Drei Zeilen über den Mord an dem russischen Botschafter in der Türkei, Andrej Karlow. Sechs Zeilen über den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin. Und acht Zeilen über sich und seine Wahl zum neuen US-Präsidenten durch das Wahlmännergremium: Donald Trump hat am Montagabend erneut deutlich gemacht, dass er sich selbst am wichtigsten ist.
Mit ein paar Plattitüden erledigt er seine Pflicht und spricht in einem schriftlichen Statement den Opfern in der deutschen Hauptstadt sein Beileid aus. Er sei in Gedanken bei ihnen, versichert Trump und kündigte an, dass er die Terror-Organisation Islamischer Staat gemeinsam mit allen „freiheitsliebenden Partnern“ ausradieren werde.
Nur sechs Minuten später schickt sein Team eine Pressemitteilung „über den Erdrutsch-Sieg“ von Donald Trump raus. Das Electoral College habe ihn mit überragender Mehrheit gewählt – anders als von den Medien antizipiert. Er werde sich daran machen, „Amerika wieder großartig zu machen“.
Donald Trump ist sechs Wochen nach dem Urnengang noch immer im Wahlkampf-Modus. Er genießt seinen Ruhm und feiert sich selbst. Und sieht sich durch den Zuspruch seiner euphorisierten Fans bestätigt, kräftig auszuteilen, zu provozieren und zu poltern. So wie das gesamte Jahr über.
Das liberale Amerika, das gehofft hatte, dass sich Trump nach der Wahl moderater, verantwortungsvoller, kurzum: präsidialer, gibt, stellt ernüchtert fest: Trump denkt gar nicht daran, sich zu mäßigen. Weder auf Twitter noch in seinen öffentlichen Botschaften – und schon gar nicht bei seinen Live-Auftritten. Anstatt sich auf seine Rolle im Amt vorzubereiten, reist er auf der von ihm ins Leben gerufenen „Thank-you-Tour“ und gibt seine Wahlkampfschlager zum Besten.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
„Wir bauen die Mauer (nach Mexiko), macht euch keine Sorgen“, verspricht Trump seinen Wählern am vergangenen Donnerstag in Hershey, Pennsylvania. Die Zeit der Globalisierung sei vorbei, das Wohl Amerikas stehe von nun an wieder an erster Stelle. „Es gibt keine globale Hymne, keine globale Währung, keine globale Flagge“, führt der künftige Präsident aus. „Wir lieben unsere Flagge! Oder!?“ Das Publikum johlt und klatscht, während sich die Moderaten und Liberalen in den USA erschreckt abwenden.
Doch beim Wähler kommt Trumps Art an. Die Sport- und Stadthallen, in denen der Republikaner auftritt, sind nahezu vollbesetzt. In Hershey warteten Tausende Trump-Fans trotz Minustemperaturen über Stunden auf den Einlass. „Die Bürger fühlen sich wieder wertgeschätzt. Ich halte es für einen geschickten Schachzug, dass Trump die Menschen in Iowa, Wisconsin & Co. besucht“, sagt Martin Thunert, Politikwissenschaftler und Dozent am Center for American Studies der Universität Heidelberg. Trump mache genau das, was die Demokraten zuletzt verpasst hätten: Den Dialog mit den Wählern suchen, ihnen das Gefühl geben, die Politik höre ihnen zu und nehme ihre Sorgen ernst. „Die Menschen sind es leid, nur als Stimmvieh betrachtet zu werden.“
Im Gegenzug erhält Donald Trump von seinen Unterstützern einen enormen Vertrauensvorschuss. Bestes Beispiel ist die Reaktion auf dessen Personalauswahl für die neue Regierung. Fast alle Nominierungen von Trump sind umstritten. Für die Politikbeobachter vom „Rolling Stone“ ist das Trump-Team ein einziges „Horror-Kabinett“.
Stephen Bannon wird Chefstratege im Weißen Haus – ein Mann, der sich als Chef der rechten Internetplattform „Breitbart News“ als Islam-Kritiker, Feminismus-Feind und Establishment-Hasser einen Namen gemacht hat. Der designierte Verteidigungsminister James Mattis trägt den Spitznamen „Mad Dog“. Er bekannte einst, es bringe „unglaublichen Spaß“, Taliban, die Frauen schlagen, zu töten.
Und dann sind da noch der neue Außenminister, Ex-Exxon-Chef Rex Tillerson, der neue Energieminister, Rick Perry, und der neue Leiter der Umweltbehörde EPA, Scott Priutt – die allesamt den Klimawandel mehr oder weniger offen bestreiten und Freunde oder gar Nutznießer der Erdölindustrie sind. „Die Ölkonzerne hätten sich kein besseres Kabinett vorstellen können“, sagt US-Experte Thunert.
