Nukleargipfel Angst vor dem Atomterror

US-Experten warnen: Das Risiko einer nuklearen Katastrophe ist heute größer als im Kalten Krieg. Beim Nukleargipfel in Washington steht das Thema weit oben - aber auch die Terrorgruppe-IS steht im Mittelpunkt.

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Die US-Regierung hält das Risiko eines nuklearen Anschlags für „nicht quantifizierbar“. Quelle: Reuters

Washington Es ist drei Minuten vor zwölf. Bei einem Blick auf die „Doomsday Clock“, mit der Atomforscher die Wahrscheinlichkeit einer globalen Katastrophe angeben, soll dem Betrachter Angst und Bange werden. „Das Risiko einer nuklearen Katastrophe ist heute größer als im Kalten Krieg“, warnt der frühere amerikanische Verteidigungsminister William Perry. „Und die Öffentlichkeit ist sich dessen überhaupt nicht bewusst.“
Was Perry alarmiert, sind nicht nur die geopolitischen Spannungen, die Modernisierung des russischen Kernwaffenarsenals, die Militarisierung des südchinesischen Meeres und die Drohgebärden Nordkoreas. Es ist vor allem die Angst vor einem nuklearen Terroranschlag. Extremisten haben ihr eigenes Kalkül, sie widersetzen sich der bewerten Logik der nuklearen Risikokontrolle. Für einen Todeskult wie den Islamischen Staat in Syrien und im Irak (IS) ist das Gleichgewicht des Schreckens bedeutungslos, die gegenseitige Vernichtungsgarantie eines Atomkriegs ist für religiöse Fanatiker keine Abschreckung, sondern ein Ansporn.

Die US-Regierung hält das Risiko eines nuklearen Anschlags für „nicht quantifizierbar“. Ex-Pentagon-Chef Perry wird konkreter: Er fürchtet, dass „der erste atomare Terrorangriff nur noch eine Frage der Zeit ist“. Die Konsequenzen wären verheerend, „um ein vielfaches schlimmer als die Anschläge vom 11. September 2001“, glaubt Perry.
Aus diesem Grund ist der Nukleargipfel, bei dem Obama am Donnerstag mit Staatenlenkern aus aller Welt zusammensaß, von so großer Bedeutung. Das wichtigste Ziel der Konferenz ist die Sicherung von radioaktivem Material. Zwar wurde der Gipfel von der Abwesenheit Russlands überschattet, der Konflikt um die Zukunft der Ukraine ist noch lange nicht überwunden. Und doch zählen Experten wie Perry die Verhandlungen über Nuklearsicherheit zu den wichtigsten – und vielfach übersehenen – Erfolgen der scheidenden US-Regierung.


Obamas Vision einer kernwaffenfreien Welt

Es war Obama, der, kaum als Präsident vereidigt, an einem Frühlingsmorgen in Prag die Vision einer kernwaffenfreien Welt entwarf. Diese Vision ist geblieben, was sie war: eine Utopie. Und doch hat die Staatengemeinschaft erhebliche Fortschritte bei der Sicherung von hochgefährlichen atomaren Brennstoffen gemacht. Der Washingtoner Gipfel kann auf den Erfolgen der vergangenen Jahre aufbauen.
Das ist die gute Nachricht, wie Perry betont. Die schlechte: Die Terrorgefahr hat sich mit dem Aufstieg des IS drastisch erhöht. Seitdem die Amerikaner al-Qaida aus ihren Schlupfwinkeln in Afghanistan vertrieben haben, wissen die Sicherheitsbehörden, dass sich radikale Islamisten Nuklearmaterial beschaffen wollen. Und der IS hat Ressourcen, von denen al-Qaida nur träumen kann. „Er ist viel besser organisiert und finanziell ausgestattet“, sagt Perry. Der Fund von einem Überwachungsvideo bei einem der Attentäter von Brüssel scheint die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen: Die Terroristen haben gezielt einen Atomforscher ausspioniert, offenkundig wollten sie sich Zugang zu radioaktiven Stoffen verschaffen.

Die Sicherheit von Nuklearanlagen muss daher weiter verbessert werden, nicht nur in Belgien. In aller Welt. Dafür braucht es weitere Verhandlungen. Doch Perry befürchtet, dass der Washingtoner Nukleargipfel der letzte seiner Art sein wird. Obama ist nur noch zehn Monate im Amt, mit Ausnahme von Hillary Clinton fällt seinen potentiellen Nachfolger zu Fragen der nuklearen Sicherheit erschreckend wenig ein. Unübertroffen ist die Ignoranz des Republikaners Donald Trump, der vom Einsatz von Atomwaffen schwafelt, um seiner Führungsstärke zu beweisen. Trumps außenpolitische Maxime lautet: „Du musst unberechenbar sein, okay?“ Dagegen verliert selbst die „Doomsday Clock“ ihren Schrecken.

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