Dass sich Donald Trump und Angela Merkel in wichtigen Punkten uneins sind, bleibt auch dem US-Präsidenten nicht verborgen. Zum Ende der gemeinsamen Pressekonferenz im Weißen Haus nimmt der Republikaner Stellung zu den von ihm in die Welt gesetzten Vorwürfen, sein Vorgänger Barack Obama habe ihn abgehört. Beweise dafür, dass der Trump Tower verwanzt wurde, gibt es bis heute nicht. Dennoch scherzt Trump zu den angeblichen Abhörversuchen Obamas: "Wenigstens haben wir etwas gemeinsam - vielleicht."
Zur Erinnerung: 2013 wurde bekannt, dass die Bundeskanzlerin von den US-Geheimdiensten abgehört wurde. Lachen, kann Merkel über den Spruch von Trump nicht. Ihr Grinsen wirkt gequält, sie schüttelt den Kopf.
Wahr aber ist: Der Besuch der deutschen Regierungschefin im Weißen Haus machte deutlich, dass Merkel und Trump inhaltlich erwartungsgemäß mehr Differenzen denn Gemeinsamkeiten haben.
Beim ersten Besuch der Deutschen seit dem Amtsantritt von Trump suchen beide nach Gemeinsamkeiten – und betonen sie zu Beginn der Pressekonferenz. Trump bedankt sich für den deutschen Einsatz in Afghanistan und für die diplomatischen Bemühungen in der Ukraine-Krise. Merkel betont die historischen Verdienste der USA beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und bei der deutschen Wiedervereinigung.
Doch schon das Bekenntnis Donald Trumps zur NATO („Ich stehe voll hinter dem Bündnis“) endet mit klarer Kritik. Nur die wenigsten Partner würden ihre finanziellen Verpflichtungen erfüllen, kaum ein NATO-Mitglied investierte wie versprochen zwei Prozent seines BIPs in die Verteidigung. „Das ist unfair gegenüber den USA“, sagt Trump. Deutschland etwa „schulde eine große Menge an Geld“.
Konfliktfelder der US-Regierung mit Deutschland
Die neue US-Regierung hat frühere Äußerungen von Trump, dass die Nato "obsolet" sei, mittlerweile korrigiert. Die neue Konfliktlinie verläuft entlang der Selbstverpflichtung der Nato-Staaten, bis 2024 zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Sicherheit auszugeben. Die USA geben wesentlich mehr aus, Deutschland sehr viel weniger. Trump wird Merkel drängen, die Ausgaben schneller anzuheben als sie versprochen hat.
Die Sorge über eine zu starke Hinwendung Trumps zu Russlands Präsident Wladimir Putin sind verflogen. Dennoch besteht große Unsicherheit über den amerikanischen Russland-Kurs, der sich auf viele Konflikte von Syrien bis zur Ukraine auswirken kann.
Während Trump vor allem den Anti-Terrorkampf gegen Islamisten betont, geht es Deutschland stärker um die Stabilisierung von Ländern - auch mit Blick auf künftige Flüchtlingsbewegungen. Die US-Regierung hat sich zum Engagement in Afghanistan bekannt, was Merkel lobte. Was Trump in Libyen und Syrien genau will, ist bisher unbekannt.
Ein zentraler Streitpunkt könnte der Umgang mit dem aus der EU ausscheidenden Großbritannien werden. Trump hat den Brexit als Vorbild auch für andere EU-Staaten bezeichnet. Merkel betont die Einheit der EU - auch in Handelsfragen.
Führende Vertreter der Trump-Regierung haben angekündigt, auch wirtschaftliche Probleme mit EU-Staaten bilateral klären zu wollen - ungeachtet möglicher EU-Zuständigkeit. Die Bundesregierung lehnt dies ab.
Dies betrifft etwa den deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Der Vorwurf der US-Regierung lautet, dass Deutschland etwa den niedrigen Euro-Kurs ausnutzt und dadurch mehr Waren in den USA absetzen kann als die USA etwa in Deutschland. Die Bundesregierung verweist dagegen auf die Zuständigkeit der EU (Handel) und der EZB (Währung).
In Washington wird die Einführung einer Grenzausgleichssteuer ("Border Adjustment Tax", BAT) zur Gegenfinanzierung der von Trump angekündigten Steuersenkungen diskutiert. Für die Exportnation Deutschland wäre das ein schwerer Schlag, weil es deutsche Produkte in den USA verteuern würde. Merkel hat bereits angedeutet, dass die EU entsprechend reagieren werde.
Trump hat sich bisher generell für protektionistische Ideen stark gemacht und selbst das nordamerikanische Nafta-Abkommen infrage gestellt. Ob er wie sein Vorgänger Barack Obama das angestrebte und von der Kanzlerin befürwortete Wirtschaftsabkommen TTIP mit der EU unterstützen wird, gilt als unsicher.
Trump hat sich mehrfach kritisch zu internationalen Vereinbarungen wie etwa zum Klimaschutz geäußert. Noch immer ist unsicher, ob die USA ihre Verpflichtungen etwa aus dem Pariser Klimaabkommen umsetzen werden.
Trump hat sich generell sehr skeptisch zur multilateralen Zusammenarbeit geäußert. Aus seiner Regierung kamen bereits Drohungen, die Zahlungen an die UN zu kürzen, die ihren Hauptsitz in New York hat. Auch humanitäre UN-Programme sollen gekürzt werden. Merkel plädiert dagegen für eine viel stärkere internationale Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Politikfeldern.
Trump hat Merkels Flüchtlingspolitik auch nach seiner Wahl noch scharf kritisiert und will selbst eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen. Merkel wiederum hat Abschottungspläne der USA mehrfach entschieden kritisiert.
