Wenn er den Kopf freikriegen will, verlässt Kevin Hassett das Gebäude der konservativen Denkfabrik American Enterprise Institute in Washington und läuft Richtung Weißes Haus. Sein Ziel ist ein kleiner Laden auf der Connecticut Avenue, sechs Fußminuten von seinem Arbeitsplatz entfernt. Bei Chocolate Chocolate kauft der 55-Jährige dann Weingummis und Schokolade. Für sich und das ganze Team auf seinem Flur.
Schon bald könnte Hassett mit dem Süßkram direkt zum Weißen Haus durchlaufen. US-Präsident Donald Trump will den Volkswirt aus Greenfield, Massachusetts, zum neuen Chef des Council of EconomicAdvisers (CEA) machen, des wichtigsten Beratergremiums der US-Regierung zu wirtschaftlichen Fragen.
Die Bestätigung durch den Senat gilt als sicher und soll in Kürze erfolgen. Der Council ist dem Gremium der Fünf Wirtschaftsweisen in Deutschland vergleichbar; die Liste seiner ehemaligen Vorsitzenden liest sich wie das „Who’s who“ der amerikanischen Topökonomen: Die Notenbankbosse Ben Bernanke, Janet Yellen und Alan Greenspan hatten den Job inne, ebenso Nobelpreisträger Joseph Stiglitz.
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Im Kreis der teilweise skurrilen Trump-Berater wird Hassett nicht nur ein Schwergewicht sein, sondern womöglich auch die gewichtige Stimme der Vernunft. Das Beraterteam ist bisher in zentralen wirtschaftspolitischen Fragen gespalten. Während die Gruppe der New Yorker um Finanzminister Steven Mnuchin für einen pragmatischen Kurs steht, wollen die Hardliner um Chefideologe Stephen Bannon und Handelsberater Peter Navarro die USA abschotten.
Der künftige Chefvolkswirt Hassett ist eine Kampfansage an Letztere, vertritt er in ökonomischen Fragen doch vielfach Positionen, die den Freihandels- und Migrationsfeinden Bannon und Navarro missfallen. Deswegen vermuten nicht wenige in Washington: Mit der Ernennung Hassetts ist der Kampf um Einfluss zwischen Moderaten und Hardlinern im Trump-Umfeld zugunsten der Moderaten entschieden. Die Regierung sehe nun „immer mehr wie eine Mitte-rechts-Mannschaft aus“, kommentiert Greg Valliere, Chief Strategist bei Horizon Investments.
Widerstand der Fundamentalisten
Nach der Promotion an der University of Pennsylvania lehrte Hassett zunächst an der Columbia University in New York, ehe er zur US-Notenbank Fed nach Washington wechselte. Später heuerte er beim ThinktankAmerican Enterprise Institute an und mischte sich zunehmend in die Politik ein. Seit 2000 hat er sämtliche Präsidentschaftskandidaten der Republikaner beraten und die Wirtschaftsprogramme von George W. Bush, John McCain und Mitt Romney mitverfasst. „Kevin Hassett ist ein großartiger Ökonom“, sagt der ehemalige CEA-Vorsitzende Glenn Hubbard, heute Dekan der Columbia Business School in New York. Er habe „die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte anschaulich zu erklären“.
Hubbard kennt Hassett aus Studientagen und brachte den Kollegen in einem Gespräch mit Finanzminister Steve Mnuchin ins Spiel, als die Regierung mit der Personalsuche für den CEA begann. Gesucht wurde ein Kandidat mit akademischer Reputation, der nach außen Fachwissen und Seriosität vermittelt, aber dem Präsidenten nicht in den Rücken fällt.
„Amerika braucht Arbeitskräfte“
Illoyal wird Hassett auch tatsächlich nicht sein – aber sehr wohl kritisch. So wirbt der Volkswirt etwa seit Jahren für mehr Einwanderung. „Amerika braucht Arbeitskräfte“ lautete der Titel eines Gastbeitrags, den er 2013 für die Fachzeitschrift „National Review“ schrieb. Darin rechnete er vor, dass in den USA die Anzahl der Einwanderer pro Einwohner niedriger sei als in Australien, Deutschland oder Kanada. Das könne sich Amerika nicht erlauben.
Um Wachstumskräfte zu entfesseln, solle die Regierung um zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland werben. „Wenn die USA doppelt so viele Einwanderer wie bisher aufnehmen, könnte das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 Prozent zulegen“, so Hassett. Es ist unklar, wie Trump, der einen Einreisestopp für Bürger aus bestimmten muslimischen Ländern anstrebt, damit umgeht.
