Nationalrats-Wahl Rechtsrutsch in Österreich perfekt

Die ÖVP gewinnt in Österreich deutlich. Mit seinem Wahlsieg könnte Kanzlerkandidat Sebastian Kurz der Wirtschaft neuen Schwung verleihen und in der Migrationspolitik näher an Osteuropa rücken.

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Die ÖVP gewinnt die Nationalrats-Wahl in Österreich Quelle: dpa

Wien Eine wirkliche Überraschung ist der Ausgang der österreichischen Wahlen nicht. Die ÖVP mit ihrem Kanzlerkandidaten Sebastian Kurz fuhr erwartungsgemäß den Sieg beim Urnengang am Sonntag ein. Der bisherige Außenminister wird SPÖ-Chef Christian Kern als Bundeskanzler ablösen. Die ÖVP ist mit 31,6 Prozent die stärkste Partei. Das entspricht einem Plus von 7,6 Prozent. Die sozialdemokratische SPÖ kam nach Hochrechnungen am Sonntagabend auf 26,9 Prozent. Die rechtspopulistische FPÖ rutschte mit 26 Prozent auf Platz drei. Die Grünen haben mit 3,9 Prozent den Einzug ins Parlament nicht mehr geschafft. In Österreich gilt die Vier-Prozent-Marke. Hingegen gelang es den liberalen Neos und der Liste Pilz – eine Parteineugründung des früheren Grünen-Politikers Peter Pilz – mit 5,1 und 4,3 Prozent der Einzug in den Nationalrat. Erst am Montag werden allerdings die Briefwahlstimmen ausgezählt, sodass es noch zu Verschiebungen kommen kann.

Noch in dieser Woche wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen dem Wahlsieger Kurz den Regierungsauftrag erteilen. Bereits am Abend gratulierte der frühere Grünen-Chef dem ÖVP-Vorsitzenden zu seinem Ergebnis. Zur Bildung der neuen Regierung gibt es theoretisch verschiedene Optionen. Als wahrscheinliche Variante gilt die Koalition aus ÖVP und FPÖ. Die beiden Parteien verfügen mit 62 beziehungsweise 50 Sitzen im Nationalrat eine große Mehrheit. Im österreichischen Parlament gibt es 183 Mandate. Die SPÖ erreichte nach vorläufigen Hochrechnungen 53 Sitze. Auch die Sozialdemokraten könnten als Juniorpartner mit der ÖVP eine Regierung bilden. Doch das Verhältnis zwischen dem konservativen und sozialdemokratischen Parteichef gilt als schwer belastet. Der schmutzige Wahlkampf hat bei beiden Spitzenkandidaten, Kurz und Kern, tiefe Wunden hinterlassen. Die SPÖ griff ohne Wissen Kerns mit gefälschten Facebook-Seiten den ÖVP-Chef unterhalb der Gürtellinie an.

Noch am Wahlabend warnte der SPÖ-Chef vor einer konservativen-rechtspopulistischen Regierung. „Wir haben es mit einem massiven Rechtsrutsch im Land zu tun“, sagte der bisherige Bundeskanzler auf einer Wahlfeier vor der Parteizentrale beim Wiener Burgtheater. Der 51-jährige erneuerte seine Kritik an den österreichischen Medien. Insbesondere die Boulevardblätter „Österreich“ und „Kronen-Zeitung“ sind den früheren Bahnchef und seiner in der Energiebranche tätigen Ehefrau Evelyn scharf angegangen.

Bei der ÖVP herrschte am Sonntagabend hingegen ungetrübter Jubel. „Der heutige Tag ist ein starker Auftrag dieses Land zu verändern“, sagte Sebastian Kurz im Kursalon Hübner im Wiener Stadtpark. „Ich bin überglücklich, überwältigend“. Dort wurde der ÖVP-Chef stürmisch von mehreren hundert Anhängern gefeiert. „Ich werde mit vollem Einsatz für Veränderung kämpfen“, sagte der 31-Jährige, der einen neuen politischen Stil in Österreich einsetzen will, unter tosendem Applaus.

Für Deutschland wird der Sieg von Kurz Auswirkungen in der Europapolitik haben. Denn der Wahlgewinner hat sich in der Vergangenheit als Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel hervor getan. Im Gegensatz zu Merkel hat Kurz einseitig auf die Schließung der Balkan-Route gesetzt. Die Türkei-Politik der EU und Deutschland hat er wiederholt scharf angegriffen. Viele Positionen in der Migrationspolitik teilt er ohnehin mit Ungarns rechtspopulistischem Premier Viktor Orbán. Kurz wird nach Einschätzung von Diplomaten in Wien daher eine stärkere Annäherung an die Visegrád-Staaten – Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei – suchen, die innerhalb der EU ohnehin bereits eine Art Gegenfraktion in Brüssel gebildet haben.

Den Wirtschaftsstandort Österreich könnte eine Regierung unter Kurz allerdings wieder Flügel verleihen. Denn der ÖVP-Chef verspricht deutliche Steuererleichterung und eine Entbürokratisierung. Damit würde vielen Unternehmen in der überregulierten Alpenrepublik ein jahrelanger Herzenswunsch in Erfüllung gehen. In der Steuerpolitik liegen ohnehin die Position von ÖVP und FPÖ nicht weit auseinander. Mit der Wahl von Sonntag wird Österreich ein neues Kapitel in der Wirtschaftspolitik aufschlagen. Weniger Staat und mehr Freiheit für Unternehmen. Europas designiert jüngster Regierungschef hat an der Nahtstelle zwischen Ost und West viel vor. Am liebsten lässt er sich wegen seiner wirtschaftspolitisch liberalen Haltung mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vergleichen. Doch die Analogie funktioniert nicht, wenn die ÖVP – zum zweiten Mal in der Geschichte – mit der früheren Haider-Partei gemeinsame Sache machen sollte.

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