Moldawien Die Apfelrepublik kämpft um Investoren

Mit Charme und Chuzpe wirbt das ärmste Land Europas um Investoren – auch aus Deutschland.

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Rathaus Kischinau (Moldawien)

Pavel Lupacescu bittet zum Tanz. Eben noch hielt der Handelskammer-Chef eine gepflegte Tischrede über die Standortvorteile Moldawiens, doch plötzlich zieht er die verdutzten Teilnehmer der ausländischen Unternehmerdelegation mit unwiderstehlichem Schwung aufs Parkett. Bei der Polka zu wilden Akkordeonklängen wird klar: Wenn sie um Investoren werben, setzen Lupacescu und seine Mitarbeiter von der moldauischen Wirtschaftsförderung auf vollen Körpereinsatz – sowie reichlich Alkohol und gutes Essen. Das ist auch nötig, denn das ärmste Land Europas ist alles andere als ein Mekka für internationale Unternehmen. Im weltweiten Wohlstandsindex der Vereinten Nationen landet Moldawien nur auf Rang 99 – der schlechteste Wert unter allen Staaten des europäischen Kontinents.

Hierzulande kennt kaum jemand die Republik Moldau – so die offizielle Bezeichnung des nur rund vier Millionen Einwohner zählenden Binnenstaats zwischen Rumänien und der Ukraine. Der Zerfall der Sowjetunion vor 20 Jahren entließ das umgangssprachlich meist Moldawien genannte Land in die Unabhängigkeit. Seither ringt die junge Demokratie um den ökonomischen Anschluss an den Westen und kämpft tapfer gegen Korruption, Braindrain und Separatismus. Ein schmaler Streifen im Osten des Landes entzieht sich – als wären der Probleme nicht genug – dem Einfluss der moldauischen Regierung. Das obskure Gebilde mit dem düster klingenden Namen Transnistrien ist kein offiziell anerkannter Staat und wird faktisch von einem autoritären Clan beherrscht.

Der traurige Premier

Das klingt nach Bananenrepublik, doch diese Bezeichnung hören die Moldauer gar nicht gern. Viel lieber würden sie ihr Land auf den Spitznamen „Apfelrepublik“ taufen, denn dank warmer Sommer gedeihen die Gesundheit spendenden Früchte prächtig auf den ländlichen Obstplantagen. „Wir sind die einzige echte Demokratie unter den Ex-Sowjetstaaten“, sagt Igor Botan, Direktor eines Polit-Thinktanks in der Hauptstadt Kischinau. Doch der Kampf des kleinen Landes um Freiheit, Rechtsstaat und Wohlstand ist noch längst nicht gewonnen.

Angesichts dieser Herausforderungen dürfte kein Politiker der Welt mit Moldawiens Regierungschef Vlad Filat tauschen wollen. Wahrscheinlich aus diesem Grund blickt der Politiker zuweilen so melancholisch drein, dass man ihn als den „traurigen Premier“ bezeichnen möchte. Doch der Mann hat Kampfgeist. Nach endlosen Koalitionsverhandlungen verhinderte er unlängst eine Regierungsbeteiligung der Altkommunisten, obwohl diese bei der Parlamentswahl Ende 2010 auf 40 Prozent der Stimmen kamen.

Republik Moldau

Was hat der Politiker jetzt mit Moldawien vor? „Freie Marktwirtschaft ist ein fundamentales Prinzip unserer Regierungsarbeit“, versichert der Premier westlichen Journalisten, denen er einzeln die Hände schüttelt und freundschaftlich auf die Schultern klopft. Doch schon setzt er wieder den traurigen Dackelblick auf und gibt zu: „Mangelnde Rechtssicherheit ist bei uns immer noch ein großes Problem für Investoren aus dem In- und Ausland.“

Fest steht: Allein können die Moldauer den politischen und wirtschaftlichen Aufholprozesses nicht bewältigen. Sie sind auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen und tun deshalb alles, um finanzkräftige Unternehmen anzulocken – vorzugsweise aus West- und Mitteleuropa. So warb Premier Filat Anfang Mai während eines Besuchs in Berlin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel um Unterstützung. Die umtriebigen moldauischen Wirtschaftsfunktionäre können allerdings schon einige Erfolge vorweisen. Auf zwei relativ dicke Fische ist Handelskammermann Pavel Lupacescu besonders stolz.

