Migranten in England Die Angst vor den Ausländern

Kebab-Imbisse verdrängen Pubs: In Peterborough sind nur noch 70 Prozent Briten. Ob der Brexit daran etwas ändern wird, halten die Anwohner für ungewiss. Sie sind aber froh, der Politik einen Denkzettel verpasst zu haben.

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Im ostenglischen Peterborough sind nur noch 70 Prozent weiße Briten. Das Stadtbild hat sich verändert. Pubs verschwinden. Quelle: AP

Peterborough Die englische Flagge, eine Dartscheibe und eine Gedenktafel für die im Zweiten Weltkrieg getöteten britischen Soldaten schmücken die Wände des „Hand and Heart“. Die Kneipe hält sich noch als letzter Pub in einem der multikulturellsten Viertel der ostenglischen Stadt Peterborough.

Der hagere Barmann Bram Brammer erinnert sich an jeden einzelnen Pub, der dichtgemacht hat. Das „Triangle“ wich einem polnischen Supermarkt, im „The Windmill“ befindet ich heute ein Asia-Laden, das „Eight Bells“ wurde zu einem Kindergarten. Ins „The Norfolk Arms“ zog ein Immobilienmakler ein, und zwei polnische Läden ersetzten „The Greyhound“. „The Royal Oak“ wurde abgerissen, um Platz zu machen für Wohnungen, wie Brammer erzählt.

„Die Engländer ziehen weg, und die Gegend wird zu einem Ghetto“, sagt der 58-Jährige über das Viertel Millfield. „Die Infrastruktur der Gesellschaft ist einfach zerstört worden.“

Für viele Briten, die für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten, ist Brammers Beschreibung ein Schreckensszenario, das sich in vielen Orten und Städten zu wiederholen droht. Sie fürchten sich vor ganzen Straßenzügen, in denen fremde Sprachen, Bräuche und Glaubensrichtungen die Oberhand gewinnen. Mit jedem Pub, der durch einen Kebab-Imbiss ersetzt wird, sehen sie die britische Identität weiter schwinden.

Ob ein Brexit daran viel ändern würde, ist in den Augen vieler Einwohner von Peterborough zwar ungewiss. Doch immerhin haben sie das Gefühl, dass sie beim EU-Referendum Ende Juni die Politiker abstrafen konnten, die in ihren Augen Risiken der Zuwanderung ignoriert haben.

„Ich wollte mein Land zurück“, sagt der 67-jährige Brexit-Anhänger Bruce Johnson, der auf dem Markt von Peterborough Tapeten und Grußkarten verkauft. „Ich wollte englisch sein, britisch, und hoffentlich zur Normalität zurückkehren.“

Seine Heimatstadt, eine Zugstunde nördlich von London, hat einen rasanten demografischen Wandel erlebt. Seit Beginn des Jahrhunderts nahm Peterborough mehr als 30.000 Zuwanderer auf. Die Einwohnerzahl stieg zwischen 2001 und 2014 von 156.000 auf schätzungsweise 194.000. Der Anteil weißer Briten nahm laut Statistik von 86 Prozent 2001 auf 71 Prozent im Jahr 2011 ab.

Dabei war die Stadt an Minderheiten aus Pakistan, Italien und der Karibik seit langem gewöhnt. Erst die steigende Zahl von Zuwanderern aus den EU-Mitgliedsstaaten Polen, Litauen, der Slowakei und zuletzt Rumänien und Bulgarien brachte viele Einwohner gegen Brüssel auf. 62 Prozent von ihnen votierten für einen Austritt Großbritanniens aus der EU – verglichen mit 52 Prozent landesweit.


Rassistische Kampagnenmacher rudern zurück

Einige englische Bürger der Stadt werfen den Neuankömmlingen vor, den Einheimischen Jobs wegzunehmen oder dem Staat auf der Tasche zu liegen. Britische Boulevardblätter heizten vor einigen Jahren die ausländerfeindliche Stimmung an, indem sie über einen angeblichen Massenansturm von Zuwanderern auf das Sozialamt von Peterborough berichteten.

Die Berichte über Sozialmissbrauch seien übertrieben gewesen, räumt inzwischen sogar ein örtlicher Anführer der Brexit-Bewegung ein. Es gebe zudem auch Briten, die den Sozialstaat ausnutzten, sagt Jay Beecher, Vize-Chef der EU-feindlichen Partei Ukip in Peterborough. Die meisten Migranten aus Osteuropa arbeiteten hart und nähmen oft Mindestlohn-Jobs auf Farmen und in Fabriken an, die die Einheimischen nicht wollten.

„Es ist nicht so, dass wir diese Leute nicht hier haben wollen“, erklärt Beecher. „Wir können sie nur einfach nicht alle aufnehmen. Das belastet die örtlichen Ressourcen. Und wir sehen eine fehlende Bereitschaft zur Integration.“ Der Volkszählung von 2011 zufolge leben in der Stadt 6666 Polen und 3712 Litauer. Die tatsächlichen Zahlen werden deutlich höher geschätzt.

Der Bevölkerungszuwachs macht sich vielerorts bemerkbar. In den Schulen wird es immer enger, von 2010 bis 2015 stieg die Zahl der Schüler um mehr als 4000. In den Klassenräumen werden Dutzende verschiedene Sprachen gesprochen. In den Grundschulen haben laut Stadtrat 1075 Kinder Polnisch als Muttersprache, 721 Litauisch, 533 Portugiesisch und 286 Slowakisch.

Die Supermärkte im multiethnischen Millfield sind voll von osteuropäischen Produkten, von Wurst über Bier und Wodka bis hin zu polnischem Mineralwasser und Toilettenpapier. Mit vollgemüllten Bürgersteigen und unkrautbewucherten Vorgärten wirkt das Viertel mancherorts heruntergekommen. Doch das wird an anderer Stelle ausgeglichen durch gepflegte Cafés und Gemüsehändler.

Nach dem Brexit-Votum befürchten nun einige Zuwanderer eine neue Welle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Litauerin Lina Vorobjova, die in einem Café auf dem Marktplatz von Peterborough arbeitet, erfährt nach eigenen Worten schon jetzt mehr Feindseligkeit. „Sie sind anders geworden“, sagt sie über die Einheimischen. „Ein älterer Herr hat mich gefragt: 'Wann gehen Sie nach Hause zurück?'“

Ihr Landsmann Viktor Savicius bestätigt das. Als er vor zehn Jahren in die Stadt gekommen sei, sei an jeder Straßenecke nach ausländischen Arbeitern gesucht worden, sagt der 44-Jährige, der in einer Farbfabrik arbeitet. Heute habe sich die Einstellung vieler Engländer verschärft, doch er habe dafür Verständnis. „Wir sind zu viele“, sagt er. „Einfach zu viele.“

Im „Hand and Heart“ beklagt derweil Barmann Brammer, dass viele Zuwanderer nicht integrationswillig seien. Keiner von ihnen lasse sich im Pub blicken. Seine Einnahmen seien stark zurückgegangen, und der Hausbesitzer wolle das Gebäude verkaufen.

„Ich frage mich inzwischen, ob ich diesen Pub weiterführen will“, sagt er, der mit seiner Frau über dem Lokal wohnt. „Das ist nicht nur mein Pub, es ist mein Zuhause.“ Draußen vor der Tür zieht gerade eine polnische Familie ins Nachbarhaus ein.

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