Nahost-Experte Wilfried Buchta "Syrien-Konflikt dauert noch mindestens zehn Jahre"

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"Es herrscht ein erbitterter kalter Krieg"

Die Nähe des Iraks zum Iran ist aus Sicht Saudi-Arabiens, der Schutzmacht der Sunniten  und des größten Widersachers des Irans, eine große Gefahr. Was befürchten die Saudis?
Saudi-Arabien steht mit dem Iran in einem Konflikt um die Rolle der führenden Hegemonial-Macht im Nahen Osten. Sie fürchten, dass sich der politische Einflussgewinn der Iraner in Syrien und im Irak dauerhaft verfestigt und zu einer Dominanz der Schiiten im ganzen Nahen Osten führt. Deswegen kämpft Saudi-Arabien mit allen Mitteln dagegen an.

Die Akteure im Syrien-Konflikt

Konkreter?
Seit den Fünfziger- und Sechzigerjahren verbreitet Saudi-Arabien, gestützt auf Milliarden an Petrodollars, mit Erfolg seinen extrem unduldsamen wahhabitischen Islam. So finanziert es Tausende salafistischer Moscheen in aller Welt, aber auch salafistische und dschihadistische Milizen, darunter auch die, die gegen Assad kämpfen. Saudi-Arabien will eine salafistische Regierung in Syrien an der Macht sehen. Umgekehrt verfahren die Iraner genauso und finanzieren und bewaffnen schiitische Milizen, sei es im Irak, Libanon, Syrien und Jemen. Es herrscht ein erbitterter kalter Krieg zwischen beiden Mächten, die  jedoch tunlichst vermeiden direkt miteinander in einen leicht eskalier fähigen Konflikt zu geraten. Stattdessen benutzen sie Stellvertreter.

Schiiten und Sunniten

Der Wahhabismus der Saudis ist eine besonders aggressive und intolerante Spielart des Islams. Hat dessen Verbreitung in aller Welt durch die Saudis zum Aufstieg des IS beigetragen?
Saudi-Arabien hat den IS nicht direkt und aktiv unterstützt, aber die Ideologie des Wahhabismus ist zu 98 Prozent identisch mit dem, was der IS religiös vertritt und politisch will. Der einzige große Unterschied besteht darin, dass der IS die Monarchie als Prinzip und damit auch den Herrschaftsanspruch der Königsfamilie Saud entschieden ablehnt.  Der IS will ein Kalifat. Abgesehen davon setzen Wahhabisten wie Salafisten aber gleichermaßen auf die Ablehnung aller anderen Religionen und die Ausgrenzung von religiösen Minderheiten innerhalb des Islams. Mit dem Export des Wahhabismus haben die Saudis auch der radikalen Islam-Auslegung des IS den Boden in aller Welt bereitet.

Was müsste passieren, damit sich Sunniten und Schiiten einander annähern könnten?
Aufgrund der sehr tiefen theologischen Unterschiede auf religiöser Ebene kann es faktisch keine Annäherung geben. Dafür wäre eine Neuschreibung der gemeinsamen, von konfliktträchtigen Legenden bestimmten Geschichte notwendig. Das wiederum erforderte einen lagerübergreifenden Konsens zwischen den führenden Theologen der Sunniten und der Schiiten, unabhängig von den jeweiligen politischen Interessen der Machthaber im Iran, Saudi-Arabien und Ägypten. Das jedoch ist nicht einmal in Ansätzen gegeben. Es gibt keine Aussicht darauf, dass sich die extrem divergierenden Geschichtsbilder in den nächsten Jahrzehnten annähern werden.

Die gefährlichsten Krisengebiete der Welt
Syrien und IrakIn den Konflikten in Syrien und im Irak gehört die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu den stärksten Kriegsparteien. Sie beherrscht in beiden Ländern große Gebiete, in denen sie ein „Kalifat“ errichtet hat. Im syrischen Bürgerkrieg bekämpfen sich zudem das Regime und seine Gegner. Die Armee ist mit starker Hilfe von Kämpfern aus dem Iran, von der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah sowie von der russischen Luftwaffe auf dem Vormarsch. Die moderate Opposition wird vom Westen unterstützt. Quelle: AP
Ukraine Quelle: dpa
Nigeria Quelle: dpa
Libyen Quelle: dpa
Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer Quelle: dpa
Nordkorea Quelle: dpa
Afghanistan Quelle: dpa

Sowohl unter den Sunniten wie unter den Schiiten gab es zahlreiche Reformer, die den Streit zwischen beiden Konfessionen befrieden wollten. Heute sind sie nahezu allesamt tot. Warum konnten sie sich nie durchsetzen?
Es gab Ansätze von den Vierzigern bis in die Siebzigerjahre, sie wurden aber gewaltsam erstickt. Wer historisch-kritische Deutungsmethoden an den Koran oder die Scharia anlegt, der berührt nicht nur die Grundfesten der Religion, sondern immer auch die der Politik. Es gibt bis heute ein Kanzel- und Thron-Bündnis von regierungstreuen Klerikern und den Machthabern – das findet sich in fast jedem islamischen Staat. Die Machthaber instrumentalisieren den Theologenstand für ihre Zwecke. Sie bezahlen die religiösen Schriftgelehrten und nehmen somit Einfluss auf ihre Predigten. Die Machthaber achten im Gegenzug darauf, dass die Legitimität der Interpreten des konservativ-orthodoxen Islams unangetastet bleibt.

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