Dicke Fische

Der Baustoffhersteller Knauf, ein fränkisches Familienunternehmen, hat sich hier niedergelassen, ebenso der Autozulieferer Dräxlmaier aus dem niederbayrischen Vilsbiburg. In der Knauf-Fabrik bei Balti, etwa 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kischinau, läuft feinster Gips vom Band. Das Werksgebäude und seine 150 Mitarbeiter strahlen immer noch Sowjet-Flair aus, doch die Produktion läuft längst mit moderner Technik. Ein elektrischer Riesenarm verpackt die gipsgefüllten Säcke mit akkurat aufgedrucktem Knauf-Siegel für den Transport – das in Balti produzierte Material ist für den moldauischen und rumänischen Markt bestimmt. Per Güterzug kommt der Rohstoff aus einem 130 Kilometer entfernten Steinbruch – die Gleise führen bis aufs Werksgelände.

Wie hoch die Einnahmen oder gar der Gewinn sind, verrät Knauf-Direktor Kasimir Busikewitsch nicht. Nur so viel: Der Gips-Output erreicht in Moldawien mit rechnerisch etwa 20 Kilogramm pro Jahr und Einwohner einen ausgezeichneten Wert. Das Werk des Gipsgiganten ist also nicht von ungefähr wichtigster Gewerbesteuerzahler in Balti und Umgebung sowie einer der bedeutendsten Arbeitgeber. Bürgermeister Vasile Panciuc von der kommunistischen Partei wird nicht müde, das zu betonen.

Angela Merkel mit Moldawiens Quelle: dapd

Für den Autozulieferer Dräxlmaier basteln in Balti 1500 Mitarbeiter Bordnetzsysteme für Pkws der Marken BMW und Audi. Die Montage übernehmen Dräxlmaier-Fabriken in Serbien und Rumänien. Grüppchen von Moldauern pilgern über die staubigen Straßen selbst aus entfernten Dörfern bis ans Werkstor. Dort studieren sie die neuesten Stellenanzeigen und tragen sich mit säuberlichen Lettern in Bewerberlisten ein. Wer in dieser Gegend einen Job sucht, muss weite Wege auf sich nehmen, denn elektronische Stellenbörsen sind ein Fremdwort, und auf dem Land fehlen ohnehin Internet-Anschlüsse. „Die Moldawier sind aufgeschlossen und begabt, haben aber meist wenig industrielle Arbeitserfahrung“, sagt Siegfried Angerer, Osteuropamanager bei Dräxlmaier. Trotzdem wird fleißig eingestellt. Kein Wunder, denn die Monatslöhne in Moldawien liegen im Schnitt bei 200 Euro. Da rentiert es sich für westliche Firmen, auch anfangs weniger produktive Kräfte anzulernen.

Doch Dräxlmaier hat die Fabrik nicht allein wegen der niedrigen Personalkosten in den Norden Moldawiens gebaut. Es gibt noch einen anderen Grund, warum sich die Transporter über enge Landstraßen und holprige Pisten hinauf bis nach Balti quälen müssen. Die Regierung hat dem Unternehmen dort eine eigene Freihandelszone eingerichtet. „Dräxlmaier ist bislang der einzige Investor auf dem Areal“, sagt Marin Ciobanu, der die Zone verwaltet. Ein weiterer Autozulieferer aus Österreich und ein tunesischer Kabelhersteller haben aber ebenfalls Interesse angemeldet. Der Vorteil: Die Unternehmen sparen Einfuhrzölle, und ihre Lieferungen werden rund um die Uhr abgefertigt. Das ist ein schlagendes Argument für Fertigungsbetriebe, die jede Menge Vorprodukte importieren und große Teile ihrer Produktion exportieren. Das Modell scheint erfolgreich zu sein, jedenfalls hat Moldau die zollfreie Zone erweitert. Dräxlmaier hat auf dem neuen Gelände bereits eine Werkshalle und weitere Gebäude aus dem Boden gestampft.

