Chodorkowski wartet auf Familie
Eigentlich könnte Bettermann mit sich und der Welt zufrieden sein. Er mischt vorne mit in einer Branchenführer von einigen wenigen Milliarden Euro im Jahr. Niemand hierzulande produziert insgesamt so viele Schellen, Klips und Klammern, Kabelhalter und Blitzableiter wie Bettermann – zuletzt für 500 Millionen Euro im Jahr. Sein Unternehmen produziert heute mit 3.000 Mitarbeitern in Deutschland, der Schweiz, Ungarn, Italien, Brasilien und Südafrika. Kaum ein Kraftwerk, eine Tiefgarage oder ein Airport kommt ohne seine Kabelkanäle oder Unterputzdosen aus.
Doch Zeit seines Lebens biss den erfolgreichen Unternehmer gleichzeitig die Gewissheit, eigentlich nichts zu besitzen, womit er so richtig groß Staat machen konnte. Was sind schon seine Blechwaren gegen die berühmten Lasermaschinen zur Blechbearbeitung des württembergischen Vorzeigemittelständlers Berthold Leibingers?
Chronologie des Falls Michail Chodorkowski
Michail Chodorkowski, der Chef des Yukos-Ölkonzerns, wird spektakulär bei einer Zwischenlandung seines Privatjets in Nowosibirsk festgenommen. Die Justiz wirft dem Multimilliardär Betrug und Steuerhinterziehung vor. Sein Geschäftspartner Platon Lebedew war bereits im Juli verhaftet worden.
In Moskau beginnt der erste Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung wirft dem Kreml vor, er steuere das Verfahren, weil der Yukos-Chef in Opposition zu Präsident Wladimir Putin gegangen sei.
Chodorkowski und Lebedew werden unter anderem wegen schweren Betrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu je neun Jahren Straflager verurteilt. Ein Berufungsgericht reduziert die Strafe im September 2005 auf je acht Jahre.
In Washington verabschiedet der US-Senat unter anderem mit der Stimme des heutigen US-Präsidenten Barack Obama eine Erklärung, in der er den Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew als politisch motiviert kritisiert.
Der Yukos-Konzern wird nach seiner Zerschlagung und dem Verkauf der Teile aus Russlands Handelsregister gelöscht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht sich bei einem Treffen mit Putin in Moskau für Chodorkowskis Begnadigung aus. Auch andere deutsche Politiker forderten Russland wiederholt zum rechtsstaatlichen Umgang mit den beiden Unternehmern auf.
In Moskau beginnt der zweite Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung nennt die Vorwürfe der Unterschlagung von 218 Millionen Tonnen Erdöl „absurd und unlogisch“.
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fordern ehemalige Yukos-Eigentümer von Russland 98 Milliarden Dollar Schadensersatz. Sie werfen Moskau unrechtmäßige Zwangsenteignung vor zur eigenen Bereicherung.
Ein Gericht verurteilt Chodorkowski und Lebedew unter Einbeziehung der ersten Strafe zu insgesamt jeweils 14 Jahren Haft. Es folgen Strafnachlässe. Chodorkowski soll nach 10 Jahren und 10 Monaten im August 2014 freikommen, Lebedew schon im Mai.
Der EGMR lehnt Chodorkowskis Klage ab, wonach das erste Verfahren gegen ihn politisch motiviert gewesen sei. Am 25. Juli 2013 bestätigen die Richter das, halten das russische Vorgehen gegen Chodorkowski aber für ungerecht. Weitere Klagen sind anhängig.
Die Lech-Walesa-Stiftung in Warschau zeichnet Chodorkowskis mit dem Freiheitspreis aus. Er ist mit 100.000 US-Dollar (knapp 73.000 Euro) dotiert.
Zum zehnten Jahrestag seiner Inhaftierung fordern Menschenrechtler Chodorkowskis Freilassung.
Russlands Justiz bestätigt erstmals, dass wegen Geldwäsche ein weiteres Verfahren gegen den Kremlgegner geplant ist.
Putin kündigt die Begnadigung von Chodorkowski an. Nur einen Tag später unterzeichnet er ein Dekret zur Begnadigung des mittlerweile 50-Jährigen. Chodorkowski kommt mit sofortiger Wirkung auf freien Fuß.
Der gelernte Bankkaufmann hat nach eigenen Angaben mit Mühe die mittlere Reife geschafft und nie studiert. Er weiß, dass ihm die Bildung und das intellektuelle Kaliber fehlen, um es jemals so weit zu bringen wie Mittelstandikone Leibinger oder der schwäbische Motorsägenfabrikant Hans Peter Stihl, der einst zum Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages aufgestiegen war. Bettermann leidet darunter und versucht, damit fertig zu werden, indem er - wie der Süchtige nach der Droge - unablässig nach Ersatzbestätigung sucht.
Wo immer er konnte, drängte Bettermann zu Prominenten aus Wirtschaft und Politik. Er nimmt an dem jährlichen Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos teil. Er schwärmt von der Freundschaft mit Ex-Bundesaußenminister Genscher, der er nun die Beförderung von Chodorkowski verdankt. Er freut sich über das "Du" mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schroeder, berichtet vom Zusammentreffen mit dem Dalai Lama und rühmte sich des kurzen Drahts zum einstigen Siemens-Chef Heinrich v. Pierer. Und wenn sich die Gelegenheit bot, legte er dem "berühmten Weltbürger" Kissinger sanft den Arm um die Schulter. Wer Bettermann besucht, sieht ihn auf den immer gleichen Fotos: Bettermann mit Genscher auf der Couch, Bettermann mit Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl auf der Hannover Messe, Bettermann mit dem früheren bayrischen Ministerpräsident Franz Josef Strauss im Cockpit.