Neue Gefechte In Syrien wird noch scharf geschossen

Fürs neue Jahr haben viele auf ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien gehofft. Doch in den letzten von Rebellen kontrollierten Regionen sind wieder Dutzende Menschen gestorben. Syriens Machthaber Assad hat leichtes Spiel.

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Istanbul Nach mehr als sechs Jahren Bürgerkrieg schien der Frieden zum Greifen nah. Im Herbst vergangenen Jahres hatten die Kampfhandlungen in Syrien abgenommen. Drei sogenannte Garantiestaaten – Russland, Iran und die Türkei – verständigten sich darauf, die Kampfhandlungen in gewissen Bereichen ganz einzustellen, unter anderem in der Region Idlib. Auch wenn die Probleme des Landes noch lange nicht gelöst sind, auch wenn Baschar al-Assad noch an der Macht ist und der IS noch nicht komplett besiegt: Es mehrten sich die Zeichen der Entspannung.

Bis das neue Jahr begann. Bei Luftangriffen in der nordsyrischen Provinz Idlib sind allein am Wochenende 23 Menschen ums Leben gekommen. In der Region Ghouta starben in den vergangenen Tagen bei Gefechten Dutzende Menschen. Auch in der Hauptstadt Damaskus wurden mindestens fünf Menschen bei Angriffen bislang unbekannter Gruppen getötet. Unterdessen gerieten zwei russische Stützpunkte in Syrien unter Beschuss, in mindestens einem Fall durch Drohnen.

Und die Türkei geht jetzt einen ungewöhnlichen Schritt: Ankaras Außenminister Cavusoglu bestellte die Botschafter der beiden anderen Garantiemächte Russland und Iran ein. „Wir haben sie daran erinnert, dass sie die Garantiemächte des Regimes sind“, sagte Cavusoglu im Gespräch mit deutschen Journalisten am Mittwochabend in Antalya.

Der Syrienkrieg geht in eine entscheidende Phase. Der Krieg wird bald vorbei sein. Die Frage ist, wer das Land dann führen wird – und auf welche Art. Während Russlands Staatschef Putin angekündigt hatte, seine Truppen aus Syrien abzuziehen, wollen syrische Regierungstruppen nun die Macht der Führung in Damaskus zementieren – mit viel Gewalt.

Die Provinz Idlib, in der es in den vergangenen Tagen zu Auseinandersetzungen gekommen war, liegt zwischen der Hauptstadt Damaskus und dem einstigen Wirtschaftszentrum Aleppo. Damit ist Idlib strategisch wichtig. Zusätzlich handelt es sich um die einzige Provinz im Land, die noch von Rebellen kontrolliert wird. Die stärkste Rebellenorganisation vor Ort ist Tahrir al-Sham, angeführt von der ehemaligen Nusra Front. In Idlib leben bis zu zwei Millionen Menschen.

Viele sollen inzwischen über die Grenze in die Türkei geflohen sein. Nach Angaben türkischer Hilfsorganisationen haben sich bereits mehr als 100.000 Menschen auf den Weg in die Türkei gemacht. Damit heizen sie die Flüchtlingsthematik in dem Land wieder an. Aktuell beherbergt die Türkei 3,5 Millionen Schutzsuchende, so viele wie kein anderes Land auf der Welt.

Ghouta liegt ebenfalls unweit der Hauptstadt Damaskus und galt ebenfalls lange als Hochburg der syrischen Opposition. Traurige Bekanntheit erlangte der Ort, nachdem die syrische Armee die Region im Jahr 2013 mit Giftgas unter Beschuss genommen hatte. Tausende Menschen wurden getötet, ganz zu schweigen von den Opfern der weiteren Angriffe durch die syrische und russische Luftwaffe.

Seit 2011 tobt in dem Land ein komplexer Bürgerkrieg, dem unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 340.000 und über einer Million Menschen zum Opfer gefallen sind. Am Anfang standen regierungskritische Proteste. Später überrollte die Terrorgruppe IS das Land, bis schließlich Russland 2015 militärisch eingriff, um seinen Verbündeten Assad zu stützen. Inzwischen hat sich der Konflikt zu einem Stellvertreterkrieg ausgeweitet. Neben Russland sind die USA, die Türkei und Iran involviert.

