Neue Regierung Österreich verspricht Europa die Treue

Österreichs rechte Koalition lässt kein Plebiszit zum EU-Austritt zu. Kanzler Kurz will lieber den Standort stärken – mit Bürokratieabbau und Steuersenkungen. Die Schlüsselressorts besetzen Manager aus der Wirtschaft.

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Wien Auf dem Kahlenberg, hoch über Wien, stellten Österreichs neuer Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Stellvertreter Heinz-Christian Strache (FPÖ) eine Botschaft vor die Präsentation ihres Regierungsprogramms: Die konservativ-rechtspopulistische Koalition will in den kommenden fünf Jahren einen proeuropäischen Kurs fahren. Und das wurde auch in dem 179 Seiten starken Programm unter dem Titel „Zusammen. Für unser Österreich“ so festgeschrieben.

„Wir haben eine proeuropäische Ausrichtung“, unterstrich Kurz, Chef der konservativen ÖVP. „Es koalieren hier zwei Parteien, die Europa aktiv mitgestalten wollen, die sich beide in unserem Regierungsprogramm klar zur Europäischen Union bekannt haben.“ In Anspielung auf die rechtspopulistischen Regierungen in Ungarn und Polen ergänzte Kurz, dass in Österreich „hundertprozentig“ europäisches Recht gelte. Brüsseler Entscheidungen würden respektiert. „Wir stehen zur Europäischen Union“, bestätigte auch Strache, langjähriger Chef der rechtspopulistischen FPÖ. Strache hatte sich früher als scharfer Europakritiker profiliert und damals eine Volksabstimmung über einen möglichen EU-Austritt Österreichs gefordert.

Ein solches Ansinnen ist nun aber vom Tisch. Bei der Stärkung der direkten Demokratie wurde auf ein Plebiszit über die EU-Mitgliedschaft Österreichs verzichtet. Zuvor hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen Druck für eine proeuropäische Ausrichtung der neuen Regierung gemacht. Der frühere Wirtschaftsprofessor war viele Jahre Chef der Grünen. „Der Bundespräsident wünscht sich eine proeuropäische Regierung. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit“, sagte Kurz am Samstagabend.

Österreich wird von Bulgarien im zweiten Halbjahr 2018 die Ratspräsidentschaft in der EU übernehmen. Das war auch einer der Gründe, weshalb Kurz die Zuständigkeit für die Europa-Politik vom Außenministerium ins Kanzleramt geholt hat. Seine Nachfolgerin als Außenministerin wird die Politikwissenschaftlerin und Nahost-Expertin Karin Kneissl. Die parteilose Diplomatin wurde von der FPÖ durchgesetzt.

In Prag forderten Rechtspopulisten unterdessen am Wochenende das Ende der Europäischen Union. An dem Kongress nahmen die Französin Marine Le Pen, der Niederländer Geert Wilders und Tomio Okamura, Chef der rechtsextremistischen SPD in Tschechien, teil. Le Pen, Chefin des rechtspopulistischen Front National, bezeichnete die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich als „sehr gute Nachricht für Europa“. Die FPÖ nahm an dem Treffen in Prag nicht teil.

Die neue Mitte-Rechts-Regierung in Wien hat sich zum Ziel gesetzt, den Wirtschaftsstandort nachhaltig zu stärken. Mit Maßnahmen zur Deregulierung und Bürokratieabbau soll es künftig Unternehmen leichter gemacht werden. Die Ziele reichen von der Zusammenlegung von Bundesbehörden über die Kürzung der Verwaltungskosten um fünf Prozent bis hin zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten. „Wir wollen in Europa zeigen, dass wir ein starker Standort sind“, sagte Kurz.