Gleiches gilt für Hassetts Ansichten zum Freihandel. „Kevin tritt für den freien Warenverkehr und offene Grenzen ein – wie fast jeder Ökonom“, sagt Hubbard. Das sind gute Nachrichten für Europa, Mexiko und China, die von Trump hart angegangen wurden. Der Präsident hat mehrfach mit Strafzöllen und Abschottung gedroht – Schlagwörter, mit denen Hassett nichts anfangen kann. Insbesondere die Beziehungen zu China seien immens wichtig, findet der Ökonom.
Ein Handelskrieg mit den Chinesen könnte die Weltwirtschaft in eine Abwärtsspirale bewegen und für Verhältnisse „wie zuletzt in den Dreißigerjahren“ sorgen. Deutlicher kann man Trump und Navarro nicht widersprechen.
Doch wird Hassett dies auch in seiner neuen Funktion tun? Sein CEA-Vorgänger Hubbard zumindest ist davon überzeugt. „Hassett wird dem Präsidenten den bestmöglichen wirtschaftlichen Rat geben – ohne Rücksicht auf Animositäten im Weißen Haus.“
Als Leiter des CEA – ein Dreierteam, flankiert von zahlreichen Forschern – ist es unter anderem Hassetts Aufgabe, Wirtschaftsberichte zu erstellen, den Arbeitsmarkt zu analysieren, aber auch die Auswirkungen von geplanten Initiativen des Präsidenten zu berechnen. Den Status eines Kabinettsmitglieds wird der 55-Jährige anders als seine Vorgänger zwar nicht bekommen. Das sei aber nicht tragisch, findet Hubbard. „Als einer der wenigen ausgewiesenen Ökonomen in Trumps Beraterteam wird sein Wort so oder so Gewicht haben.“
Was das Ausland von Trump erhofft und erwartet
Am 20. Januar soll Donald Trump sein Amt als 45. Präsident der USA antreten. Das sind die damit verbundenen Hoffnungen, Erwartungen und Sorgen wichtiger Länder und Gemeinschaften.
Quelle: dpa
Eine enge Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel und den islamistischen Terrorismus, ein gemeinsamer Kurs in der Sanktionspolitik gegenüber Russland sowie eine Fortsetzung der Verhandlungen über das Handelsabkommen TTIP: Was sich die Europäische Union vom neuen US-Präsidenten erhofft, bekam Trump bereits kurz nach seiner Wahl in einem Brief aus Brüssel übermittelt. Nicht offen wird dagegen über die Sorgen gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand befürchten EU-Spitzenpolitiker, dass die Erwartungen Europas den neuen US-Präsidenten nicht wirklich interessieren. Folge könnte eine deutliche Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen sein.
Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Deshalb hofft Russland, dass Trump sein Versprechen wahr macht und die Beziehungen wieder verbessert. Die Zeichen stehen auf ein Treffen Trumps mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kurz nach Amtsantritt. Weil der Republikaner das Engagement der USA im Rest der Welt verringern will, geht Russland davon aus, mehr Spielraum zu bekommen. Trump sieht Nato und EU kritisch, er will den islamistischen Terror stärker bekämpfen - beides passt zur Moskauer Position. Allerdings haben die Russland zugeschriebenen Hackerangriffe massiv den Verdacht geschürt, dass Moskau sich in US-Politik einmischen könnte. Trump und Putin müssen bei jeder Annäherung mit großem öffentlichem Misstrauen rechnen.
Die Mexikaner machen sich für die Ära Trump auf das Schlimmste gefasst. Der künftige US-Präsident hatte die Nachbarn im Süden mehrfach als Drogenhändler und Vergewaltiger diffamiert. Um die illegale Einreise von Migranten zu verhindern, will Trump eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten. Außerdem hat er angekündigt, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) neu zu verhandeln oder sogar aufzukündigen. Die mexikanische Wirtschaft hängt stark vom Handel mit den USA ab. Der Autokonzern Ford beerdigte bereits Investitionspläne in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar in Mexiko - offenbar aus Angst vor Trump. US-Unternehmen, die billig im Nachbarland produzieren, hatte er mit hohen Strafzöllen gedroht.
Den ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften drohen unter Trump schwere Spannungen, die auch die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnten. Der neue US-Präsident holte China-Kritiker in sein Team, die eine härtere Gangart gegen Peking erwarten lassen. Die kommunistische Führung fürchtet eine Neuausrichtung der US-Beziehungen zu Taiwan, das Peking nur als abtrünnige Provinz behandelt. Mit einer Eskalation wird auch im Handel gerechnet, falls Trump seine Drohung mit Strafzöllen wahr machen sollte. Das Verhältnis wird zudem dadurch bestimmt, wie beide mit den Inselstreitigkeiten im Süd- und Ostchinesischen Meer umgehen.
