Michel Temer Retter oder Verräter?

Wenn Brasilien wählen würde, dann käme Michel Temer wohl kaum auf fünf Prozent – trotzdem gilt er als Nachfolger seiner einstigen Verbündeten Dilma Rousseff. Wohlhabende Brasilianer hoffen auf einen Politikwechsel.

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Der Sohn libanesischer Einwanderer ist kein Mann mit viel Volksnähe – aber er versucht es zunehmend. Quelle: dpa

Brasília Michel Temer macht das Victory-Zeichen, er steht inmitten der brasilianischen Olympiamedaillen-Gewinner im Palácio do Planalto. Ein Termin der angenehmeren Sorte, auch wenn er wie so oft etwas steif wirkt, er ist kein Mann mit viel Volksnähe. Aber er versucht es zunehmend – und setzt sich eine Badekappe auf.

Temer ist nicht zu unterschätzen. Mit 75 Jahren will der Sohn libanesischer Einwanderer in die Rolle von Brasiliens Retter aufsteigen, nicht nur Interimspräsident sein, sondern „richtiger“ Präsident des fünftgrößten Landes der Welt. Große Bühne statt Hinterzimmer, als erstes beim G20-Gipfel in China. Und der Katholik hat einiges vor. Er sprach im Mai bei der Inthronisierung des Übergangskabinetts von von einer Regierung „der nationalen Rettung“, aber einige Minister unter Korruptionsverdacht retteten sich mit dem Amt erst einmal persönlich vor dem Zugriff der Justiz.

Die Verwerfungen des Amtsenthebungsverfahrens gegen seine einstige Verbündete Dilma Rousseff sind eine schwere Hypothek – das Land gespalten. Sie nennt ihn einen „Verräter und Usurpator“. Und der Mann aus São Paulo gilt als Vertreter der reichen Elite. Er dürfte auch außenpolitisch einen neuen Kurs einschlagen, auf mehr Freihandel setzen, und auf bessere Beziehungen zum Beispiel zu den USA.

Er betont, 2018 bei der nächsten Wahl nicht antreten zu wollen, daher könne er unpopuläre Maßnahmen durchsetzen. Der Jurist gilt als Strippenzieher, zweimal war er Präsident des Abgeordnetenhauses. Beliebt ist er nicht, bei Neuwahlen würde er laut Umfragen keine fünf Prozent gewinnen – über den „normalen“ Weg würde er also nicht im Präsidentenpalast landen. Sein Ruf hat auch wegen illegaler Spenden und Korruptionsvorwürfen gelitten.

Wegen der Wahlkampfspenden darf er ohnehin 2018 nicht bei der Wahl antreten – er wurde im Mai für acht Jahre gesperrt. Aber: Er gilt vielen als kleineres Übel, konservativ. Seine hübsche Frau Marcela (33) soll als First Lady glänzen, sie ist einen ganzen Kopf größer als er. Als seine größte Leistung gilt bisher, dass er mitgewirkt hat, dass seine politisch nicht festgelegte Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) in den letzten 20 Jahren fast immer an der Macht beteiligt war, wenngleich sie kein homogener Block ist.


„Eine Brücke für die Zukunft“

So unterstützte Temer die liberale Politik unter Präsident Fernando Henrique Cardoso, später dann die linken Sozialprogramme unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. 2010 trat er als Rousseffs Vizepräsident an, 2014 kandidierte das ungleiche Paar dann erneut.

Aber der im März vollzogene Bruch mit der Arbeiterpartei war ein Ende mit Ansage. Dieser Bruch ermöglichte durch einen Pakt mit Oppositionsparteien, letztlich die notwendigen Mehrheiten für das Impeachmentverfahren gegen Rousseff. Schon im Oktober 2015 hatte Temer eine wirtschaftspolitische Reformagenda vorgelegt, die eine Abrechnung mit der auf hohe Staatsausgaben setzende Politik Rousseffs war. Titel: „Eine Brücke für die Zukunft.“

Der Inhalt: Das Renteneintrittsalter soll auf 65 Jahre steigen, der Arbeitsmarkt flexibilisiert, eine Schuldenbremse eingeführt, Steuern für Reiche gesenkt werden und die milliardenschweren Sozialprogramme auf den Prüfstand kommen. Das ist die Blaupause – für Kritik sorgt bereits der geplante Stopp eines Programms gegen Analphabetismus, aber viele Programme gelten auch als ineffizient.

Temer sieht sich auf einer Mission, Brasilien mit einem Politikwechsel aus der Krise zu holen. Die Wirtschaftsleistung ist um 3,8 Prozent eingebrochen, die Öleinnahmen sprudeln nicht mehr.

Das hohe Staatsdefizit soll durch Privatisierungen, etwa von Krankenhäusern, Krippen, Staatsfirmen und Flughäfen gebändigt werden – Temer ist an den Finanzmärkten ein Hoffnungsträger.

Auch deutsche Unternehmen wittern neue Marktchancen, immerhin ist Brasilien trotz allem noch die neuntgrößte Volkswirtschaft. Wie schwer er es in diesem gespaltenen Land haben wird, zeigte sein erster großer internationaler Auftritt. Er durfte die Olympischen Spiele in Rio eröffnen, wurde aber gnadenlos ausgepfiffen. Zur Schlussfeier erschien er erst gar nicht mehr. Sein Ziel ist, das Land zu einen – die ersten Signale deuten aber nicht darauf hin.

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