Nach der Wahl in Südkorea Den Neuanfang wagen

Auf Südkoreas neuen Präsidenten Moon Jae-in warten nicht nur diplomatische Hürden. Sein Land braucht ein neues Geschäftsmodell. Der Präsident weiß, dass er liefern muss und krempelt die Ärmel hoch. Ein Kommentar.

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Tokio Der Siegestaumel von Südkoreas neuem Präsidentin Moon Jae-in fiel nüchtern aus. Statt einem großen Auftritt vor Menschenmassen beschränkte er sich am Tag nach seinem Wahlsieg darauf, aus dem Schiebedach einer schwarzen Stretchlimousine Wählern zuzuwinken, die am Straßenrand Spalier standen. Denn sofort nachdem die Wahlkommission am Mittwochmorgen um 8:09 Uhr seinen Wahlsieg amtlich gemacht hatte, ersetzte Moon Interimspräsident Hwang Kyo-ahn, der seit der Amtsenthebung der Vorgängerin Park Geun-hye kommissarisch die Regierungsgeschäfte geführt hatte. Und Moon krempelte demonstrativ die Ärmel hoch.

Die größte mediale Aufmerksamkeit erheischte dabei seine Nordkorea-Politik. Konservative hatten gewarnt, dass er mit einer Neuauflage einer kommunistenfreundlichen „Sonnenscheinpolitik“ seiner liberalen Vorgänger die Beziehungen zu US-Präsident Donald Trump gefährden könnte. Doch Moon meisterte die erste diplomatische Hürde pragmatisch. Bei seiner Blitzvereidigung im Parlament legte er umgehend sein Versprechen zu den Akten, zuerst Nordkorea besuchen zu wollen. Stattdessen versprach er, „sofort nach Washington fliegen“. Dort will er mit Trump über neue Wegen sprechen, die nationale Krise rasch zu lösen.

Doch Moons größte Herausforderung wartet daheim. Er verspricht, Südkoreas Wirtschaft wieder stark und das Land stolz zu machen. Aber dazu muss der ehemalige Studentenaktivist und spätere Menschenrechtsanwalt in den nächsten Jahren endlich schaffen, was seinen Vorgängern nicht gelungen ist: ein neues Geschäftsmodell für die Korea AG definieren.

Es ist eine Mammutaufgabe. Denn er muss gleichzeitig die gefährliche Abhängigkeit der viertgrößten Volkswirtschaft Asiens von seinen Großkonzernen senken und einen modernen, global wettbewerbsfähigen Mittelstand als neuen Wachstumsmotor aufbauen. Denn die bisherige Erfolgsmasche des asiatischen Entwicklungswunders hat ausgedient.

Das spektakulärste Zeichen dafür sind die Amtsenthebung Park sowie die Korruptionsprozesse gegen die inhaftierte Ex-Präsidentin und zwei weitere Aushängeschilder der Korea AG: Lee Jae-yong, den faktischen Chef des größten Familienimperiums Samsung, und Shin Dong-bin, den Chef der Lotte-Gruppe. Mit ihnen steht perfekt personifiziert die negative Begleiterscheinung von Südkoreas Entwicklungssprint am Pranger: Der koreanische Klüngel, bei dem die Grenzen zwischen Erpressung und Bestechung verfließen.

Parks Vater, der Diktator Park Chung-hee, konzentrierte die kargen Ressourcen des Landes auf einige Unternehmerfamilien – mit großem Erfolg. Innerhalb einer Generation trieb dieses Gespann Südkorea vom bitterarmen Bauernstaat zur reichen Industrienation. Dabei halfen die Konzerne, wenn die Regierung rief. Und die Beamten halfen den Firmen, wenn die Konzerne zahlten. Manchmal passierte auch beides wie der Fall Park zeigt.

Südkoreas erstes weibliches Staatsoberhaupt soll die Patriarchen der Konglomerate um Spenden für ihre Freundin und enge informelle Beraterin Choi Soon-sil gebeten haben, mit der Park zur Empörung vieler Koreaner neben ihren Sorgen auch Staatsgeheimnisse teilte. Und die Dynastien überwiesen rund 60 Millionen Euro. Bei einer Weigerung hätten sie Repressalien befürchtet, so ihre Rechtfertigung. Doch Samsung und Lotte wirft die Staatsanwaltschaft vor, sich nebenbei Chois Hilfe bei wichtigen Projekten eingehandelt zu haben.

