Nach dem Putschversuch in der Türkei steigt die Zahl der Festnahmen immer weiter an. Innenminister Efkan Ala sagte dem Staatssender TRT am Freitag, inzwischen seien 18.044 Verdächtige mit mutmaßlichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen worden.
Gegen 9677 davon sei Haftbefehl erlassen worden. Um die Flucht von Verdächtigen ins Ausland zu verhindern, wurden nach Alas Angaben bislang 49.211 türkische Reisepässe für ungültig erklärt. Die Regierung beschuldigt den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich zu sein.
Nach Angaben aus Regierungskreisen wurden von den mehr als 18.000 Festgenommenen über 3500 wieder freigelassen, ohne dass Haftbefehl gegen sie erlassen wurde. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat per Notstands-Dekret verfügt, dass Verdächtige bis zu 30 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden können, bevor sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Zuvor waren es vier Tage.
Wie wirkt der Ausnahmezustand in der Türkei über die Grenzen hinaus?
Zehntausende Soldaten und Staatsdiener sind in der Türkei bereits entlassen oder verhaftet worden. Jetzt ist der Ausnahmezustand auch offiziell verkündet. Die Situation nach dem gescheiterten Putschversuch könnte auch hierzulande spürbar werden.
Die Bundesregierung beobachtet die Vorgänge in der Türkei mit zunehmender Besorgnis. Das rigorose Vorgehen der türkischen Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch „übersteigt eine angemessene und verhältnismäßige Antwort“, sagte Innenminister Thomas de Maizière am Donnerstag. Eine Fluchtbewegung von Oppositionellen gibt es zwar noch nicht, das kann sich aber ändern.
Quelle: dpa
Jeder, der sich politisch verfolgt fühlt, kann Asyl in Deutschland beantragen. Die Zahl der asylsuchenden Türken war bisher relativ gering. Im ersten Quartal 2016 gingen bei den Behörden gerade mal 456 Anträge ein. Das ist Platz 20 in der Rangliste der Herkunftsländer. Die Anerkennungsquote lag im vergangenen Jahr bei 1,9 Prozent und damit höher als der Durchschnitt aller Länder von 0,7 Prozent.
Das mag sein, generell kann man das aber nicht sagen. Letztlich kommt es auf den Einzelfall an - zum Beispiel ob jemand nachweisen kann, dass Freunde oder Verwandte bereits verhaftet worden sind. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl geht davon aus, dass die Behörden in Deutschland angesichts der unübersichtlichen Lage in der Türkei Entscheidungen über Asylanträge von dort zunächst zurückstellen. Das werde bei Putschversuchen oder gerade ausbrechenden Bürgerkriegen meistens so gemacht, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.
Die Türkei hat sich dazu verpflichtet, Flüchtlinge zurückzunehmen, die versuchen, über die Ägäis nach Griechenland zu kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht davon aus, dass die Vereinbarungen von den Ereignissen in der Türkei nicht berührt werden. Grundlage des Abkommens bleibe, „dass wir Sicherheiten haben für die Menschen, die von Griechenland zurückgeschickt werden in die Türkei“, sagte sie am Mittwochabend. „Ich habe bis jetzt keinerlei Anzeichen, dass die Türkei an dieser Stelle nicht zu den Verpflichtungen steht.“ Die Entwicklung werde aber sehr intensiv beobachtet.
Das wird nicht in Zweifel gezogen. Die Türkei ist 1952 der Nato beigetreten und damit noch vor der Bundesrepublik Deutschland. Alle drei Militärputsche in der Türkei - 1960, 1971 und 1980 - hatten keinen Einfluss auf die Nato-Mitgliedschaft. Aus Nato-Sicht ist entscheidend, dass die Türkei ihre Verpflichtungen im Verteidigungsbündnis erfüllt. Das ist bisher der Fall. Allerdings versteht sich die Nato auch als politisches Bündnis. Deswegen können auch ihr Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit nicht egal sein.
