Nahost-Konflikt Szenarien für die Zukunft des Gazastreifens

Die Kämpfe sind erbittert und die Bemühungen um eine Waffenruhe werden immer mehr zur Farce – die Situation im Gazastreifen ist derzeit völlig verfahren. Dennoch gibt einige Szenarien wie der Konflikt enden könnte.

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Die Bombardements von Gaza dauern an: Es ist bereits der längste bewaffnete Konflikt Israels seit dem Libanon-Krieg 2006. Quelle: ap

Tel Aviv Die Kämpfe werden erbittert geführt, die Zahl der Toten steigt täglich und die Bemühungen um eine Waffenruhe stocken. Zudem ist die öffentliche Diskussion geprägt von Drohungen und Kriegsrhetorik – die Situation im Gazastreifen ist derzeit völlig verfahren.

Wie alles enden wird, ist nicht abzusehen. Aber es gibt zumindest einige mögliche Szenarien. Denn angesichts der hohen Zahl von Toten wächst das Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann.

Szenario 1: Israel erklärt sich zum Sieger und zieht ab

Wenn man der israelischen Führung genau zuhört, ist das Ziel der Militäroperation, die Tunnel der Hamas im Gazastreifen zu zerstören, die für Angriffe auf Israel genutzt werden. Nach Angaben des Militärs wurden bislang mehr als 20 dieser Gänge vernichtet, gut 30 sind bislang bekannt. Wenn diese Aufgabe erledigt ist, könnte sich Israel wieder zurückziehen und sogar eine einseitige Waffenruhe verkünden – in der Hoffnung, die Hamas käme angesichts der Zerstörung zur Besinnung. Dann würde man wieder zum Status vor der Offensive zurückkehren: Keine Raketen auf Israel, dafür auch keine Vergeltungsangriffe mit Flugzeugen und kein Beschuss von Gaza.

Dass das funktioniert, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Hamas hat den Menschen im Gazastreifen so viel abverlangt, dass diese jetzt zumindest eine Lockerung der jahrelangen Blockade erwarten. Alles andere wäre ein Gesichtsverlust für die Hamas. Ohne Lockerung der Abriegelung würden der Raketenbeschuss weitergehen und die Lage vermutlich schnell wieder eskalieren.

Israel könnte entgegen großen Vorbehalten und anderslautenden Beteuerungen den Gazastreifen auch wieder besetzen. Doch das würde Hunderte von Soldaten das Leben kosten. Zudem wäre Israel dann für fast zwei Millionen Menschen in der Region verantwortlich. Dass Israel einen militärischen Sieg erreichen und die Region tatsächlich unter Kontrolle bringen könnte, scheint derzeit unwahrscheinlich. Die Hamas verfügt vermutlich noch über Tausende Raketen, die sie weiter abschießen wird. Und Israel wird weiter zurückschlagen.


Szenario 2: Palästinenser kontrollieren Grenze zu Ägypten

Die Hamas will ein Ende der Blockade, die Israel über den Gazastreifen verhängt hat, nachdem die radikalislamische Organisation im Jahr 2007 die Kontrolle über die Region übernommen hatte. Kleinere israelische Zugeständnisse – etwa bei den Fanggebieten für palästinensische Fischer – sind vorstellbar.

Einen ungehinderten Zugang zum Mittelmeer oder einen Flughafen wird Israel aber nicht zulassen, solange die Hamas den Gazastreifen kontrolliert – aus Sorge, dass sich die Organisation mit noch größeren Raketen und schwereren Waffen eindecken könnte. Auch eine Öffnung der Landgrenzen nach Israel ist unwahrscheinlich – die Erinnerung an die zahlreichen Selbstmordattentate im vergangenen Jahrzehnt sind noch frisch.

Aber es gibt einen plausiblen Weg, die Abriegelung nennenswert zu lockern: Die Öffnung der Südgrenze zu Ägypten, die dann unter die Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde gestellt wird. Diese Lösung hätte den Charme, dass alle Seiten ihr Gesicht wahren könnten: Die Hamas hätte es geschafft, die Blockade zu lockern, die Autonomiebehörde wäre zurück in Gaza, Israel hätte unter Druck nicht allzu viel preisgegeben und Ägypten dürfte sich als erfolgreicher Vermittler feiern lassen.


Szenario 3: Keine Hamas – keine Blockade

Wichtig für das dritte Szenario ist die Tatsache, dass Israel die Blockade des Gazastreifens verhängt hat, weil die Hamas dort die Kontrolle übernommen hat. Damit sollten zwei Dinge erreicht werden: Zum einen sollte die Hamas selbst abgestraft und in ihren Möglichkeiten zur Bewaffnung beschnitten werden, zum anderen für die Menschen ein Anreiz geschaffen werden, gegen die radikalislamische Organisation zu rebellieren. Beides hat nicht funktioniert.

Natürlich könnte sich die Hamas den Forderungen der internationalen Gemeinschaft beugen und Israel als Staat akzeptieren und der Gewalt abschwören. Damit würde die Blockade fallen. Doch damit würde die Hamas auch ihren identitätsstiftenden Kern verlieren: Den bewaffneten Kampf gegen den ihrer Ansicht nach nicht existenzberechtigten Staat Israel. Allerdings wird hier ein grundsätzliches Lösungsprinzip deutlich. Das heißt: Keine Hamas – keine Blockade.

Vor zwei Monaten unterzeichneten der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und die Hamas eine Vereinbarung für eine „Einheitsregierung“. Dass die Hamas damit die Kontrolle über den Gazastreifen aufgeben würde, galt damals als extrem unwahrscheinlich. Doch angesichts der blutigen Kämpfe wird das immer mehr zu einer ernstzunehmenden Option. Sollten größere finanzielle Anreize hinzukommen, wäre es für die Hamas schwierig, sich zu widersetzen.

Die Menschen im Gazastreifen wollen vor allem ihre Lebenssituation verbessern. Der Kampf gegen Israel bis zum letzten Blutstropfen ist für die wenigsten eine Option. Auch international gewinnt die Idee, die Kontrolle der Region in die Hände der Autonomiebehörde zu legen, immer mehr Unterstützung. Spitzendiplomaten aus Deutschland und Frankreich etwa betonten vergangene Woche, dass nur so eine dauerhafte Waffenruhe erreicht werden könne.

Für Israel ist das eine heikle Situation: Was passiert, wenn sich das Land auf eine solche Lösung einlässt und der Raketenbeschuss durch versprengte Kämpfer weitergeht? Wenn die Hamas nicht mehr da ist, würde die internationale Gemeinschaft Israel die harten Vergeltungsschläge, die es in den vergangenen Monaten geführt hat, nicht mehr so einfach durchgehen lassen.

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