Für den Iran ist es in erster Linie wichtig, was aus dem Atomabkommen wird. Obwohl auch die USA den Deal von 2015 mit ratifiziert hatten, drohte Trump bereits mehrmals mit einem Ausstieg. Präsident Hassan Ruhani bezeichnete das multilaterale Abkommen als unantastbar. Auch eine Nachverhandlung kommt für Teheran nicht infrage. Falls Trump sich nicht an den Deal halten sollte, werde auch Teheran angemessen reagieren, warnte Ruhani. Andererseits hofft der Iran auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der neuen US-Regierung und Moskau. Als enger Verbündeter Russlands könnte davon auch Teheran, besonders im Syrien-Konflikt, außenpolitisch profitieren.
Israel zählt schon die Tage bis zum Amtsantritt von Trump. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erwartet nach dem eher schwierigen Verhältnis zu Präsident Barack Obama ein Umschwenken in der Israelpolitik der USA. Dazu gehört der Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Trump kündigte mehrfach an, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Beim Ausbau der Siedlungen im Westjordanland hoffen die ultrarechten Kräfte in der Regierung auf mehr Bewegungsfreiheit, nachdem die USA zuletzt eine siedlungskritische UN-Resolution passieren ließen. Einige fordern, das Westjordanland zumindest teilweise zu annektieren.
Eine seiner ersten Aufgaben dürfte es sein, die Auswirkungen der von Trump geplanten Steuerreform zu berechnen; ein Heimspiel für den Konservativen. Seit Jahren prägt er die amerikanische Steuerdebatte mit seinen Positionspapieren und Stellungnahmen. Und klingt zumindest bei diesem Thema ganz nach Trump. „Es ist aberwitzig, dass die USA einen höheren Körperschaftsteuersatz haben als selbst die ,sozialistischen‘ Länder Europas“, ätzt Hassett.
Die „nicht wettbewerbsfähige Unternehmenssteuer“ sei der Hauptgrund für die Kapitalflucht aus den USA. Der Ökonom schlägt vor, die US-Konzerne massiv zu entlasten, damit sie nicht ins Ausland abwandern. Folglich dürfte Donald Trump bei seinen Plänen, die Unternehmenssteuer von 35 auf 15 Prozent zu senken, in Hassett einen treuen Mitstreiter finden.
Attacken auf Hillary Clinton
Vor allem wegen der Steuerpolitik hatte Hassett im Wahlkampf für Donald Trump geworben – und gegen dessen Konkurrentin Hillary Clinton gestänkert. Er kenne kein ökonomisches Modell, wonach höhere Steuersätze wachstumsfördernd seien, erklärte er in Richtung der Demokratin, die sich unter anderem für eine Reichensteuer einsetzt. Clintons Vorschlag, den Mindestlohn zu erhöhen, grenze an „wirtschaftspolitisches Analphabetentum“.
Doch so hart Hassett in der Sache argumentiert, so umgänglich ist er im persönlichen Umgang. Nie dränge er sich in den Vordergrund, sagt Kollege Hubbard, und mit seiner guten Laune würde er sein Umfeld beflügeln. An Podiumsdiskussionen nimmt Hassett gern leger teil, in heller Hose und ohne Krawatte.
Die Leitung des CEA ist für ihn Höhepunkt einer Karriere, die Anfang des Jahrtausends ins Stocken geraten war. 1999 schrieb Hassett zusammen mit James Glassmann ein Buch über die Chancen am Aktienmarkt. Der Titel: „Dow 36 000“. Die Botschaft: Trotz der damaligen Höchststände sei es nicht zu spät, einzusteigen. Der Dow, der im Frühjahr 2000 bei rund 11.700 Punkten lag, würde in den kommenden „drei bis fünf Jahren“ auf 36.000 Punkte steigen. Es kam bekanntlich anders.
Selbst heute, 18 Jahre nach der Dotcom-Blase und neun Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise, steht der Index erst wieder bei rund 21.000 Punkten. Hassett wurde in der Fachwelt mit Hohn und Spott überzogen, auch wegen Schlampereien bei der Verwendung finanzmathematischer Formeln. Der US-Ökonom Brad DeLong hält Hassett als Wissenschaftler für diskreditiert. Mit Prognosen über die Aktienmärkte hält der sich seitdem zurück, nicht aber mit Vorschlägen, wie die Finanzmärkte zu beaufsichtigen seien. Für Hassett steht fest: Der Sektor ist „überreguliert“.
Das Dodd-Frank-Gesetz (ein Regelwerk, das strenge Auflagen für Banken beinhaltet und den Eigenhandel verbietet) müsse gelockert werden. Diese Sichtweise wird von allen wichtigen Akteuren im Weißen Haus und in der republikanischen Partei geteilt. Ein bisschen Süßes hat Hassett für seine Kollegen schließlich stets dabei.