WirtschaftsWoche: Die US-Luftwaffe hat eine Militärbasis des Assad-Regimes angegriffen, ein Vergeltungsschlag nachdem der Machthaber Giftgas gegen seine Bevölkerung eingesetzt haben soll. War die Militärintervention gerechtfertigt?
Stephan Bierling: Absolut. Die amerikanische Antwort auf Assads Verbrechen in Syrien kommt viel zu spät. Das hätte schon Präsident Obama 2012 machen müssen, als er damals seine berühmte rote Linie ankündigte.
Zur Person
Stephan Bierling ist Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. 2010 veröffentlichte er das Buch "Geschichte des Irakkriegs".
Auch damals ging es darum, dass Assad Chemiewaffen eingesetzt hatte. Obama reagierte aber nie.
Obama ist in der Syrienfrage durch Zögern und Zaudern aufgefallen. Trump reagiert jetzt. Damit zeigt er, dass die Vereinigten Staaten bereit sind, die Dynamik dieses Bürgerkrieges verändern zu wollen.
Treten die USA damit in einen Krieg gegen Baschar al Assad ein?
Soweit würde ich nicht gehen. Das ist eine Strafaktion und es sind erstmal keine weiteren geplant. Trump signalisiert damit, dass Amerika wieder in den Syrienkonflikt eingreift, nachdem das Land ihn über Jahre vernachlässigt hat. Trump rückt von seiner Politik ab, dass Assad an der Macht bleiben könne. Und er nimmt nicht länger Rücksicht auf Russland in der Syrien-Frage.
Welches Ziel verfolgt Trump?
Vor allem geht es darum, den Giftgasangriff vom Wochenbeginn nicht ungestraft zu lassen. Das ist eine humanitäre Strafaktion, um internationale Normen aufrecht zu erhalten, nachdem sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder einmal als völlig handlungsunfähig gezeigt hat.
Im Wahlkampf sagte Donald Trump noch, er wolle in Syrien nicht militärisch intervenieren. Hillary Clinton kritisierte er scharf, weil sie genau das gefordert hatte.
Trump hat seine Position um 180 Grad gedreht. Im Wahlkampf sagte er, humanitäre Interventionen interessieren ihn nicht, es gehe nur um America First. Aber amerikanische Interessen stehen in Syrien nicht unmittelbar auf dem Spiel. Jetzt verfolgt Trump einen ähnlichen Kurs, den auch Clinton verfolgt hätte. Ein bemerkenswerter Wandel seiner Außenpolitik.
Was ist der Grund dafür?
Es gibt mehrere Gründe. Erstens: Trump hat seinem Amtsvorgänger Obama immer wieder vorgeworfen, in der Außenpolitik schwach zu handeln. Er hat sich damit selbst unter Druck gesetzt. Wenn etwas in diesem Ausmaß passieren würde – dass Assad beispielsweise Giftgas einsetzt – musste Trump handeln.
Zweitens: Es kehrt mehr Professionalität in den Entscheidungsprozess im Weißen Haus ein. Unter dem neuen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster ist die Intervention präzise mit unterschiedlichen Optionen geplant worden. Trump hat dann den Auftrag gegeben, einen großen und einen kleinen Militärschlag vorzubereiten und sich letztlich für den kleinen Militärschlag auf das syrische Flugfeld entschieden.
Was der Angriff für das Verhältnis zu Putin bedeutet
Droht jetzt eine Eskalation mit Russland?
Das müssen wir abwarten. Putin versteht die Sprache der Macht. Deshalb konnte er seinen Herrschaftsbereich in den vergangenen zwei Jahren derart ausbauen. Ihm ist schlichtweg niemand entgegen getreten. Das hat ein Vakuum geschaffen, das Putin geschickt für sich nutzt. Trumps Intervention ist ein deutliches Signal, dass Russland in der Nahostpolitik keine freie Hand mehr haben wird, sondern mit Widerstand rechnen muss.
Trump lässt Raketen auf Syrien feuern
Gibt es eine Perspektive, dass der syrische Bürgerkrieg nach sechs Jahren endlich endet?
Es gibt keine Friedensperspektive. Assad hat aber das Signal bekommen, dass die USA seine Kriegsverbrechen nicht länger tolerieren werden. In den vergangenen Monaten hatte er erst in Aleppo und nun mit dem Giftgasangriff gezeigt, dass er mit aller Gewalt und Brutalität den Widerstand ausmerzen will. Trumps Intervention könnte dazu beitragen, dass die Kämpfe etwas abnehmen.
Angela Merkel und Außenminister Gabriel haben Verständnis für den amerikanischen Angriff gezeigt. Was kommt jetzt auf Deutschland zu?
Deutschland spielt in der Syrien-Frage keine Rolle. Wenn es um militärische Einsätze geht, können und wollen wir nichts tun und ziehen die Diplomatie vor. Das einzige, was wir tun können: Wir können Trump politisch den Rücken stärken.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Das transatlantische Verhältnis war schon mal besser.
Ja – Präsident Trump ist eine schwere Belastung für das transatlantische Verhältnis und er hat bislang nichts richtig gemacht. Die Militärintervention war aber die erste richtige Entscheidung seiner Amtszeit. Daher unterstützen ihn die Kanzlerin und der Außenminister auch.
Der bisherige Außenminister und neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich immer sehr zurückhaltend in Sachen Syrien geäußert. Jetzt erleben wir einen erstaunlichen Wandel der Bundesregierung.
Sigmar Gabriel hat in kürzester Zeit eine klare Sprache in der internationalen Politik gefunden – anders als der Überdiplomat Steinmeier. Das ist eine Belebung der deutschen Außenpolitik.