Medien in der Türkei Erdogans Propaganda-Klavier

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat die meisten Medien auf seiner Seite. Das zeigt sich auch im Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum. Ein Oppositionsabgeordneter sieht Parallelen zur Nazi-Ära.

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Die wenigsten Medien können noch frei berichten. Die staatlich gesteuerten Medien hetzen gegen abweichende Meinungen. Quelle: AFP

Istanbul Evet oder Hayir, Ja oder Nein – darum geht es beim Verfassungsreferendum in der Türkei am Sonntag: Die Wähler entscheiden über die Einführung eines Präsidialsystems, das Staatschef Recep Tayyip Erdogan eine nahezu unumschränkte Machtfülle geben würde. Die Gegner der Verfassungsänderung haben keinen leichten Stand. Das „Evet“ ist allgegenwärtig, auf den Plakaten im Straßenbild ebenso wie in den Medien.

Die „Hayir“ -Kampagne kommt in den Zeitungen und im Fernsehen dagegen kaum zu Wort. Denn Erdogan hat die meisten Medien gleichgeschaltet. Rund 150 Zeitungen, TV-Sender und Verlage ließ der Staatschef nach dem Putschversuch vom Juli 2016 schließen, fast 150 regierungskritische Journalisten sitzen hinter Gittern, mehr als in irgendeinem anderen Land. Menschenrechtsorganisationen sprechen von der Türkei als „dem weltweit größten Gefängnis für Journalisten“.

Can Dündar hat Glück gehabt. Er gehört nicht zu den Insassen. Der frühere Chefredakteur der oppositionsnahen Zeitung „Cumhuriyet“ setzte sich Anfang Juli 2016 nach Deutschland ab, nachdem das türkische Verfassungsgericht seine Untersuchungshaft aufgehoben hatte. Sollte Dündar erwogen haben, aus dem deutschen Exil in die Türkei zurückzukehren, denkt er darüber wohl inzwischen nicht mehr nach.

Denn in seiner Heimat erwarten ihn bis zu 15 Jahre Haft – so die jetzt vorgelegte Anklage der Istanbuler Staatsanwaltschaft gegen Dündar und weitere 18 „Cumhuriyet“-Redakteure und Verlagsmanager. Ihnen wird unter anderem „Unterstützung einer Terrororganisation“ vorgeworfen. Gemeint ist die Bewegung des Exil-Predigers Fethullah Gülen. Staatschef Erdogan sieht seinen einstigen Verbündeten und heutigen Erzfeind als Drahtzieher des Putschversuchs vom 15. Juli 2016.

Can Dündar hatte Erdogans Zorn auf sich gezogen, als er im Jahr 2015 Dokumente veröffentlichte, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an islamistische Milizen in Syrien zu belegen schienen. Auf persönliche Initiative Erdogans wurde Dündar wegen Spionage und Terrorismus angeklagt. Der Journalist müsse „einen hohen Preis bezahlen“, forderte Erdogan.

Während sich die 27. Strafkammer in Istanbul auf den Prozess gegen Dündar und die anderen „Cumhuriyet“-Journalisten vorbereitet, läuft bereits das nächste Verfahren an. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haftstrafen für 30 frühere Mitarbeiter der Zaman-Mediengruppe. Der Konzern, zu dem die einst auflagenstärkste türkische Tageszeitung „Zaman“ gehörte, wird dem Gülen-Netzwerk zugerechnet.

Die 1986 von Gülen-nahen Geschäftsleuten gegründete Zeitung war nach dem Wahlsieg von Erdogans AKP Ende 2002 zunächst stramm auf Regierungslinie – damals waren Erdogan und Gülen noch Verbündete. Manche sprachen von dem Blatt als der „türkischen Prawda“. Als es 2012 zu ersten Spannungen und im Jahr darauf zum offenen Bruch zwischen den beiden Männern kam, schwenkte „Zaman“ auf einen regierungskritischen Kurs um. Im Dezember 2014 gab es eine erste Razzia bei „Zaman“, im Mai 2016 kam das Medienhaus unter staatliche Zwangsverwaltung, die Zeitung wurde eingestellt.

Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 erhöhte Erdogan den Druck auf regierungskritische Medien massiv. Nach einer Aufstellung des Internetportals „Turkey Purge“, das Erdogans „Säuberungen“ dokumentiert, ließ der Staatschef per Dekret 149 Zeitungen, Sender und Verlage schließen. 231 Journalisten wurden seit dem 15. Juli festgenommen. Davon sitzen nach Angaben der Plattform für unabhängigen Journalismus (P24) 141 in Untersuchungs- oder Strafhaft.

Unter ihnen ist auch ein ausländischer Reporter: Ende Februar verhängte ein Istanbuler Gericht Untersuchungshaft für den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel. Noch hat der Prozess gegen Yücel gar nicht begonnen, aber das Urteil ist bereits gesprochen, von höchster Stelle: Erdogan bezeichnet Yücel in öffentlichen Reden mal als „Spion“, mal als „Terrorist“.


