NSA-Affäre Angela Merkel steht Rede und Antwort

Die NSA-Affäre ist längst eine BND-Affäre und für viele einer der größten Geheimdienstskandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Nun muss Angela Merkel im Untersuchungsausschuss offenlegen, was sie wirklich wusste.

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Heute soll geklärt werden, was die Bundeskanzlerin über das Ausspähen anderer Länder durch den Bundesnachrichtendienst wusste. Quelle: dpa

Berlin Es ist vielleicht der berühmteste Satz in der NSA-Affäre: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte ihn 2013, nachdem bekannt geworden war, dass der US-Geheimdienst NSA wohl auch ihr Handy, das Handy der mächtigsten Frau der Welt, abgehört hat. Aber was wusste Merkel damals wirklich? Inzwischen ist längst klar: Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) hat im großen Stil und über Jahre befreundete Partner, Regierungen sowie Institutionen ausgespäht – und die Aufsicht über den BND liegt beim Kanzleramt.

An diesem Donnerstag soll Merkel als vorerst letzte Zeugin im NSA-Untersuchungsausschuss aussagen. Es ist das Finale, nach drei Jahren und weit mehr als 100 Sitzungen. „Ich hoffe auf einen Tag der Wahrheit und Klarheit“, sagt der Grünen-Angeordnete Hans-Christian Ströbele. Jetzt habe die Kanzlerin die Gelegenheit, „Charakter zu zeigen, Glaubwürdigkeit zu zeigen“. Er hoffe, dass sie sich anders verhält als andere Regierungschefs in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA), etwa ihr Vorvorgänger Helmut Kohl.

Ströbele weiß, wovon er spricht. Der 77-Jährige ist gelebte Geschichte im Bundestag. Es ist seine letzte Legislaturperiode im Bundestag, hat er angekündigt. Aber noch gibt er sich kämpferisch. Gestützt auf einen Gehstock, den berühmten roten Schal um den Hals, steht er in einem lichtdurchfluteten Foyer des Parlaments. Es ist bereits sein fünfter PUA. Kohl befragte er zur Spendenaffäre gleich mehrfach, „und ich hatte immer das Gefühl, dass er mauert“, sagt er der dpa. Von der Kanzlerin erwarte er mehr Auskunftsfreude.

Worum geht es in der Affäre nochmal genau? Ins Rollen gebracht hat sie der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, als er im Juni 2013 die gigantischen, globalen Überwachungsaktionen des US-Geheimdiensts publik machte. Im Berlin nahm im Folgejahr der PUA seine Arbeit auf.

Das Gremium nahm sich viel vor. Es wollte klären, ob und wie Nachrichtendienste der USA, Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands deutsche Daten ausspähten. Auch ob US-Stellen gezielte Tötungen durch Drohnen-Einsätze aus Deutschland gesteuert haben, interessierte die Parlamentarier. Geklärt werden sollte zudem, was die Bundesregierung und deutsche Nachrichtendienste von den Spähaktivitäten wussten und wie eng sie mit ihren ausländischen Partnern zusammenarbeiten. Auch über Konsequenzen sollte beraten werden, so dass Daten von deutschen Unternehmen, Bürgern und staatlichen Stellen besser vor Ausspähungen geschützt werden.


Der BND spähte über Jahre auch befreundete Staaten aus

Stapelweise bekam die Abgeordneten oft geheime, vielfach geschwärzte Akten, stundenlang vernahmen sie hochrangige Politiker, NSA-Aussteiger und Mitarbeiter von BND und Kanzleramt. Im Lauf der Zeit stellte sich heraus, dass der BND ebenfalls über Jahre Daten unter befreundeten Staaten mit bestimmten Suchbegriffen (Selektoren) ausgespäht hat. Dazu zählen E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen. Dies unternahm der BND beileibe nicht nur für die NSA. Er sei „aus allen Wolken“ gefallen, sagt Ströbele, als er gelesen habe, dass der BND dieselben „Schweinereien“ praktizierte.

„Als Merkel ihren berühmten Satz „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“ gesagt hat, wurde im BND sicher herzlich gelacht“, sagt die Linken-Obfrau im Ausschuss, Martina Renner. „In dieser Welt der Geheimdienste geht alles, was den eignen Zwecken und Zielen nützlich ist. Da ist es am Ende des Tages egal, ob es ein politischer Freund ist, oder eben nicht.“

Was der Ausschuss vor allem erreichte: Die teilweise Offenlegung der BND-Ausspähungen. Eine hunderte Seiten umfassende Geheimliste mit BND-Ausspähzielen umfasst laut „Süddeutscher Zeitung“ den langjährigen französischen Außenminister Laurent Fabius, das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, fast jede europäische Regierung, den EU-Rat, die amerikanische Air-Force-Base, Rüstungsunternehmen, Rating-Agenturen, Banken und die OSZE. Der Ausschuss fragte intensiv nach, wie die Ausspähungen abliefen, wer was wann wusste – und er schaffte ein Bewusstsein für das Thema.

Die Linie des Kanzleramts ist klar – seine Vertreter beteuern, der BND habe die Ausspähungen auf eigene Faust gemacht und der Aufsicht in Merkels Dienstsitz erst spät etwas darüber gesagt. Der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) sagte aus, der damalige BND-Präsident Gerhard Schindler habe ihn Ende Oktober 2013 über Ausspähungen befreundeter Botschaften in Krisenländern informiert. Merkel will Pofalla nicht eingeweiht haben. Pofallas Nachfolger Peter Altmaier (CDU) meinte: „Nach allem, was ich weiß, hat das Kanzleramt und die zuständige Abteilung von der Selektorenliste überhaupt erst im März 2015 erfahren.“

Bei aller Aufklärung – an den politisch Verantwortlichen haben sich die Parlamentarier oft die Zähne ausgebissen. Auch der mehrfache Versuch der Opposition, Snowden in den Zeugenstand zu holen, scheiterte bislang. Für Ströbele war es dennoch ein Erfolg: Der PUA sei, nicht zuletzt wegen seines Alters der anstrengendste seiner Karriere gewesen. „Es war aber auch der ertragreichste.“

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