Die Reaktion der Trump-Wähler auf Personalauswahl und der anschließenden öffentlichen Kritik? Achselzucken.
„Trump muss aufpassen, dass er den Bogen nicht überspannt“
Ein Großteil der 17 Mitglieder der neuen Trump-Regierung, die der künftige Präsident bisher ausgewählt hat, übernimmt zum ersten Mal politische Verantwortung. Die neuen Minister und Berater sind nahezu ausschließlich Vertreter des Anti-Establishment – und weitgehend stinkreich. Gemeinsam verfügen die Auserwählten über ein Vermögen von über 9,5 Milliarden US-Dollar. Und damit mehr als ein Drittel der ärmsten US-Amerikaner, sage und schreibe 43 Millionen Haushalte.
„Sie sind die Besten“, sagt Donald Trump. Seine künftigen Minister würden helfen, „Jobs, Jobs und Jobs in Amerika“ zu schaffen.
Erstaunlich ist, dass seine Wähler dem Reichen-Kabinett das zutrauen. 42 Prozent der US-Bürger glauben laut einer aktuellen Umfrage, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr anziehen wird. Das sind 17 Prozent mehr, als noch vor der Wahl – und satte 20 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die US-Amerikaner blicken damit so optimistisch in die Zukunft wie seit 2008 nicht mehr. 56 Prozent der Bürger gaben an, „bereit zu sein, Donald Trump zu unterstützen“ und mit ihm als Präsidenten „zufrieden zu sein“.
Wirtschaftlich fragwürdig
Den Eindruck verfestigt hat mutmaßlich auch Trumps Rettungsaktion beim US-Klimagerätehersteller Carrier. Das Unternehmen wollte ursprünglich große Teile der Produktion von Indianapolis nach Mexiko verlagern. Trump machte schon im Wahlkampf massiv Stimmung gegen diese Pläne – und einigte sich dann vor Kurzem auf einen „Deal“ mit dem Konzern. Trump versprach Subventionen und weniger Regulierungen und überzeugte Carrier, mindestens 1000 Jobs in Indianapolis halten.
Ordnungspolitiker stöhnen auf. Trump verzerre den Markt, die Regierung mache sich erpressbar. Und: Werden unrentable Jobs in den USA gehalten, gefährde das die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen. „Die Argumente sind schlüssig. Das Problem: Die Betroffenen halten dies für eine arrogante Diskussion der Intellektuellen“, sagt Martin Thunert. Trump hingegen packe an, helfe. Für die Arbeiter bei Carrier ist er – zumindest für den Moment – der Retter.
„Trump weiß, dass es wichtig ist, eine glaubhafte Geschichte erzählen zu können“, so Thunert. Die Rettung der Carrier-Jobs helfe enorm, seinen Ruf als Anti-Establishment-Kandidat, als Retter der Arbeiter, als Deal-Maker zu festigen. „So wirtschaftlich fragwürdig die Aktion war, so genial war sie aus Trumps Sicht für sich und seine Reputation.“
Neben seiner Symbolpolitik hilft Donald Trump die konjunkturelle Entwicklung in den USA. Die Wirtschaft wächst ordentlich: im kommenden Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt um 2,3 Prozent anziehen, glauben OECD und Deutsche Bank. Sollte Trump wie versprochen die Steuern senken und in die Infrastruktur investieren, könnte das Wachstum perspektivisch gar noch höher ausfallen.
Die Konjunkturexperten sind sich einig: Trump bietet Chancen. Gleichzeitig aber ist der Präsident auch ein Risiko. Nämlich dann, wenn er die Kontrolle über sich verliert. So attackierte auf Twitter die US-Großkonzerne Lockheed Martin und Boeing; der Flugzeugbauer stellt gerade zwei neue Air-Force-One-Maschinen her. „Die Kosten seien außer Kontrolle“, kommentierte Trump. „Auftrag stornieren.“ Der Aktienkurs von Boeing gab daraufhin nach.
„Trump muss aufpassen, dass er den Bogen nicht überspannt“, sagt Martin Thunert. Boeing wie Lockheed Martin seien große Arbeitgeber, die hoch bezahlte Jobs in den USA in der Produktion garantieren. „Das ist genau das, was Trump will. Mit denen sollte er es sich also nicht verscherzen.“
Trump spielt ein gefährliches Spiel. Im Versuch, seine Wähler zu begeistern, droht er außenpolitisch jahrzehntelange Verbündete zu verschrecken – und in der Wirtschaft die hervorragenden Geschäftsaussichten der heimischen Industrie zu konterkarieren. Trump wäre gut beraten, sich zu mäßigen – und sich zu ändern, sobald er ins Weiße Haus einzieht. Wahrscheinlich ist das allerdings nicht.