„Ihr kämpft umsonst. Eure Macht reicht nicht“

„Die Regierung betrachtet unabhängigen Journalismus als kriminell“, sagt Baris Yarkadas. Der 42-Jährige arbeitete 20 Jahre lang als Journalist. Seit 2015 sitzt er als Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP im Parlament. In der Partei ist er für die Medienpolitik zuständig und kümmert sich intensiv um inhaftierte Journalisten. „Ich bin fast jeden Tag in irgendeinem Gerichtssaal, um Prozesse gegen Journalisten zu beobachten“, sagt Yarkadas. Schwieriger sei es, Zugang zu inhaftierten Redakteuren zu bekommen.

„Sie können keine Briefe schreiben oder empfangen, viele sitzen seit Monaten in Haft, ohne Anklage, ohne zu wissen, was ihnen überhaupt vorgeworfen wird“, berichtet Yarkadas. Wie die AKP-Regierung mit den Medien umgehe, erinnere ihn an einen Spruch des NS-Propagandachefs Joseph Goebbels: Die Presse sei „in der Hand der Regierung sozusagen ein Klavier, auf dem die Regierung spielen kann“. Die Melodie, so ergänzt Yarkadas, werde im Präsidentenpalast von Ankara komponiert: „Die einzige Wahrheit ist, was Erdogan sagt.“

Die Festnahmen aufmüpfiger Journalisten und die Enteignungen nicht regierungstreuer Medienunternehmer verfehlen ihre Wirkung nicht: „Die meisten Journalisten sind eingeschüchtert, viele üben Selbstzensur, andere haben resigniert und ihren Beruf aufgegeben“, sagt Yarkadas. Wer sich aber zum Instrument der Regierungspropaganda machen lasse, der habe ein gutes Leben. Erdogan persönlich bestimme, wer bei den regierungsnahen Zeitungen Chefredakteur werde oder einen Job als Hauptstadtkorrespondent bekomme, weiß der Oppositionsabgeordnete. „Die regierungstreuen Spitzenjournalisten verdienen viel Geld, sie leben in tollen Wohnungen und fahren große Autos.“ Yarkadas: „85 Prozent der türkischen Medien sind auf Regierungslinie.“

Dazu gehört die Tageszeitung „Sabah“. Sie steht beispielhaft für die enge Verquickung von Politik, Wirtschaftsinteressen und Medienmacht. 2007 wurde die Mediengruppe Merkez, zu der „Sabah“ damals gehörte, von der staatlichen Treuhandanstalt beschlagnahmt. Im Jahr darauf bekam die Calik Holding als einziger Bieter für umgerechnet 1,1 Milliarden Dollar den Zuschlag zur Übernahme des Sabah-Medienunternehmens, zu dem auch TV-Sender und Zeitschriften gehören. Finanziert wurde der Kauf teils mit Krediten der staatlichen Geldinstitute Halkbank und Vakifbank. Die Calik Holding ist mit fast drei Dutzend Firmen in der Textilbranche, der Bauwirtschaft, der Logistik, in Finanzdienstleistungen und im Energiesektor tätig. Konzernchef Ahmet Calik gilt als regierungsnah. Es gibt auch enge personelle Verbindungen zur Familie Erdogan: Ein Jahr vor der Übernahme von „Sabah“ wurde Berat Albayrak, ein Schwiegersohn Erdogans, CEO der Calik Holding. Seit November 2015 ist Albayrak Energieminister.

Im Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum ist „Sabah“ so etwas wie das Sprachrohr Erdogans. Wie das aussieht, konnte man auch in der Europaausgabe der Zeitung nachlesen. Dort konterte „Sabah“ am 16.3. den Vorwurf der „Bild“-Zeitung, Erdogan sei „kein Demokrat“. Auf ihrer Titelseite brachte „Sabah“ eine an die Europäer gerichtete Proklamation, die sich liest wie ein Originalton aus einer Erdogan-Rede: „Ihr kämpft umsonst. Eure Macht reicht nicht, um die Türkei aufzuhalten. Hey Europa… Hey Deutschland… Hey Holland… Hey Faschisten… Hey Nazi-Überbleibsel… Hey Bild… Glaubt Ihr, dass wir uns vor eurem Geschrei, eurer Aufregung und euren unmoralischen Verleumdungen fürchten werden?“

Auf ähnlichem Weg wie „Sabah“ kam auch die früher oppositionsnahe Zeitung „Günes“ auf Regierungslinie. Nachdem die Cukurova-Gruppe, der das Blatt gehörte, in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, wurde die Mediensparte des Konzerns im Mai 2013 der staatlichen Treuhandanstalt TMSF übereignet. Sie verkaufte „Günes“ zusammen mit der Zeitung „Aksam“ und dem Fernsehsender „Sky Türk 360“ sechs Monate später an den Erdogan-nahen Unternehmer Ethem Sancak. Er kontrolliert über seine Mediengruppe Esmedya auch die Zeitung „Star“ und den Nachrichtensender „24“.

Die Gazette „Günes“ tat sich in jüngster Zeit vor allem mit Angriffen gegen Deutschland und Angela Merkel hervor. Mitte März bildete die Zeitung auf ihrer Titelseite die Kanzlerin in einer SS-Uniform und mit Hitler-Bärtchen ab. In der rechten Hand hält Merkel auf der Fotomontage eine Pistole. Daneben stand in großen Lettern: „Frau Hitler“. Das inspirierte offenbar sogar Erdogan. Wenige Tage später warf er Merkel vor: „Du wendest auch gerade Nazi-Methoden an.“

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