Falsch ist die Behauptung nicht; Deutschland gibt derzeit nur rund 1,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung. Diplomatisch ist Trumps Ansage aber auch nicht.
Er appelliert, beide Länder müssten gemeinsam den „radikal-islamistischen Terror“ bekämpfen und ISIS stoppen. Es gelte, die Bürger beider Länder zu schützen. Die durch den Vormarsch der Terrormiliz ausgelöste Flüchtlingskrise streift Trump nur am Rande: Migration sei ein Privileg, kein Recht. Und Einmischung von außen verbitte er sich. „Das ist eine nationale Aufgabe.“
Während Trump zu Beginn der Pressekonferenz von seinem Manuskript abliest und Merkel nicht ein einziges Mal anschaut, wechseln die beiden Regierungschefs im späteren Vorlauf den einen oder anderen Blick. Ein Gefühl von Harmonie entsteht dennoch kein einziges Mal in dem prächtigen East Room im Weißen Haus.
Trump: „Die deutsche Seite hat besser verhandelt als wir“
Unmittelbar vor der Pressekonferenz sprachen Trump und Merkel mit Unternehmensbossen aus den USA wie aus Deutschland über die Aus- und Weiterbildung von Arbeitnehmern. Dabei lobte der US-Präsident Deutschland als „Vorbild“ für die Lehre, auf Englisch: apprenticeship. „Ein schönes Wort.“ Amerika wolle sicherstellen, dass die Arbeitnehmer fit für die Herausforderungen der Zukunft sind.
Vor den Pressevertretern betont der US-Präsident, er sei kein „Isolationist“. Er sei für Freihandel. Wenn dieser denn fair sei. Das sei derzeit nicht der Fall, führt Trump aus – auch und vor allem nicht mit Blick auf Deutschland.
Wie wichtig die USA für die deutsche Wirtschaft sind
2015 wurden die USA der wichtigste Exportkunde der deutschen Unternehmen, nachdem über mehr als sechs Jahrzehnte Frankreich diese Position innehielt. 2016 behaupteten die Vereinigten Staaten ihre Spitzenposition: Waren im Wert von rund 107 Milliarden Euro wurden damals dorthin verkauft - vor allem Fahrzeuge, Maschinen und chemische Produkte. Das entspricht einem Anteil von etwa zehn Prozent an den gesamten Ausfuhren. Umgekehrt importierte Deutschland Waren im Wert von knapp 58 Milliarden Euro aus den USA, was sechs Prozent aller deutschen Einfuhren entspricht.
Mehr als eine Million Jobs in Deutschland hängen direkt oder indirekt von den Exporten in die USA ab. Weitere 630.000 Arbeitsplätze gibt es in Betrieben, die von US-Firmen kontrolliert werden. Allein McDonald's Deutschland zählt etwa 58.000 Mitarbeiter, der Personaldienstleister Manpower 27.000 und die Ford-Werke gut 25.000.
Umgekehrt schaffen deutsche Unternehmen in den USA ebenfalls Hunderttausende Stellen. Zu den größten deutschen Arbeitgebern dort gehören die Deutsche-Post-Tochter DHL mit rund 77.000 Beschäftigten, Siemens (50.000) und Volkswagen (60.000).
Die deutschen Unternehmen haben mehr als 271 Milliarden Euro an Direktinvestitionen in den USA - etwa Fabriken und Immobilien. Mehr als 3700 Unternehmen sind in den Vereinigten Staaten tätig. Allein die 50 größten deutschen Firmen dort kommen auf einen Jahresumsatz von 400 Milliarden Dollar.
Auch US-Unternehmen haben erhebliche Beträge in Deutschland investiert: Der Bestand summiert sich auf rund 27 Milliarden Euro. 2015 wurden 252 neue Projekte hierzulande von US-Firmen gestartet, von Neuansiedlungen auf der grünen Wiese über Erweiterungen bis hin zu Standortwechseln. Nur chinesische Unternehmen waren aktiver. Die 50 größten US-Unternehmen kommen in Deutschland auf einen Jahresumsatz von rund 170 Milliarden Euro.
Die USA importieren deutlich mehr deutsche Waren, als sie exportieren. Seit Jahren steigt das Handelsbilanzdefizit der Wirtschaftsmacht mit Europa im Allgemeinen und mit Deutschland im Speziellen. „Die deutsche Seite hat besser verhandelt als wir“, sagt Trump. Das erkenne er an. Bleiben könne das aber nicht so. „Vielleicht können wir das zumindest ausgleichen.“
Details über die geplanten Neuverhandlungen bleibt der US-Präsident schuldig. Kein Wort zu Strafzöllen, kein Wort zu dem Wunsch, die Deutschen mögen doch bitte mehr US-Produkte kaufen.
Für Angela Merkel gibt es ohnehin wenig zu besprechen und nachzuverhandeln. Und so betont sie, dass Freihandel in ihren Augen immer eine „win-win-Situation“ ist. Und überhaupt: Deutschland habe seine Befugnisse im Außenhandel an die Europäische Union abgetreten. Bilateral gäbe es also nichts zu verhandeln. Gleichwohl wünsche sie sich, dass die begonnenen Gespräche über ein transatlantisches Freihandelsabkommen wieder aufgenommen werden. „Ich hoffe, dass wir zurück an den Verhandlungstisch kehren“, sagt Merkel. Zuversichtlich klingt sie gleichwohl nicht.
Vor der versammelten Presse vermeidet die Kanzlerin dennoch weitere Provokationen. Sie spricht von einem „guten und sehr offenen ersten Austausch“. Konfliktfrei, das gibt Merkel zu, seien die Gespräche nicht gewesen. Dennoch gelte es Lösungen zu finden „die für beide gut sind“. Es müsse schließlich fair sein. Wie diese aussehen können, ist derzeit völlig offen.