Er hat als Ziel für die künftige Steuer- und Abgabequote in der Alpenrepublik die Nähe von 40 Prozent ausgegeben. Die neue Regierung hat bereits angekündigt, die Steuer für Hoteliers von bislang 13 auf zehn Prozent senken zu wollen. Der neue Bundeskanzler will auch verstärkt ausländische Investoren nach Österreich locken. „Ich werde mich persönlich auf den Weg machen, um für unser Programm international zu werben“, sagte er auf Nachfrage des Handelsblatts. Erste Ziele würden Deutschland und die Schweiz werden. Die neue Regierung hat konjunkturellen Rückenwind. Für Österreich wird in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent prognostiziert.

Von der einflussreichen Industriellenvereinigung kam am Wochenende bereits Lob für die wirtschaftspolitischen Ziele. „Wichtige und durchaus mutige Impulse für bessere Rahmenbedingungen für Beschäftigte und Unternehmen sowie für Österreichs Zukunft insgesamt“ sagte Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung. „Der nächsten Regierung muss bewusst sein, dass das Land seine Strukturen und Inhalte grundlegend erneuern muss.“

Für den wirtschaftspolitischen Umbau holt Kurz auch Praktiker aus der Wirtschaft in die Regierung. Mit der früheren Österreich-Chefin der Telekom Austria, Margarete Schramböck, hat Kurz eine ausgewiesene Digitalexpertin als neue Wirtschaftsministerin gewonnen, um beispielsweise den Breitband-Ausbau schneller voranzutreiben. Österreich will zum 5-G-Vorreiterland werden. Die Tirolerin war erst vor kurzem von Alejandro Plater, CEO der Telekom Austria, gefeuert worden. Nun begegnet die gebürtige Tirolerin ihrem früheren argentinischen Chef in neuer Funktion. Die Republik Österreich ist nach America Movíl der zweitgrößte Aktionär der Telekom Austria.

Vom börsennotierten Versicherungskonzern Uniqa kommt der neue Finanzminister Hartwig Löger. Der 52-Jährige soll vor allem erfindungsreich sein, die Steuern und Abgaben zu senken und Sparpotenziale zu heben. In der Öffentlichkeit wurde Löger als Präsident der Sportunion, einen der Breitensport-Verbände in Österreich, bekannt.

Alle Minister der neuen türkis-blauen Koalition in Wien sind mit Ausnahme von Kurz neu in der Regierungsverantwortung. Mit 31 Jahren ist der neue Kanzler zudem der jüngste Regierungschef in Europa.

Mit Verteidigungsminister Mario Kunasek und Innenminister Herbert Kickl besetzt die rechtspopulistische FPÖ zwei Schlüsselressorts. Damit sind alle drei Geheimdienste, das Militär und die Polizei in den Händen der Rechtspopulisten. Das hatte in Österreich zu Kritik geführt. Auch Bundespräsident Van der Bellen machte seine Bedenken klar. Mit Karoline Edtstadler als Staatssekretärin im Innenministerium stellt Kurz dem neuen Innenminister Herbert Kickl eine Art Aufpasserin zur Seite. Die 36-jährige Richterin und erfahrene Kämpferin gegen Korruption gilt in der ÖVP als Talent.

Der frühere Kandidat der FPÖ für das Amt des Bundespräsidenten, Norbert Hofer, übernimmt das Infrastrukturministerium. Der gelernte Flugzeugtechniker hatte im vergangenen Jahr das Duell gegen Van der Bellen nur knapp verloren. Vizekanzler Strache wird Minister für den Öffentlichen Dienst und Sport. Er soll für Österreich eine Sportstrategie entwickeln. Bei den vergangenen Olympischen Sommerspielen hatten die österreichischen Athleten für Enttäuschungen gesorgt. In Rio de Janeiro gab es für die Alpenrepublik nur eine Bronzemedaille.

Am Montag will Bundespräsident Van der Bellen die neuen Regierungsmitglieder vereidigen. In Wien haben sich linke und antifaschistische Organisationen zum Protest aufgerufen. Am Dienstag wird sich die neue Regierungsmannschaft im Parlament präsentieren.

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