„Dude... Stop the spread, please“ steht seit einige Tagen auf Plakaten in Wagen der New Yorker U-Bahn. Zu deutsch: „Kumpel, mach bitte beim Sitzen die Beine zusammen“. Die MTA, der Betreiber der Subway, will die männlichen Gäste dazu anhalten, nicht in breitbeiniger Proleten-Haltung in der Bahn zu sitzen, weil das anderen Fahrgästen den Platz wegnehme und weil der Blick zwischen die gespreizten Beine für Mitreisende eine Zumutung darstellen könne.
Nun ja. Als abgestumpfter Vielfahrer der New Yorker U-Bahn war ich erst einmal geneigt zu denken: Ist doch egal, welche Plakate dort hängen. Wo sonst kommerziell geworben wird – Brustimplantate zum günstigen Festpreis, lebensverändernde Seminare mit dem schleimigen Fernsehprediger Joel Osteen, vegetarische Hundeernährung aus dem Online-Shop – verbreitet nun eben die MTA-Sittenpolizei eine gemeinhin ignorierte Botschaft.
Irgendwas mit Sex - oder was mit Männern und Frauen, Machos und Emanzen
Oh Mann, weit gefehlt. Das ganze Netz, so scheint es, ist in heller Aufregung. Schließlich geht es um irgendwas mit Sex oder zumindest mit Männern und Frauen, um scheinbares Machos-Verhalten und scheinbare Emanzen-Empörung, um Political Correctness und amerikanische Prüderie und natürlich um die wohl namhafteste Metropole der Erde. Eben der perfekte Cocktail für den globalen, weil digitalen Stammtisch.
Achtung Netz-Stammtisch! Hier kommt neues Öl fürs Twitter-Feuer: Bei dem einen Plakatmotiv wird es nicht bleiben. Die MTA hat elf weitere Botschaften an ihre Kunden formuliert. Sie werden in den kommenden Monaten auf 183 mal 117 Zentimeter großen Plakaten in 2600 Bahnwagen aufgehängt und per Lautsprecher in Waggons und U-Bahn-Gänge geblasen.
Elfengleich statt Fußballer auf der Ersatzbank
Die New Yorker U-Bahn ist eben nicht nur ein profanes Fortbewegungsmittel. Mit ihren 1,7 Milliarden Fahrgästen pro Jahr ist sie zuvorderst eine Bildungseinrichtung. Sie ist, und da darf man ruhig mal Schillers Bild der Theaterbühne bemühen, eine moralische Anstalt. Wo Menschen 1,7 Milliarden mal pro Jahr mehr oder minder gelangweilt und vor allem mehr oder minder breitbeinig ihrem Fahrtziel entgegenruckeln, sind Plakate eben doch ein Blickfänger und folglich ein machtvolles Instrument der Volksbildung. 1,7 Milliarden Chancen, die Hirne von Menschen zu erreichen, davon kann die New York Times mit ihrer putzigen Zwei-Millionen-Auflage nur träumen.
Die erste MTA-Botschaft ist also angekommen. Wir New Yorker Jungs halten die Beine zusammen, als trügen wir einen Mini-Rock, schlagen sie elegant übereinander, falten uns elfengleich und platzökonomisch auf unsere Sitze, aber nie, nie wieder geben wir den Fußballer auf der Ersatzbank.
Doch wie geht es weiter in der rollenden Volkshochschule? Hier ein Überblick über sämtliche Unterrichtsthemen im Winter- und Sommersemester 2015:
Die Sprüche auf den New Yorker U-Bahn-Plakaten
1. „Treten Sie beiseite und lassen andere austeigen.“ Man soll also nicht schon in den Zug drängen, wenn andere noch am Aussteigen sind. Gut, das kommt manchmal vor, ist dann aber auch kein Drama. Sowieso kein schönes Thema fürs Netz, weil nix mit Mann und Frau und so. Also schnell weiter zu 2.
