Militäreinsatz Italiens vor Libyen „Keine bewaffnete Amada“

Das Parlament in Rom macht den Weg für den italienischen Marine-Einsatz in Libyen frei. Für Italien scheint sich das Blatt zu wenden. Und erstmals sinkt die Zahl der Flüchtlinge in Richtung Europa.

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Seit Juni 2015 beteiligt sich Deutschland an der Operation Sophia. Die Schiffe des Verbands tragen zur Aufklärung von Schleusernetzwerken bei und können auf hoher See gegen Boote vorgehen, die von Schleppern genutzt werden. Quelle: dpa

Rom Die „Borsini“ ist schon auf dem Weg von Sizilien in Richtung Libyen. Das Patrouillenboot der italienischen Marine wird das erste Schiff sein, mit dem Italien seinen Militäreinsatz in libyschen Hoheitsgewässern startet. Ziel ist der Hafen von Tripolis. Dort sollen italienische Schiffe der libyschen Küstenwache helfen, Schlepper zu bekämpfen und die Flüchtlingsströme in Richtung Europa besser zu kontrollieren. Es geht um einen kleinen Einsatz unter Wahrung der internationalen Gesetze, das wird aus den Äußerungen italienischer Politiker deutlich.

Keinesfalls sei die Entsendung einer „bewaffneten Armada“ vorgesehen, hatte Premier Paolo Gentiloni betont. Die Souveränität Libyens werde respektiert, sagte die Vizepräsidentin der Abgeordnetenkammer Marina Sereni in Rom, die der Regierungspartei PD angehört. 

Das Abgeordnetenhaus stimmte am Mittwoch mit 328 gegen 113 Stimmen und 22 Enthaltungen für den Einsatz. Nur die Lega Nord und die Bewegung 5 Sterne votierten dagegen. Und auch der Senat votierte anschließend mit „Ja“. Die Regierung hatte den Einsatz der Marine zur Unterstützung der libyschen Küstenwache am Freitag beschlossen. Sie berief sich auf ein Hilfegesuch von Fajis al-Sarradsch, dem Ministerpräsidenten der international anerkannten libyschen Regierung der Nationalen Einheit.

Al-Sarradsch hatte per Brief die italienische Regierung am 23. Juli um Unterstützung bei der Schlepper-Bekämpfung in den libyschen Territorialgewässern gebeten. Diese Anfrage aus Libyen war eine völkerrechtliche Voraussetzung für einen Einsatz der italienischen Kriegsschiffe. Für Unruhe hatte in den vergangenen Tagen ein Dementi aus Libyen geführt, es sei kein Hilferuf geschickt worden. Die instabile politische Situation des „failed state“ Libyen erschwert die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Nicht alle Stämme erkennen die Regierung von Al-Sarradsch an, General Khalifa Haftar ist ein starker Gegenspieler. Deshalb die italienische Vorsicht bei allen Formulierungen.

Deshalb betonte der italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti, dass es bei dem Einsatz ausschließlich um logistische und technische Unterstützung gehe. Eine Verletzung der libyschen Hoheitsrechte gebe es nicht. Die Ministerin präzisierte, dass italienische Soldaten nur reagieren würden, wenn sie angegriffen werden.

Nach dramatischen Bildern von überfüllten und seeuntüchtigen Schiffen voller Menschen, die auf dem Weg nach Europa sind und einer Reihe von Gipfeln der EU-Staaten ohne Ergebnis, gibt es nun erste konkrete Schritte, um die Flut der Migranten einzudämmen und die kriminelle Arbeit der Schlepperbanden zu bekämpfen. Italien, dass das am naheliegendste EU-Land für Asylsuchende und Wirtschaftsflüchtlinge ist, fühlt sich seit langem von den Partnern im Stich gelassen. Nun scheint sich das Blatt zu wenden: Die EU stellte Italien am Freitag 46 Millionen Euro als Unterstützung für den Marine-Einsatz zur Verfügung.

Und zum ersten Mal kamen nach den Zahlen des römischen Innenministeriums weniger Flüchtlinge – trotz des Sommerwetters, das Überfahrten erleichtert. Im Juli habe sich die Zahl der neu angekommenen Flüchtlinge gegenüber dem Vorjahr mehr als halbiert, teilte das Innenministerium am Mittwoch mit. 11.193 Migranten seien im Juli im Mittelmeer gerettet und in Häfen Süditaliens gebracht worden, im Juli 2016 seien es noch mehr als doppelt so viele gewesen. Insgesamt seien seit Jahresbeginn 95.215 Menschen in Italien gelandet, 2,73 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, als es 97.892 waren.

Wie italienische Medien berichten, will die Regierung für den  Marine-Einsatz zwischen 500 und 1.000 Soldaten bereitstellen, so wie sechs Schiffe, Drohnen und Helikopter. Migranten sollen nicht nur an der Abfahrt gehindert, sondern auch zurück an die Küste gebracht werden.

Trotz vieler Anzeichen zu einer Wende im Flüchtlingsdrama bleibt ein Problem bisher ungelöst: Die meisten Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) wie unter anderem „Ärzte ohne Grenzen“ und „SOS Méditerranée“ weigern sich, den vom Innenministerium aufgesetzten Verhaltenskodex für die Flüchtlingsrettung auf dem Meer zu unterzeichnen. Sie halten ihn für zu strikt und sind gegen die Auflage, dass ihre Schiffe Migranten selbst in italienische Häfen bringen sollen, statt sie wie bisher an Schiffe der Küstenwache oder des Militärs zu übergeben. Außerdem wollen sie keine bewaffneten italienischen Polizisten an Bord lassen. Das verstoße gegen die Neutralität humanitärer Einsätze, so die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.

Das Tauziehen zwischen den Hilfsorganisationen und dem römischen Innenministerium dauert an. Das Schiff „Juventa“ der deutschen Organisation „Jugend rettet“ sei auf Lampedusa von den Behörden kontrolliert worden, meldeten italienische Medien. Eine offizielle Bestätigung dieser Meldung gibt es allerdings noch nicht. Italienische NGOs warnen vor einer möglichen Falschmeldung.

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