Bisher macht die Bundesregierung keinerlei Anstalten, die 240 auf der Luftwaffenbasis Incirlik stationierten deutschen Soldaten abzuziehen. Sie sind mit „Tornado“-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug an den Angriffen auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligt. Die Soldaten bekommen von der Lage im Land nur wenig mit, verlassen ihren Stützpunkt nur selten zu dienstlichen Zwecken. Die Zusammenarbeit mit der Türkei im Kampf gegen den IS funktioniert und wird bisher auch nicht in Frage gestellt.
Die EU hat eine rote Linie gezogen: Wird die Todesstrafe wieder eingeführt, ist für die Türkei kein Platz in der Europäischen Union. Aber auch unabhängig davon ist ein Beitritt derzeit unrealistischer denn je. Zu weit ist die Türkei von den Standards entfernt, die von der EU beim Thema Rechtsstaatlichkeit verlangt werden.
Das Grundgesetz sah ursprünglich keinen Ausnahmezustand oder Notstand vor. 1968 setzte die damalige große Koalition mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit gegen den erbitterten Widerstand der selbsternannten außerparlamentarischen Opposition (APO) 28 Grundgesetzänderungen durch, die so genannten Notstandsgesetze. Danach dürfen bei einer existenziellen Bedrohung des Bundes oder eines Landes oder bei einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung per Gesetz - also nur mit Zustimmung des Bundestages - die Freizügigkeit sowie das Brief- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt werden. Zudem darf die Bundeswehr im Inneren unter bestimmten Bedingungen eingesetzt werden.
Erdogan hatte wegen des Putschversuchs einen 90-tägigen Ausnahmezustand verhängt, der am Donnerstag vergangener Woche landesweit in Kraft trat.
Türkei entbindet Nato-Generäle von Aufgaben
Die türkische Regierung hat mehrere Generäle von ihren Aufgaben bei der Nato entbunden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sind die zwei türkischen Mitglieder im Führungsstab des Afghanistan-Einsatzes von der „Säuberungsaktion“ betroffen. Zudem wurde bereits kurz nach dem Umsturzversuch der türkische Stabschef im Landstreitkräfte-Hauptquartier in Izmir festgenommen.
Die EU-Kommission betätigte, dass ihren Informationen zufolge auch türkische Diplomaten im Visier von Ermittlungen zum Putschversuch stehen. Nach Informationen der dpa sollen weltweit bereits mindestens 88 Personen von ihren Posten abberufen worden sein – darunter auch Botschafter. Ob jeder Fall im Zusammenhang mit den laufenden „Säuberungen“ steht, ist unklar.
Die Nato wollte sich am Freitag nicht zu einzelnen Personalien äußern. Ein Sprecher bestätigte allerdings, dass die Türkei die militärischen Gremien des Bündnisses über die Abberufung von Personal informiert habe. Auswirkungen auf von der Nato geführte Einsätze haben die Abberufungen den Angaben zufolge nicht.
Inwieweit die abgesetzten Nato-Generäle in den Putschversuch gegen die türkische Regierung involviert waren, ist unklar. Nach Angaben aus Bündniskreisen wurden nach dem Stabschef aus Izmir mittlerweile auch die zwei Spitzenmilitärs aus dem Hauptquartier des Afghanistan-Einsatzes festgesetzt.
In Brüssel musste nach dpa-Informationen mindestens eine Diplomatin der türkischen EU-Mission ihre Koffer packen. Zwei Mitarbeiter des Außenministeriums im Rang eines Botschafters sollen beurlaubt worden sein. Dienstort der beiden sei Ankara. Unter türkischen Diplomaten gehe die Angst um, heißt es in Brüssel.
Bei der EU wurde betont, dass die türkische Regierung selbstverständlich das Recht habe, Fehlverhalten und Straftaten zu ahnden, solange die Betroffenen faire Verfahren bekämen.