdlich, ist in der Türkei aber längst nicht nur Erdogan-Anhängern vorbehalten: Freunde der alten Ordnung beispielsweise verehren Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk wie einen Heiligen, Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK ihren inhaftierten Anführer Abdullah Öcalan.

Vor der Demonstration in Köln macht eine Aussage von Polizeipräsident Jürgen Mathies deutlich, wie es um die Beziehungen Deutschlands und der Türkei steht. Mathies verkündet, dass es ihm gelungen sei, eine Teilnahme von Außenminister Mevlüt Cavusoglu zu verhindern – immerhin der höchste Diplomat eines offiziell befreundeten Nato-Partners und EU-Beitrittskandidaten. „Ich habe darauf hingearbeitet, dass der Außenminister nicht kommt“, sagt der Polizeichef.

Der Streit ist eine neue Belastung im jetzt schon denkbar schlechten Verhältnis zwischen Berlin und Ankara. Nicht zuletzt deshalb, weil deutsche Behörden mit Demonstrationen von PKK-Sympathisanten nicht so kritisch umspringen, worauf beispielsweise Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin verweist.

Anders als Erdogans demokratisch gewählte AKP steht die PKK in Deutschland auf der Liste terroristischer Organisationen. Das änderte nichts daran, dass sich vor knapp fünf Jahren ebenfalls in Köln Zehntausende Menschen zu einem kurdischen Kulturfestival versammeln konnten, eine angesichts der vielen PKK-Flaggen kaum verschleierte Sympathiekundgebung für die Organisation. Sprechen konnte auf der Veranstaltung PKK-Kommandeur Murat Karayilan. Was Erdogan nun versagt wurde, war damals möglich: Karayilan wurde live aus dem Ausland zugeschaltet – auf eine Videoleinwand.

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