Merkel und die Türkei Unionspolitiker warnen vor zu großem Entgegenkommen

Die Bundeskanzlerin steht unter Druck. Um in der Flüchtlingskrise voranzukommen, muss sie sich Ankaras Unterstützung sichern. In der Koalition wachsen die Befürchtungen, dass die Regierung zu viele Zugeständnisse macht.

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Die Bundeskanzlerin ist in der Flüchtlingskrise auf das Entgegenkommen der Türkei angewiesen. Quelle: dpa

Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert versuchte zu beschwichtigen: Der nächste EU-Gipfel finde ja erst am 17. und 18. März statt. Man habe also noch mehrere Tage Zeit, offene rechtliche Fragen zu prüfen. Doch in der schwarz-roten Koalition wachsen die Befürchtungen, dass die Bundesregierung der Türkei zu weit gehende Zugeständnisse in der Visumsfrage macht, um sich Ankaras Entgegenkommen in der Flüchtlingspolitik zu erkaufen.

Bisher habe man ja immer nur über Visaerleichterungen gesprochen und die an 72 strenge Bedingungen geknüpft, sagte der Obmann im Innenausschuss des Bundestags, Armin Schuster, dem Handelsblatt. Wenn es jetzt um Visafreiheit gehen solle, sei das ein Schritt zu viel. „Das ist für mich genauso ein No go wie die EU-Vollmitgliedschaft der Türkei“, betonte der CDU-Politiker. Auch der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Frieser, warnte vor übereilten Schritten: „Eine grundlegende Änderung von Visabestimmungen ist kein Verwaltungsakt, der ohne das Parlament entschieden werden sollte. Wir werden deshalb in der Landesgruppe und der Fraktion sehr intensiv beraten, wie weit die Regierung da gehen kann.“

Bei ihrem jüngsten Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu hatten die Staats- und Regierungschefs der EU zugesagt, die Umsetzung des Fahrplans hin zu Visaerleichterungen zu beschleunigen – mit der Perspektive, die Visumspflicht für türkische Staatsbürger spätestens Ende Juni aufzuheben. Die Verhandlungen zwischen der EU und Ankara über größere Reisefreiheit laufen bereits seit 2013 und sollten ursprünglich bis Oktober dieses Jahres zu einem Ergebnis führen.

Erst am 4. März hatte die EU-Kommission einen Bericht über die bisher erreichten Fortschritte vorgelegt. Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos würdigte zwar Ankaras „neue Entschlossenheit“ und das „große Engagement“, listete aber zugleich noch unerledigte Hausaufgaben auf. So müsse die Türkei die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz mit den angrenzenden EU-Mitgliedstaaten weiter verbessern, Pässe mit Fingerabdrücken ausstellen oder Rechtsvorschiften der Terrorbekämpfung an europäische und internationale Standards angleichen.


Innenpolitiker stehen mit Kritik nicht allein

Regierungssprecher Seibert betonte zwar, es werde „keine qualitativen Abstriche“ bei den Anforderungen geben, die Ankara erfüllen müsse. Zugleich machte er aber deutlich, dass von allen Beitrittskandidaten nur die Türkei noch auf Visafreiheit warte. Außerdem bedeute Visafreiheit ja nicht, dass türkische Staatsbürger dann einfach ungehindert in die EU einreisen könnten. An den Außengrenzen werde natürlich weiter kontrolliert.

Die Innenpolitiker beruhigt das nicht. Dass die Türkei jetzt in der Visafrage Druck macht, sei nichts als „pure Erpressung“, sagte CSU-Experte Frieser dem Handelsblatt. Über Visumserleichterungen für Wirtschaftskontakte oder Verwandtschaftsbesuche könne man sicher reden, nicht aber über komplette Visumsfreiheit. Die Türkei sei ja noch nicht mal in der Lage zu garantieren, dass derjenige, der da nach Deutschland einreisen wolle, auch tatsächlich türkischer Staatsbürger sei.

Auch den geplanten Deal, dass die Türkei zwar illegal eingereiste Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt, die EU-Staaten dafür aber eine gleiche Zahl von Personen aus türkischen Flüchtlingslagern aufnehmen, sieht Frieser skeptisch: „Wir können uns nicht einfach darauf verlassen, dass jeder, den uns die Türkei schickt, auch wirklich im Besitz eines echten syrischen Passes ist.“

Für den CDU-Innenexperten Schuster ist vor allem wichtig, dass die EU-Staaten nun vor dem nächsten Euro-Gipfel am 17./18. März zu Geschlossenheit finden. Nur dann könnten sie bei den nächsten Verhandlungen mit Ankara auch entschieden auftreten und verhindern, von Ankara über den Tisch gezogen zu werden.

Die Innenpolitiker stehen mit ihrer Kritik an den möglichen Zugeständnissen nicht allein: Die Flüchtlingskrise und die Beziehungen der Türkei zur EU seien zwei Paar Schuhe, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) der „Rheinischen Post“. „Wir müssen darauf achten, dass der Preis, den die Türkei fordert, nicht zu hoch ist.“ Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister betonte, für eine Annäherung an die EU seien Fortschritte bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nötig. „Das ist gegenwärtig nicht der Fall“, sagte er der „Saarbrücker Zeitung“.

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