Die Mehrheit der Koreaner akzeptiert diese Symbiose aus Macht und Geld schon lange nicht mehr und fordert mehr Chancengleichheit. Nicht umsonst hatten sie Anfang der 2000er Jahre zwei progressive Kandidaten gewählt. Selbst ihre konservativen Nachfolger mussten wie Park „wirtschaftliche Demokratisierung“ versprechen, um gewählt zu werden.

Schon Park förderte daher Startups und setzte 2016 harte Anti-Bestechungsgesetze für den öffentlichen Sektor um. Doch ihr eigener Fall zeigte, dass sie die Probleme nicht gelöst hat. Stattdessen gefährdet Südkoreas strukturelle Schwäche, jene extreme Konzentration wirtschaftlicher Macht, immer stärker das wirtschaftliche Überleben und den sozialen Zusammenhalt der Nation.

Seit Samsung binnen weniger Jahre Finnlands Handyweltmarktführer Nokia mit Smartphones killte, regiert in Südkorea die Angst vor der Abhängigkeit von den eigenen Riesen. Und die Sorge ist berechtigt. Die Firmen des Samsung-Imperiums erwirtschaften rund ein Fünftel der Wirtschaftsleistung und ähnlich viel vom Export.


Praxisnähe statt Paukhölle

Wenn Samsung Electronics fällt, das Flaggschiff der Gruppe, droht daher auch Korea zu straucheln. Und wenn wie jetzt Reeder und Werften Pleite gehen, erzittert das Land. Denn da die Konzerne kleine und mittlere Unternehmen auf die Rolle von simplen Hauslieferanten reduziert haben, fehlt in Korea ein selbstbewusster Mittelstand deutscher Prägung, der mögliche Schocks auffangen und vor allem gut bezahlte Jobs bieten kann.

Dummerweise krankt das System inzwischen auch ohne Wirtschaftskrise. In den Augen vieler Koreaner sind die großen Imperien mitschuldig, dass das Land nicht mehr stark wächst und ungerechter wird. Besonders deprimiert ist die Jugend. Nach einer internationalen Vergleichsstudie der britischen Varkey-Stiftung unter 20 Nationen blicken nur Japans junge Leute noch negativer in die Zukunft. Denn immer weniger junge Koreaner finden nach einer jahrelangen, extrem entbehrungsreichen Paukhölle einen der gut bezahlten Jobs bei Großkonzernen. Diese expandieren eher im Ausland.

Selbst die OECD, eine Organisation der reicheren Staaten, fordert von Südkorea daher, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und die zunehmende Spaltung in arm und reich zu bekämpfen. Die gute Nachricht: Moons Wirtschaftsprogramm zeigt, dass er sich der Herausforderung bewusst ist.

Er will die Konglomerate transparenter machen, mit etwas Dirigismus und Konjunkturförderung Jobs schaffen, den Armen helfen, mittelständische Firmen fördern, neue Wachstumsfelder erschließen und die Investitionsbedingungen für ausländische Firmen verbessern.

Gleichzeitig rechnet die Ratingagentur Moody’s damit, dass Moon die Wirtschaftspolitik im Großen und Ganzen fortsetzen wird, anstatt mit extrem linker Politik die Unternehmen zu bremsen. Schließlich hat Moons Partei keine Mehrheit im Parlament und muss daher Kompromisse eingehen.

Paradoxerweise könnte dieser Zwang zum Kompromiss notwendige radikalere Reformen bremsen. Mit auf der Liste sollte eine Erziehungsreform stehen, die nicht nur mehr jungen Koreanern praxisnahe Berufsausbildung liefert. Südkorea sollte auch wie der große Rivale Japan stupides Auswendiglernen durch die Schulung von Kreativität ersetzen. Sonst droht jegliche Förderung des Mittelstands schon am Mangel qualifizierter, selbständig denkender Arbeiter zu scheitern.

Doch bisher hinkt Korea hinter der neuen Zeit hinterher. Dabei schließt sich das Zeitfenster für den Beginn großer Reformen rasch. Denn in der neuen industriellen Revolution wird wahrscheinlich bereits in den kommenden fünf Jahren die Weichen gestellt, welche Firmen zu den großen Gewinnern gehören werden. Moon muss daher rasch beweisen, dass er genug Vision, politische Überzeugungskraft und auch Charakterstärke besitzt, Korea den versprochenen Wandel zu liefern. Ansonsten droht er wie fast alle seine Vorgänger vom Klüngel der Korea AG zurück in den Sumpf gezogen zu werden.

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