2. „Behalten Sie Ihr Zeug bei sich.“ Was die MTA wohl damit meint? Die Grippe-Viren beim Nießen? Oder darf ich dem Sitznachbarn kein Hasch anbieten? Da muss sich die MTA noch erklären.
3. „Nehmen Sie den Rucksack ab.“ Ja, das ist ein Problem. Touristen hauen andere Fahrgäste mit ihren mit dicken Rucksäcken oft förmlich aus den Schuhen, wenn sie sich umdrehen – und merken es hinterher noch nicht einmal. Es gibt New Yorker Politiker, die deshalb ein Rucksackverbot fordern. Das ist natürlich nicht durchsetzbar, also sollen es jetzt Plakate richten. Ich fürchte nur, dass die, die sie lesen müssten, die Touristen nämlich, beim U-Bahn-Fahren immer nur in ihre Subway-Pläne starren.
4. „Bieten Sie Ihren Sitz Älteren, Behinderten oder Schwangeren an.“ Man kann ja viel Schlechtes über New Yorker sagen, aber nicht, dass sie das nicht tun würden. Manchmal passiert sogar zu viel des Guten. Nie werde ich die Szene vergessen, als ein Mann einer jungen Frau mit dickem Bauch seinen Platz anbot, sie dankend ablehnte, rot wurde, schnell ausstieg und alle Umstehenden peinlich berührt erkannten, dass sie wohl gar nicht schwanger war.
5. „Nehmen Sie Ihren Müll mit.“ Meine Güte, MTA, welchen Müll? Die Leute lassen fast nichts in der Bahn liegen. Bei sechs Millionen Fahrgästen am Tag könnten die Waggons ganz anders aussehen.
6. „Halten Sie den Lärm in Grenzen.“ Dröhnende Kopfhörer des Nachbarn sind fester Bestandteil des U-Bahn-Alltags. Allerdings werden solche Mini-Konzerte ohnehin vom ohrenbetäubenden Quietschen, Klappern und Donnern der veralteten U-Bahn übertönt. Also liebe MTA, halten Sie den Lärm in Grenzen, indem Sie in neue Züge investieren.
7. „Die Stangen sind für Ihre Sicherheit, nicht für ihre körperliche Ertüchtigung.“ Es gibt wirklich hin und wieder Jugendliche, die an den vertikalen Haltestangen herumturnen. Aber das kommt fast nie vor. Und wenn schon – ist doch gut, wenn sich die Stadtkinder mal ein bisschen bewegen.
8. „Nagelschneiden? Schminken?“ Okay, einen nagelknipsenden Mann habe ich mal gesehen. Das war nicht sehr appetitlich. Aber darf sich eine Frau in der U-Bahn nicht schminken, wenn ihr danach ist?
9. „Sei kein Stangen-Schwein.“ Die MTA meint damit: Man soll sich nicht mit dem Rücken an eine der vertikalen Haltestange lehnen – eben so, wie ein Schwein sich mit dem Rücken an einem Baumstamm kratzt. Das ist praktisch, denn man hat beide Hände frei und kann zum Beispiel eine Zeitung halten. Aber man nimmt natürlich eine ganze Stange in Beschlag, an der sich sonst mehrere Leute festhalten können.
10. „Das ist eine U-Bahn, kein Speisewagen.“ New Yorker machen am liebsten alles gleichzeitig. Aber U-Bahn-Fahren und Essen, das machen erstaunlich wenige. Das Plakat kann die MTA sich sparen.
11. „Blockieren Sie die Türen nicht.“ Mal eben die Tür aufhalten, weil noch jemand angerannt kommt – das ist nett für den einen, aber nervig für Hunderte andere. Aber auch das macht eigentlich fast niemand.
Ich hätte einen Vorschlag für ein weiteres Plakat: „Drucken Sie keine unnützen Plakate, wenn Ihre Organisation 34 Milliarden Dollar Schulden hat.“ Anzubringen im MTA-Hauptsitz, 2 Broadway, NY 10004.