Seit der IS zumindest militärisch als besiegt gilt, konzentrieren sich die syrische und die russische Armee auf die Vernichtung der letzten regierungskritischen Rebellen. Russland und der Iran gelten dabei als Verbündete der Regierung, während die Türkei weiterhin gemäßigte Rebellen unterstützt. „Das Regime hat den Waffenstillstand verletzt, das Regime hat angegriffen, das Regime hat unschuldige Menschen getötet“, kritisierte Cavusoglu. „Wenn das so weitergeht, werden der Astana-Prozess und der mögliche bevorstehende Sotschi-Prozess unterlaufen werden.“

Vertreter der drei Garantiemächte hatten die Provinz Idlib im vergangenen Jahr zu einer sogenannten Deeskalationszone erklärt. Im Klartext: Ende der Kampfhandlungen. Trotzdem nahm die Gewalt in dem Gebiet an der Grenze zur Türkei zuletzt zu. Der syrischen Führung geht es dabei darum, das Land wieder komplett unter Kontrolle zu bringen. Weil der Westen Oppositionsgruppen in dem Land nicht oder nicht mehr aktiv unterstützt, soll damit Assads Macht konsolidiert werden. Er hat militärisch gesehen kaum etwas zu befürchten. Wohl auch deshalb geht er jetzt mit aller Härte gegen seine letzten verbliebenen Gegner vor. Nach dem Motto: Ich zeige euch, wer hier die Hosen anhat.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf der syrischen Regierung nach Angaben der amtlichen türkischen Nachrichtenagentur „Anadolu“ bereits Anfang der Woche vor, eine politische Lösung in Syrien zu untergraben. Unter dem Vorwand, gegen die frühere Al-Nusra-Front zu kämpfen, „greifen die Streitkräfte des Regimes in Syrien auch gemäßigte Oppositionelle an“, sagte Cavusoglu demnach. „Diese Haltung sabotiert den politischen Lösungsprozess.“

Nach den Luftangriffen vom Wochenende hat das türkische Außenministerium in Ankara nun einen Weg gewählt, der so gar nicht zu der diplomatischen Annäherung der drei Garantiemächte passt. Nach den ersten Berichten über die jüngsten Angriffe bestellte Ankara nämlich den russischen und den iranischen Botschafter ein. Grund sei die Beunruhigung über das Vorgehen der syrischen Führung in Idlib. Über den Wortlaut der Gespräche mit den beiden Botschaftern ist bislang nichts bekannt geworden.

Aber Vertreter Russlands, der Türkei und des Irans hatten sich Ende Dezember in Astana auf den 29. und 30. Januar als Termin für einen sogenannten Kongress der Völker Syriens in Sotschi geeinigt. In dem russischen Schwarzmeerort sollen Vertreter syrischer Gruppen dann über eine Nachkriegsordnung für das Bürgerkriegsland verhandeln. Cavusoglu sagte am Mittwoch den anwesenden Journalisten: „Unter diesen Umständen wird die Opposition aller Wahrscheinlichkeit nach nicht dorthin gehen.“

Es geht in Wahrheit um mehr als das. Denn auch unter den Oppositionsgruppen herrscht Streit und eine große Rivalität. So starben bei einem Autobombenanschlag am Wochenende in der Provinz Idlib 43 Menschen. Allerdings befanden sich „nur“ 28 Zivilisten darunter. Der Rest der Getöteten gehörte zu einer tschetschenischen islamistischen Gruppierung, die seit 2015 in Syrien gegen die russische Armee kämpft. Initiator des Angriffs soll eine rivalisierende Oppositionsgruppe gewesen sein.

Zum Jahresbeginn wurde bekannt, dass ein russischer Stützpunkt in dem Land unter massiven Beschuss geraten war. Russland beschwerte sich bereits darüber, dass diese Angriffe auf ihre Militärstützpunkte in Syrien von gemäßigten Oppositionsgruppen initiiert worden sein sollen. Und die werden eigentlich von der Türkei kontrolliert und unterstützt. Cavusoglu betonte am Mittwoch, dass in den vergangenen Monaten auch Terrorgruppen nach Idlib geschleust worden seien, die mit den von der Türkei unterstützten gemäßigten Rebellen nichts gemein hätten.

Mohammed Radwan, ein Hilfsarbeiter in der Region Idlib, sagte Anfang der Woche einem syrischen Medium, dass Zivilisten bereits auf die Straße gingen und demonstrieren. Durch die Rivalität zwischen den Oppositionsgruppen würde der Revolutionsgedanke untergraben. „So wird es für Assad umso leichter, die Kontrolle in den Gebieten zurückzugewinnen.“

Es geht daher auch um die Frage, die auch bei einem Ende des Kriegs in dem Land noch nicht abschließend geklärt sein dürfte: Wie soll man mit den zahllosen verschiedenen Rebellengruppen in dem Land umgehen? So könnte erklärbar werden, warum die syrischen Regierungstruppen mit einer derartigen Brutalität vorgehen.

Was nichts daran ändert, dass einmal aufs Neue viele unschuldige Zivilisten mit ihrem Leben bezahlen müssen – so lange und so oft, bis wirklich Frieden in dem Land herrscht. 

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