Herr Schiller, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem nordkoreanischen Raketenprogramm. Hat es Sie überrascht, dass Pjöngjang offenbar viel weiter ist als bisher angenommen
Ja und Nein zugleich. Ich habe den Nordkoreanern nie zugetraut, dass sie so etwas alleine hinbekommen. Vor fünf Jahren mussten sie auf Paraden ja noch Attrappen vorführen, weil sie nichts anderes hatten. Ich habe damals gedacht: Die sind Jahrzehnte von funktionsfähigen Interkontinentalraketen entfernt. Aber nun fliegen die Raketen. Allerdings nur, weil sie auf russischen Triebwerken basieren.
Zur Person
Markus Schiller beschäftigt sich seit Jahren mit dem nordkoreanischen Raketenprogramm. Er hat an der TU München im Bereich Raumfahrttechnik promoviert und für die amerikanische RAND-Corporation zum Thema Nordkorea geforscht. Viele Jahre hat er für das Beratungsunternehmen seines Doktorvaters Robert Schmucker gearbeitet. Seit 2015 ist er Chef seines eigenen Beratungsunternehmens „ST Analytics“ für Raketentechnologie.
Auf russischen Triebwerken?
Ja, das gesamte Raketenprogramm der Nordkoreaner konnte doch nur mit russischer Hilfe entstehen. Das fing schon während der 80er Jahre mit sowjetischer Hilfe an und ging in den 90ern weiter als russische Wissenschaftler nach Nordkorea gingen. Um die Jahrtausendwende aber geriet der Austausch ins Stocken. Zumindest haben wir zuletzt kaum noch russische Technik in nordkoreanischen Raketen entdeckt. Jetzt taucht aber plötzlich wieder welche auf. Und zwar gehäuft.
Auslandseinnahmen des nordkoreanischen Regimes
6 Mrd. US-Dollar
Quelle: Schätzungen von Sicherheitsexperten, eigene Recherche
Stand: Juni 2017
Tourismus, Restaurant- und Hotelbetrieb: 50 Mio. US-Dollar
Gastarbeiter: 2 Mrd. US-Dollar
Botschaftsvermietung: >10 Mio. US-Dollar
Waffendeals und Beratung: 2 Mrd. US-Dollar
Cybercrime: 1 Mrd. US-Dollar
Schmuggel, Drogen, Falschgeld: 0,5-1 Mrd. US-Dollar
Haben die Nordkoreaner nicht vielleicht einfach einen technologischen Sprung hingelegt?
Das glaube ich nicht. Wir reden hier über ein Land, dass es noch nicht einmal schafft, seine Stromversorgung sicherzustellen oder vernünftige Druckluftschläuche zu produzieren. Länder wie China oder Russland haben für ähnliche Entwicklungen 15 bis 20 Jahre gebraucht. Und Nordkorea soll es in bloß fünf Jahren schaffen obwohl es mit wirtschaftlichen Sanktionen belegt ist? Das wäre schon sehr verwunderlich.
Der Kreml streitet jegliche Verbindung zu Nordkorea ab. Woher kommen die russischen Bauteile wie etwa die Triebwerke dann?
Man kann sie jedenfalls nicht einfach so am Markt kaufen, gerade weil es Sanktionen gegenüber Nordkorea gibt. Solche Geschäfte funktionieren nur, wenn der Verkäufer gute Verbindungen zur Regierung hat, oder wenn die richtigen Leute aktiv wegschauen. Ich würde der russischen Regierung aber nie unterstellen, dass sie solche Deals von oberster Stelle genehmigt. Es ist genauso gut möglich, dass sehr gut organisierte Kriminelle solche Triebwerke nach Nordkorea schmuggeln, womöglich über Drittländer. Russland und Nordkorea besitzen immerhin eine gemeinsame Grenze.
Haben Sie in Ihren Analysen auch Hinweise auf Bauteile aus anderen Ländern gefunden?
Das Gesamtkonzept der neuen Raketen deutet sehr auf Russland oder die Ukraine hin. Aber wenn es um kleinere Details geht, finden sich oft auch Bauteile aus ganz anderen Ländern. In der Unha-Rakete, eigentlich ein Sattelitenträger, den man aber auch militärisch nutzen kann, fanden sich zum Beispiel Teile aus China, aus der Schweiz oder aus den USA. Solche kleineren Bauteile reisen oft um die ganze Welt.