Milliarden-Brücke in China Ein 55 Kilometer langer „weißer Elefant“

Die 14 Milliarden Euro teure Brücke zwischen Hong Kong, Macau und dem chinesischen Festland soll die Region enger aneinander binden. Doch wie, wenn sie fast niemand nutzen darf?

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Die Reisezeit von Hong Kong zum chinesischen Festland soll von viereinhalb Stunden auf geschätzte 30 Minuten verkürzt werden. Quelle: dpa - picture alliance

Zhuhai Eigentlich soll die 55 Kilometer lange Brücke ein Symbol der Einheit Chinas sein. Schließlich verbindet sie das Festland mit Hong Kong und Macau. Die Bauarbeiten am schon im Jahre 1983 formulierten Traum des chinesischen Ingenieurs Hu Yingxiang befindet sich nun im finalen Abschnitt, Anfang 2018 soll die Brücke in Betrieb genommen werden. 

Und „das Jahrhundertprojekt“ klingt auf dem Papier grandios: die Reisezeit von Hong Kong zum chinesischen Festland könne von viereinhalb Stunden auf geschätzte 30 Minuten verkürzt werden. Bis 2035 sollen täglich 60.000 Vehikel bis zu 250.000 Passagiere vom chinesischen Zhuhai nach Macao oder Hong Kong und umgekehrt befördern. Künftig hofft man auf mehr Austausch und eine größere ökonomische, soziale und kulturelle Integration der Region. Zudem soll die Brücke mehr Fabriken in den westlichen Teil des Pearl River Deltas locken, wo die Preise noch nicht ganz so hoch sind wie in Shenzhen oder Dongguan, die einst als „Werkstatt der Welt“ galten.

Für die Realisation selbst hat man die Administrationen von Festland China, Macau und Hong Kong in die Konsultationen einbezogen und die besten Ingenieure engagiert. Die haben seit Baubeginn in 2009 Eindrucksvolles geleistet: ein 15 Kilometer langer Abschnitt gilt nun als längste Stahlbrücke der Erde und mit 6,7 Kilometern ist der Unterwassertunnel nicht nur der Längste, sondern mit 48 Metern unter Wasser auch der am Tiefsten gelegene.

Doch die Realität ist weniger beeindruckend. Macaus Abgeordneter der gesetzgebenden Versammlung, Au Kam San, nennt die Rolle seiner Stadt bei den Konsultationen „passiv“, man habe nicht viel Mitspracherecht gehabt.  Die Eröffnung selbst kommt ein Jahr später und ist 1,3 Milliarden Euro teurer als eigentlich geplant. Hauptsächlich wegen der gestiegenen Material- und Arbeiterkosten.

Albert Lai, Mitglied des pro-demokratischen Think Tank Professional Commons in Hong Kong, kritisiert, dass man die Gesamtkosten von 14 Milliarden Euro auch für Bildung oder Wohnungen hätte ausgeben können. Das Bauwerk sei vor allem ein politisches Prestigeobjekt mit hohen Kosten, wenig Nutzen und keinen Profit. In Asien nennt man solche Projekte auch „weiße Elefanten“. 

Denn es gibt da zwei Probleme: erstens dürfen kaum irgendwelche Autos diese Brücke benutzen. Wer eine Fahrlizenz aus Hong Kong oder Festland China besitzt, darf nicht auf Macaus Straßen fahren und anders herum. Von den rund 7,5 Millionen Einwohnern in Hong Kong und den fast 110 Millionen Einwohnern der chinesischen Provinz Guangdong besitzen derzeit ungefähr 30.000 Pkw-Besitzer eine Genehmigung, die es ihnen erlaubt, sowohl im linkspurigen Hong Kong wie auch auf dem rechtsspurigen Festland fahren zu dürfen.

Zweitens ist die Nachfrage für eine Autobrücke, um Tourismus und Transport anzukurbeln, zweifelhalt. Mehr Vehikel dürften nicht mehr nach Hong Kong reingelassen werden, betont Albert Lai, ansonsten mache man die jüngst geleisteten Maßnahmen zur Einhaltung einer sauberen Luft zunichte. „Selbst eine Zugstrecke wäre sinnvoller gewesen.“ Auch Au Kam San erzählt dem Handelsblatt, dass man strikt dagegen sei, Autos von außerhalb eine Erlaubnis zu erteilen, die Stadt betreten zu dürfen. „Wir haben schon genug Touristen, eigentlich sogar zu viele.“ Beide beklagten, dass schon jetzt ihre Städte unter einem Stauproblem zu leiden haben.

Daher wird die voraussichtliche Realität wohl so aussehen: Macau Fahrer werden die Brücke gar nicht nutzen können. Der Fahrer aus Hong Kong darf bis zu seinem Checkpoint fahren darf und muss dann, um in die anderen zwei Städte zu gelangen, in ein anderes Vehikel umsteigen. Dasselbe gilt auch für Passagiere aus Festland China. Davor muss er die Sicherheitskontrolle seiner Region durchlaufen, und dann auf der Gegenseite einmal durch den Zoll gehen. Unter Umständen kommt noch eine Mautstation dazu: Im Dezember will Guangdong eine Konsultation abhalten, ob man sie einführen möchte und wenn ja, wie hoch sie sein soll. Schließlich muss man irgendwie die Kosten dieses Infrastrukturprojektes wieder reinholen.

All diese Probleme haben auch innerhalb Chinas zu angeregten Diskussionen geführt. Anfang November zirkulierte ein „Industriebericht“, verfasst von einem unbekannten Autor, der die diversen Probleme dezidiert beschrieb und die Leser fragt: „Lohnt es sich wirklich, für diese Brücke Milliarden auszugeben?“ Die Antwort des Verfassers selbst ist düster, er sagt eine „finanzielle Katerstrophe“ voraus, denn er sieht nicht, wie man die Ausgaben in den nächsten Jahren wieder hereinholen kann.  

Aber in China denkt man nicht in kurzen Zeiträumen von ein paar Jahren. Die Lebensspanne der Brücke soll 120 Jahre betragen. Das „ein Land, zwei Systeme“ Modell hat Peking nur für 50 Jahre garantiert. In 2047 also läuft Hong Kong und Macaus Erlaubnis ab, sich selbst regieren und ihre eigenen Angelegenheiten nach ihren eigenen Gesetzen regeln zu dürfen. Dann braucht vermutlich auch keiner mehr eine spezielle Lizenz, um die Brücke nutzen zu müssen. 

Doch bis dahin werden die Anwohner einfach die Fähre benutzen, die alle drei Städte miteinander verbindet: eine einfache Economy Class Fahrt kostet höchstens 25 Euro, man braucht ungefähr eine Stunde, und umsteigen muss man auch nicht. Und eine beliebte Reisetipp-Seite erklärt: „Eine Ticketreservierung ist nicht nötig. Es findet sich immer ein Platz.“

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