Nuklearstrategie der EU Atomkraft, ja bitte!

Treibt Brüssel den Ausbau neuer Atomkraftwerke voran? Die Kommission weist das zurück. Doch die EU kommt auf absehbare Zeit nicht um die Nutzung von Nuklearenergie herum – auch aufgrund der Klimaziele.

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Die letzten Kernkraftwerke
AKW Grafenrheinfeld in Bayern Quelle: Creative Commons
Kernkraftwerk Gundremmingen Quelle: dpa/dpaweb
Kernkraftwerk Philippsburg Quelle: dpa
Kernkraftwerk Brokdorf Quelle: dpa
Kernkraftwerk Grohnde Quelle: dpa
Kernkraftwerk Neckarwestheim Quelle: dpa
Kernkraftwerk Isar II Quelle: dpa

Als eine „bizarre Mischung aus Illusion und Propaganda“ gilt für Rebecca Harms die Nuklearstrategie der Europäischen Kommission. „Die EU-Kommission setzt die Kosten in allen Bereichen von Neubau über Sicherheitsnachrüstungen bis zu Rückbau und Entsorgung zu gering an“, moniert die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament. In Großbritannien zeige sich mit der Planung des Reaktors von Hinkley Point C immer klarer, dass Neubauten von Atomkraftwerken weit entfernt von Wettbewerbsfähigkeit seien: „Das muss man sich auch endlich in der Kommission eingestehen.“

Am Dienstagmorgen hatte ein Papier aus der Generaldirektion Forschung der EU-Kommission für Spekulationen gesorgt, wonach Brüssel den Aus- und Neubau von Atomkraftwerken vorantreiben wolle. In der Behörde weist man dies energisch zurück. „Die Kommission ist neutral. Der Energiemix ist allein Sache der Mitgliedsländer.

Es geht darum, Forschung und Entwicklung im Bereich der Energie zu koordinieren und die Prioritäten für die kommenden Jahre zu definieren“, heißt es. Der nun in Teilen öffentlich gewordene Expertenbericht, der sich auch mit regenerativen Energien und der Stromspeicherung befasse, schaffe nun die Diskussionsgrundlage für ein Treffen von Experten aus Politik, Forschungseinrichtungen und Industrie in der kommenden Woche.

Die Atomklagen der Energiekonzerne

Demnach könnten die EU-Staaten bei der Erforschung, Entwicklung, Finanzierung und beim Bau innovativer Reaktoren enger zusammenarbeiten. Und auch Gelder aus dem Europäischen Fonds für strategische Investments (EFSI) und den Forschungsprogrammen der EU könnten fließen. „Die europäischen Steuerzahler sollen jetzt auch noch die private Atomlobby fördern, und das nennt sich dann Investitionsprogramm“, kommentiert Fabio De Masi, Europaabgeordneter der Linken die Überlegungen: „Wir brauchen öffentliche Investitionsprogramme in den Ausbau erneuerbarer Energien und die Entwicklung nachhaltiger Speichertechnologien.“

Tatsächlich kommt die Europäische Union auf absehbare Zeit nicht um die Nutzung von Nuklearenergie herum, und das aus mehreren Gründen: Zum einen ist da der wachsende Stromverbrauch. Zudem haben sich die 28 Mitgliedstaaten darauf geeinigt, ihre Versorgungsabhängigkeit von Gas aus Russland zu verringern. Darüber hinaus muss die Gemeinschaft ihre selbst auferlegten Klimaziele erreichen und dazu den Ausstoß des Treibhausgases CO2 deutlich verringern; im Gegensatz zu Kohle- und Gaskraftwerken arbeiten Atomkraftwerke nahezu CO2-neutral.


Europas Energieversorger müssen massiv investieren

Erst jüngst hatte die Kommission eine Bestandsaufnahme zur Nuklearwirtschaft in der EU veröffentlicht. Demnach müssen Europas Energieversorger massiv in den Neubau von Atomkraftwerken investieren. Dafür seien bis zum Jahr 2050 Beträge in Höhe von 450 bis 500 Milliarden Euro nötig. Bis 2050 sind nach Ansicht der Kommission außerdem rund 90 Prozent der bestehenden altersschwachen Kapazitäten zu ersetzen.

Schätzungen zufolge wird die Branche in den nächsten Jahrzehnten zusätzlich zu den Investitionen in neue Anlagen 45 bis 50 Milliarden Euro investieren müssen, um altersschwache Anlagen so zu sanieren, dass sie nicht vom Netz müssen.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung kommen Forschung und Innovationskraft in dem Sektor eine maßgebliche Bedeutung zu. Auch deshalb will Brüssel bei der Entwicklung neuer Reaktortechnologien Tempo machen. „Die Nutzung von Atomkraft ist in der EU eine Realität, ob es Kritikern passt oder nicht“, heißt es im Umfeld von Energiekommissar Miguel Arias Canete. Es sei deshalb die Aufgabe der Kommission, für die größtmögliche Sicherheit zu sorgen und die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, hierfür die Grundlagen zu schaffen.

Derzeit sind in 14 EU-Staaten 131 Atomkraftwerke am Netz. Im Schnitt sind sie rund 30 Jahre alt. Neue Meiler sind in Frankreich, Finnland, Ungarn, der Slowakei wie auch in Tschechien, Bulgarien, Polen, Litauen sowie in Rumänien und Großbritannien geplant oder bereits in Bau. Die Kommission empfiehlt dazu eine engere Kooperation der nationalen Regulierungsbehörden bei der Lizenzierung. Bessere Absprachen und gemeinsame Standards könnten die Kosten reduzieren und gleichzeitig die Sicherheit verbessern.

Auch international bleibt die Atomkraft auf dem Vormarsch. So müsse die EU beispielsweise angesichts der Entwicklung in China und Indien alles tun, um seine Technologieführerschaft im Nuklearbereich zu erhalten, mahnt die Kommission in ihrem Diskussionspapier für eine verbesserte Forschungszusammenarbeit im Energiesektor.

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