Vielversprechendes Ausland

Doch es sind immer noch zu wenig Investoren, die einigermaßen attraktive Stellen schaffen. Deshalb suchen vor allem junge und mobile Moldauer ihr Glück im Ausland. Kein Wunder, denn die Löhne vor Ort sind ernüchternd. Selbst Beamte bringen nur etwa 300 Euro pro Monat heim, und sogar höhere Manager müssen sich mit 500 Euro monatlich begnügen. Zudem ist die Kaufkraft der moldauischen Währung Leu gering. Tanken kostet im Schnitt immerhin fast 90 Cent je Liter, und für veredelte Lebensmittel oder Kleidung bekannter Marken legt man in Supermärkten oder Kaufhäusern fast so viel hin wie in Deutschland. Die rund acht Euro, die Wirte in der Hauptstadt für ein gepflegtes Schnitzel samt kühlem Bier verlangen, mögen europäischen Besuchern günstig erscheinen. Doch für Moldawier mit Durchschnittsgehalt bleiben Restaurantbesuche ein teures und damit äußerst seltenes Vergnügen. Üppige Bankette, wie sie internationalen Geschäftsleuten aufgetischt werden, können die meisten Einheimischen höchstens durch einen Spalt in der Saaltür beobachten, oder wenn sie einen Job als Kellner oder Tänzerin ergattert haben.

Wohlstandsniveau europäischer Länder Quelle: Vereinte Nationen

Fast jede moldauische Familie stockt daher ihr spärliches Einkommen mithilfe von Angehörigen auf, die etwa auf den Baustellen und in der Gastronomie Westeuropas schuften. „Das hiesige Wirtschaftssystem basiert auf Auswanderung“, sagt ein deutscher Regierungsvertreter, der nicht genannt werden möchte. Das Problem: Überweisungen der Fremdarbeiter kurbeln kaum die Binnenproduktion an, denn die Verbraucher stecken einen großen Teil ihres Budgets in Importe. Vor allem langlebige Konsumgüter wie Laptops, Mobiltelefone oder Autos müssen aus anderen Ländern eingeführt werden. Im Inland fehlen entsprechende Industrien.

Die Stadt der Kinder

Der anhaltende Braindrain lässt diejenigen zurück, die zu alt zum Reisen sind – oder zu klein. Davon zeugt die „Stadt der Kinder“, eigentlich ein Nest von nur 3000 Einwohnern an der Grenze zu Transnistrien. Die moldauische Hauptstadt ist mit 30 Kilometern nicht weit entfernt, doch die Straßen dorthin sind eng und holprig. Hier leben 300 Waisen, betreut von der internationalen Hilfsorganisation Concordia. Der österreichische Baukonzern Strabag hat zu diesem Zweck unentgeltlich eine moderne Anlage mit Wohn- und Gemeinschaftsgebäuden hochgezogen. Auch zahlreiche weitere Concordia-Projekte in Moldawien unterstützt Strabag auf diese Weise. So hilft die Organisation in abgelegenen Dörfern den von ihren Angehörigen zurückgelassenen Alten. Die haben keine Kraft mehr, über im Winter vereiste und im Herbst und Frühjahr schlammige Pfade an den Dorfbrunnen zu stapfen, um Wasser zu zapfen. Auch Brennholz sammeln oder gar Holz hacken kommt für sie nicht mehr infrage. Daher kutschieren Concordia-Leute mit Pferdefuhrwerken den Senioren das Nötigste in ihre Hütten.

Hilfsprojekte wie diese tun not in einem Land, dem viele arbeitsfähige junge Leute den Rücken kehren. Doch die Ursache des Problems lösen sie nicht. Pemier Filat verspricht deshalb umfangreiche Unterstützung für jeden Unternehmer und potenziellen Arbeitgeber mit Interesse an Moldawien. Er weiß, dass seine Bürger nur im Land bleiben, sofern sie gute Stellen finden.

Doch Vorsicht: Wenn die Regierung in Kischinau ausländischen Investoren grünes Licht gibt, heißt es noch lange nicht, dass in der Provinz alles wie am Schnürchen läuft. Die Hauptstadt ist weit, und lokale Behörden und Politiker wollen ebenfalls von Ansiedlungen profitieren. Baltis Bürgermeister Vasile Panciuc soll bei einem Investitionsprojekt schon mal die provokante Frage gestellt haben: „Was hab ich davon?“ Dabei blieb offen, ob er den Vorteil für seine Stadt meinte – oder für seinen Geldbeutel. Solche Widerstände müssen ausländische Investoren vor Ort häufig überwinden. Für gute Geschäfte reicht es also nicht, mit Pavel Lupacescu von der Handelskammer zu tanzen. Aber es kann ein Anfang sein.

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