Mittelmeer Tausende Flüchtlinge vor Ertrinken gerettet

Auf dem Mittelmeer spielen sich Szenen ab, die private Hilfsorganisationen so noch nicht erlebt haben. Am Osterwochenende werden mehrere Tausend Menschen gerettet – doch dann geraten zwei deutsche NGO selbst in Seenot.

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Mehrere Hilfsorganisation versuchen, Migranten auf einem tunesischen Fischerboot zu retten. Quelle: Reuters

Rom Mehrere Tausend Menschen sind am Osterwochenende von privaten Hilfsorganisationen aus Seenot gerettet worden. Angesichts der ungewöhnlich hohen Zahl an Flüchtlingen und Migranten wurden die deutsche Hilfsorganisationen selbst zum Seenotrettungsfall. Am Sonntag setzte die Iuventa Jugend rettet ein Notsignal ab, am Ostermontag folgte das Schiff Sea Eye. Beide Schiffe waren mit geretteten Flüchtlingen in unruhiger See überladen. Nach den Notrufen kamen ihnen andere Schiffe zur Hilfe. Für zehn Flüchtlinge sei aber jede Hilfe zu spät gekommen. „Sie sind mit Sicherheit ertrunken, weil sie keine Schwimmwesten hatten“, sagte der Sprecher der Initiative Sea Eye, Hans-Peter Buschheuer.

Am Montag zeichnete sich nach Stunden des Wartens Hilfe ab. Die zentrale Seenotrettungsleitstelle (MRCC) in Rom dirigierte einen 250 Meter langen Tanker zur Iuventa, der dem Rettungsschiff mit 400 Menschen an Bord Schutz vor Wind und Wellen gab. „Insofern hat sich die Situation entspannt“, sagte Julian Pahlke, der sich an Bord des Schiffes befindet, am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Rom. Man warte auf ein Schiff aus Malta, das der Hilfsorganisation die Migranten abnehmen und diese ans Festland bringen sollte. Ein deutsches Marineschiff brachte am Montag 1.181 gerettete Flüchtlinge und Migranten ans italienische Festland. 1.267 wurden laut Nachrichtenagentur Ansa am Montag im Hafen von Messina erwartet.

Die Sea Eye mit 210 Menschen an Bord befand sich am Montag nach dem Notruf im Geleit des Tankers La Donna sowie des Küstenwachenschiffs, teilte die Organisation in Regensburg mit. In deren Windschatten solle im Laufe des Nachmittags die Bergung der Migranten stattfinden, sagte Buschheuer. Zwei kleinere Schiffe der italienischen Küstenwache seien aus Lampedusa zugesagt, um die Menschen aufzunehmen.

Am Sonntag hatte sich die Situation für die Seenotretter zugespitzt: „Wir sind komplett manövrierunfähig, weil so viele Personen an Bord sind“, berichtete Pauline Schmidt, Sprecherin der Organisation. „Zusätzlich zieht schlechtes Wetter auf und circa 400 Personen, die meisten Frauen und Kinder, befinden sich ohne Rettungswesten auf Booten in der Nähe.“ Der Kapitän der Iuventa, Kai Kaltegärtner, hatte gesagt: „Wenn keine Hilfe kommt, werden wir Leute verlieren.“ Denn die Geretteten befinden sich auf dem offenen Deck des Schiffes.

Die privaten Retter sprachen am Wochenende von einer beispiellosen Situation auf dem Mittelmeer. Am Freitag hatten mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGO) nach eigenen Angaben 1.800 bis 2.000 Menschen von Schlauch- und Holzbooten gerettet. Am Samstag machten Iuventa Jugend Rettet, Moas und Sea-Eye weitere 3.000 Flüchtlinge und andere Migranten etwa 20 Meilen von der libyschen Küste entfernt aus. „Das ist so für uns noch nicht da gewesen“, sagte Kaltegärtner. Am Sonntag kamen etwa 1.000 weitere Menschen hinzu. Teilweise seien an Bord eines Bootes 700 Menschen gewesen, sagte der Kapitän. Es seien auch Menschen ertrunken. Wie viele starben, war aber zunächst unklar.

Die Hilfsorganisation SOS Méditerranée sprach auf Twitter von einer „dramatischen Situation“ und einem „absoluten Notfall“. Sie forderte Unterstützung bei der Suche nach Schiffbrüchigen und der Rettung auf dem Mittelmeer. „Wo waren die Frontex-Schiffe, als ein Rettungsschiff einer NGO Unterstützung brauchte, um Tausende Leben zu retten? Wo war die EU?“, twitterte die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Die Nichtregierungsorganisationen fordern von der EU ein Seenotrettungsprogramm.

Die Grünen-Chefin Simone Peter warnte, die zivilen Einsatzkräfte seien durch den Dauereinsatz auf hoher See am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. „Frontex und die EU müssen umgehend Soforthilfe leisten, um weitere Tote zu verhindern“, stand in einer Mitteilung vom Sonntag.

Auf der gefährlichen Flucht von Afrika nach Europa über das Mittelmeer starben seit Jahresbeginn fast 800 Menschen, wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) berichtete. Oftmals schicken Schlepper die Flüchtlinge in nicht seetüchtigen Booten auf das Mittelmeer. Die Anarchie in Libyen, das sich seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 im Bürgerkriegschaos befindet, begünstigt das Geschäft der Menschenhändler.

Die zentrale Mittelmeerroute gilt als gefährlichste. Doch auch auf der östlichen Route zwischen Griechenland und Italien war am Samstag wieder ein Boot in Seenot geraten. Unter den 48 Migranten an Bord waren 13 Minderjährige.

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