Ökonomen reagieren auf das Referendum Düstere Aussichten für Italiens Wachstum

Nach dem „Nein“ zum Verfassungsreferendum sind Ökonomen besorgt. Sie befürchten, dass die Euro-Krise wieder aufflammt und sich die Probleme der EU verschärfen könnten. Manche sehen in dem Votum aber auch eine Chance.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ökonomen sehen nach dem Votum gegen das Referendum eine Gefahr für Italien und Europa. Quelle: dpa

Berlin/Frankfurt/Rom Jetzt ist es amtlich: Die Mehrheit der Italiener hat bei der Volksabstimmung am Sonntag über eine Verfassungsänderung gegen die Reform gestimmt. Gut 59 Prozent stimmten mit „Nein“, knapp 41 Prozent mit „Ja“, wie das Innenministerium nach Auszählung aller Wahlbezirke und der Stimmen der im Ausland lebenden Italiener am frühen Montagmorgen mitteilte.

Noch-Ministerpräsident Matteo Renzi hatte bereits nach den ersten klaren Prognosen seine Niederlage eingeräumt und angekündigt, am Nachmittag seinen Rücktritt bei Staatspräsident Sergio Mattarella einzureichen. Dem Referendum war ein wütender Wahlkampf vorausgegangen. Entsprechend hoch war die Beteiligung: gut 65 Prozent der insgesamt knapp 51 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.

Anders als im Inland, wo die Beteiligung bei 68 Prozent lag, gaben nur rund 30 Prozent der im Ausland lebenden gut 4 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Hier stimmten fast 65 Prozent für die Reform und 35 Prozent dagegen.

Der Anführer der euro-kritischen Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, forderte rasche Neuwahlen in dem hoch verschuldeten Land. Es wird befürchtet, dass die Euro-Krise wiederaufflammen und sich die Probleme der EU nach dem Brexit-Votum verschärfen könnten. Ökonomen sagten in ersten Reaktionen am Montag:

Michael Menhart, Chefvolkswirts der Munich Re

„Das Nein-Votum im italienischen Verfassungs-Referendum fügt der populistischen Stimmungslage, die sich im Brexit-Votum in Großbritannien und den Ergebnissen der US-Wahlen gezeigt hat, eine weitere Dimension hinzu. Mit dem Ergebnis verdüstern sich auch die Wachstums-Aussichten für Italien. Die Unsicherheit in den Finanzmärkten wird voraussichtlich steigen, vor allem aufgrund der wachsenden Furcht um die Stabilität des italienischen Bankensektors.

Zunehmende Sorgen über die langfristige Finanzierbarkeit der italienischen Staatsverschuldung werden außerdem die Renditen italienischer Staatsanleihen in die Höhe treiben. Letztlich wird dies die Staatsfinanzen zusätzlich belasten und damit die finanzielle Manövrierfähigkeit Italiens weiter einschränken.

Dennoch erscheint die Sorge übertrieben, Italien könnte als Konsequenz des Referendums aus der Eurozone austreten. Wenn aber Neuwahlen im zweiten Halbjahr 2017 angesetzt werden sollten, würde der daraus resultierende politische Stillstand jedoch alle weiteren Reforminitiativen verlangsamen oder ganz zum Erliegen bringen. Eine etwaige Übergangsregierung müsste außerdem eine Lösung für die Rekapitalisierung des strauchelnden Bankensektors finden, ohne dabei italienische Sparer zu sehr zu belasten oder die europäischen Bail-Out Regeln zu verletzen.“

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank

„Ich würde am heutigen Tag nicht das Wort Euro-Krise in den Mund nehmen. Italien dürfte jetzt eine Technokraten-Regierung bekommen. Das muss nichts Schlechtes bedeuten. Übergangsregierungen in Europa haben manchmal mehr hinbekommen als reguläre Regierungen.

Die Debatte über eine Absenkung der Anleihenkäufe durch die EZB dürfte nun erst einmal vom Tisch sein. EZB-Chef Draghi dürfte am Donnerstag signalisieren, dass das Kaufprogramm fortgesetzt wird. Es dürfte nachjustiert werden zugunsten von italienischen Staatsanleihen. Das dürfte diese stützen. Die EZB Sitzung am Donnerstag kommt wie gerufen, um größere Schäden vor allem für italienischen Staatsanleihen zu verhindern.“


„Tragisch, aber kein Grund für eine neue Krise“

Holger Sandte, Europa-Chefvolkswirt von Norda

„Wenn man sieht, wie breit der Widerstand gegen die Reformen war, dann war es eher Renzis Niederlage als ein Sieg der Populisten. Nachdem Renzi das Land vorangebracht hat, ist nun erst einmal unklar wie es weitergeht – Neuwahl oder nicht? Dieses Vakuum dauert hoffentlich nur kurz an. Auf den Finanzmärkten könnten italienische Bankaktien mehr leiden als Staatsanleihen. Italien ist aber nicht auf dem Weg aus der EU oder dem Euro-Raum. Damit das realistisch würde, müsste die Fünf-Sterne-Bewegung die nächste Wahl gewinnen, die Verfassung ändern, damit ein Euro-Referendum möglich würde, und es gewinnen. All das ist weit weg. Italien und die EU werden den gestrigen Rückschlag überleben.“

Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt

„Der asiatische Handel hat gefasst reagiert. Der Eurokurs ist nicht eingebrochen. Natürlich ist es tragisch, dass die Italiener die Chance vertan haben, sich einen effizienteren parlamentarischen Entscheidungsprozess zu geben. Aber das bedeutet nicht automatisch eine eurokritische Fünf-Sterne-Regierung und eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise. Der Staatspräsident will eine Übergangsregierung einsetzen. Diese würde versuchen, eine Wahlrechtsreform durchzubekommen.

Mittelfristig ist eine wesentliche Regierungsbeteiligung der Fünf-Sterne-Bewegung nicht vom Tisch. Sie will deutlich mehr Staatsausgaben. Das könnte zu einem Käuferstreik der Investoren führen und eine Staatschuldenkrise auslösen.“

Gertrud Traud, Helaba-Chefvolkswirtin

„Das Scheitern des italienischen Verfassungsreferendums ist aus Sicht von Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud eine Belastung für den Euro und italienische Staatsanleihen. Sollten die Finanzmärkte zu heftig reagieren, sei mit Interventionen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu rechnen, sagte die Ökonomin am Montag. Bereits vor dem Referendum waren die Risikoaufschläge auf italienische Bonds gestiegen. „So wie Cameron hat auch Renzi zu hoch gepokert“, sagte Traud. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hatte sein politisches Schicksal mit dem Ausgang der Abstimmung verbunden, er hat bereits seinen Rücktritt angekündigt. Im Juli war der damalige britische Premierminister David Cameron wegen des Brexit-Votums der Briten zurückgetreten.“


Carsten Brzeski, ING-Diba-Chefvolkswirt

„Gestürzte Regierungen in Italien sind nun wirklich nichts Neues und Europa hat schon Vieles überlebt“, erklärte Brzeski am Montag. Zwar sorge Italien für neue Unsicherheit. Möglicherweise liege in dem „Nein“ aber auch eine Chance: „Eine technokratische Übergangsregierung kann die Probleme im Bankensektor und den erneuten Reformstau zusammen mit Europa rücksichtsloser angehen als die Regierung Renzi“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%