Nahost-Experte Bassam Tibi Es gibt keine Lösung für den Syrien-Krieg

Westliche Politiker glauben, Syrien von außen befrieden zu können. Das ist ebenso illusorisch wie Merkels Hoffnung, Millionen junger Syrer in Deutschland einfach integrieren zu können. Die Wurzel des Krieges ist die Gewaltherrschaft der alawitischen Minderheit seit 1970.

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Syrien: Aufsteigender Rauch und zerstörte Wohnhäuser in Aleppo. Quelle: AP

Als Frank-Walter Steinmeier im August beim Diner Républicain in Ascona den „Preis für politische Kultur in Europa“ erhielt, hatte ich eine doppelte Ehre: erstmals dabei sein zu dürfen und dann vom Preisträger persönlich angesprochen zu werden. Der deutsche Außenminister ist in seiner Ehrlichkeit eine Seltenheit unter deutschen Politikern. Er fragte mich nach einer Perspektive für ein Ende des Blutvergießens in meinem Heimatland Syrien. Seit dem Aufstand 2011 der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit (75 Prozent) gegen die Herrschaft der schiitischen Alawiten (10 Prozent) sind mehr als eine halbe Million Menschen umgekommen.

Rund 12 Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht - innerhalb des Landes, im Nahen Osten und in Europa, insbesondere Deutschland. Ich erklärte dem Außenminister die sehr komplexen Zusammenhänge und fügte hinzu, dass es zurzeit keine Lösung gebe, weil es ein protracted conflict sei. Steinmeier wollte dies nicht akzeptieren und lud mich unverbindlich nach Berlin ein.

Zur Person

Ein protracted conflict – der Begriff ist nicht ins Deutsche übersetzbar – ist ein unlösbarer Konflikt. Für Bundeskanzlerin Merkel heißt das: Ihre Politik des Kurierens von Fluchtursachen wird erfolglos bleiben.

Als Professor für Internationale Beziehungen habe ich an Universitäten auf vier Kontinenten gelehrt und die Unterscheidung zwischen lösbaren und nichtlösbaren Konflikten gelernt. Die Lösung von Konflikten kann militärisch - der Sieger diktiert dem Verlierer eine Lösung – oder durch Verhandlungen erfolgen. In beiden Fällen ist die Grundvoraussetzung nicht nur das Vorhandensein klarer Fronten zwischen klar definierten Akteuren, sondern auch eine Messung ihrer Stärke. Bei einer Diffusion der Macht, so wie in Syrien der Fall, ist dies nicht möglich.  

Nur die Staatsfront ist in Syrien klar definiert: die Alawiten besitzen ein Monopol sowohl des politischen Apparates als auch der militärischen Macht. Die Armee, Luftwaffe, Geheimdienste und Polizei werden von alawitischen Offizieren dominiert. Die Opposition hat dagegen nur irreguläre Djihadisten. Es gibt drei große sunnitische militärische Akteure, zwei davon islamistisch: IS und Jabhat Fatah al-Sham (früher al-Nusra). Die dritte, die Freie syrische Armee, ist nur islamisch. Aber dazu kommen noch mindestens 105 unüberschaubare Milizen aller Couleurs. Das einzige, worüber diese Partisanen sich einig sind, ist das Ziel: „Weg mit den Alawiten.“

Obwohl ich Gegner des irregulären Krieges des Djihadismus bin, lehne ich den amerikanischen und europäischen Jargon für die islamistischen Krieger  - „Terroristen“ – ab. Denn Terror verübt auch die syrisch-alawitische Luftwaffe, die völkerrechtswidrig die Zivilbevölkerung bombardiert. Die Alawiten befürchten zu Recht eine sunnitische Kollektivrache und deswegen würden sie, wie ein CIA-Mann im Nachrichtensender CNN sagte, „to the last man“ kämpfen. Wie kann es in einem solchen Dickicht eine Lösung geben?

Die Akteure im Syrien-Konflikt

Die innersyrische Lage wird noch durch die Einmischung externer Akteure  - regionale und internationale - erheblich kompliziert. Als Syrer ärgert mich das dumme Geschwätz westlicher „Experten“ von einem „Stellvertreterkrieg“. Weder sind die schiitischen Alawiten ein Proxy von Iran, noch sind die Sunniten ein Proxy von Saudi-Arabien und Katar. Richtig ist, dass diese Staaten und die Türkei sich einmischen, aber sie verursachen den Konflikt nicht.

Noch komplizierter wird es dadurch, dass die Djihadisten als irreguläre Akteure einen „irregular war“ führen – und nicht alle Syrer sind. Unter ihnen sind nichtarabische Muslime, z.B. Tschetschenen, und arabische Nordafrikaner auf der sunnitischen Seite und irreguläre Schiiten, z.B. die Hisbollah, bei den Alawiten.

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