OECD-Ausblick Die gefesselte Weltwirtschaft

Acht Jahre nach der internationalen Finanzkrise kämpfen die Industrieländer noch immer mit niedrigen Wachstumsraten. Der Ausweg ist für die OECD klar: Viel Geld, Reformen – und Zusammenarbeit statt Egotrips.

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„Die Wirtschaft scheint gefangen in einer Falle sich verstetigender niedriger Wachstumsraten“, sagt die OECD-Chefvolkswirtin Catherine Mann.

Berlin Trotz der vielen Gipfeltreffen der Regierungschefs der größten Industrie- und Schwellenländer: Im Alltag handeln Kanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen wieder jeder für sich und ihr Land allein. Mit negativen Folgen für alle in der Welt. Das jedenfalls meinen die Volkswirte der Industrieländer-Organisation OECD in ihrem neuen Wirtschaftsausblick.

„Acht Jahre nach der Finanzkrise ist die Erholung immer noch enttäuschend schwach“, sagt OECD-Chefvolkswirtin Catherine Mann. In diesem Jahr erwartet sie nur ein Weltwirtschaftswachstum von drei Prozent, im nächsten von immer noch schlappen 3,3 Prozent. Vor der Krise, erinnert sie, waren Raten von fünf Prozent normal. „Die Wirtschaft scheint gefangen in einer Falle sich verstetigender niedriger Wachstumsraten“, so Mann, und sie verlangt: „Die Politik muss endlich gemeinsam handeln!“

Konkret meint die OECD damit: Die Industriestaaten sollen sich gemeinsam verabreden, zusätzlich einen halben Prozentpunkt ihres Bruttoinlandsprodukts für Investitionen bereitzustellen. Bei niedrigen Zinsen sei dies finanzierbar. Allein Deutschland müsste dann knapp 15 Milliarden Euro bereitstellen.

„Es geht dabei nicht um irgendwelchen Beton, sondern um sinnvolle Investitionen, etwa in den Erhalt von Straßen, Brücken, Schienen und öffentlichen Gebäuden, neue Breitbandnetze und auch eine Verbesserung des Bildungssystems“, sagt Christian Kastrop, Direktor der OECD-Wirtschaftsabteilung. „Es ist jetzt nicht die Zeit für die schwarze Null“, stellt er sich gegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), in dessen Finanzministerium er früher arbeitete. Aus Sicht der OECD würde das gemeinsame Wachstumsprogramm die Weltwirtschaft aus ihrer Lethargie ziehen, und davon würde dann auch die Exportnation Deutschland mittel- und langfristig mit höheren Wachstumsraten profitieren.

Die Bundesregierung hält allerdings seit Jahren nichts von schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen und lehnte das Ansinnen erst letzte Woche beim G7-Gipfels in Japan erneut ab. Schäuble verweist darauf, dass in Deutschland das Wachstum solide ist, die Arbeitslosigkeit niedrig. Zudem habe Deutschland seine Investitionsausgaben in den letzten Jahren genau in den verlangten Bereichen gesteigert. Der Engpass für Investitionen liege momentan darin, dass es vor allem in den Kommunen zu wenige baureife Projekte gebe. Auch die OECD nennt Deutschlands Wachstum „solide“, allerdings finden ihre Volkswirte, dass bei der Ganztagsbetreuung von Kindern und besseren Bildungschancen für benachteiligte Jugendliche noch viel getan werden müsse.


Fehlender Reform-Elan in Deutschland bemängelt

Einig sind sich Bundesregierung und OECD nur darin, dass Strukturreformen weltweit beherzt angegangen werden müssten. Kastrop sagt, dass es auch in Deutschland an Reform-Elan fehle. „Die Öffnung der Dienstleistungsmärkte und die Liberalisierung der freien Berufe kommt nicht voran“, stellt er fest.

Große Sorge bereitet den OECD-Ökonomen das niedrige Produktivitätswachstum der Industrie: Gerade in einer rapide alternden Gesellschaft könne künftiger Wohlstand nur über wachsende Produktivität erreicht werden. Die Politik müsse die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft mit öffentlichen Mitteln unterstützen. Insgesamt hätten sich alle Regierungen der Industrieländer zu sehr auf die Wachstumsimpulse der lockeren Geldpolitik verlassen. Dies habe eine Zeitlang geholfen, dauerhaft würden die Niedrigzinsen aber nicht mehr wirken, mahnt Kastrop.

Die fehlende Einigkeit der Regierungen, zuletzt in der Flüchtlingskrise, schwächt nach OECD-Auffassung vor allem die Wirtschaften Europas. Käme es am 23. Juni beim Volksentscheid in Großbritannien zum Austritt des Landes aus der EU, erwartet die OECD Verwerfungen an den Finanzmärkten – und Schaden vor allem für die Briten: Bis 2030 dürfte dies die britische Wirtschaft fünf Prozent ihres Volumens kosten.

Wenig Einfluss allerdings hat Deutschland und selbst die ganze EU auf die großen Einflussfaktoren der Weltwirtschaft: Was in den USA und in China passiert, bestimme, wie gut sich der Welthandel entwickele, sagt Kastrop. Vor allem von China gehen da in den nächsten zwei Jahren wenig Impulse aus, weil das Land entlang der Wertschöpfungskette mehr im Inland produzieren werde. Auch die USA importierten und exportierten wegen des niedrigen Ölpreises und des starken Dollars tendenziell weniger.

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