Ökonomen zum Euro-Rettungspaket „Schuldenkrise nicht gelöst“

Fragliche Beschlüsse, weiterhin hohe Risiken: Ökonomen können dem Maßnahmenpaket der Euro-Länder zur Lösung der Schuldenkrise nicht viel Positives abgewinnen. Der Rückenwind wird bald verflogen sein, glauben sie.

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Ärger und Misstrauen nach EU-Gipfel Quelle: handelsblatt.com

Die Entscheidungen beim Euro-Krisengipfel in Brüssel sorgen bei Ökonomen überwiegend für ein negatives Echo. Auch wenn jetzt die Grundzüge einer Anti-Krisenpolitik erkennbar geworden sind und der Rettungsfonds EFSF mit dem Konzept einer Teilversicherung womöglich in der Lage wäre, auch den Finanzbedarf der beiden großen Peripherieländer Spanien und Italien zu decken, bleibt es nach Ansicht des Chefvolkswirts der Commerzbank, Jörg Krämer, fraglich, ob die Anleger die teilversicherten Staatsanleihen im großen Stil kaufen würden. „Wir sind nach wie vor nicht davon überzeugt, bereits heute den Wendepunkt in der Staatsschuldenkrise zu sehen“, sagte Krämer Handelsblatt Online.

Details über die sogenannte Hebelung (Verstärkung) des EFSF fehlen und könnten die Anleger eher verunsichern, meint Krämer. Vor allem die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) wirft Fragen auf, weil sie beispielsweise beim Schuldenschnitt für Griechenland außen vor gelassen wird. Es sei daher auch zu bezweifeln, „ob die Anleger nach den Beschlüssen von heute Nacht so viel Vertrauen fassen, dass sie die Staatsanleihen Italiens und Spaniens auch dann kaufen, wenn die EZB nicht im Hintergrund Anleihen erwirbt“.

Es bestehe die Gefahr, dass die Regierungen am Ende ihre Parlamente bitten müssen, die Garantien für den Hilfsfonds EFSF ein zweites Mal so aufzustocken, dass der EFSF die Finanzierungskosten auch der großen Peripherieländer Italien und Spanien für drei Jahre decken kann. „Dem dürften die Parlamentarier aber nur zustimmen, wenn sie sich vor der Alternative sehen, entweder Garantien zu erhöhen oder die Währungsunion aufs Spiel zu setzen“, gibt Krämer zu bedenken und fügt nüchtern hinzu: „Alleine das spricht dafür, dass die Staatsschuldenkrise wieder hoch kocht, bevor sie abebbt.“

Auch Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstituts IMK, vermisst den großen Wurf. „Es ist ein riskanter Schritt, denn mit der Hebelung erhöht sich zwar die Schlagkraft, aber auch das Risiko für die Staaten“, warnt der Ökonom. „Wenn es schief geht, wird es teurer.“ Aus Horns Sicht wäre es besser gewesen, auf die Hebelung zu verzichten und stattdessen den Rettungsfonds EFSF aufzustocken. „Und im Falle eines Falles hätte die EZB bereit stehen müssen, um Staatsanleihen zu kaufen“, sagt Horn. „Mit dieser doppelten Verteidigungslinie hätte man die Märkte auch ohne riskante Finanzmarktmanöver beruhigen können.“

Beim Euro-Gipfel in Brüssel waren in der Nacht weitreichende Schritte gegen die Schuldenkrise beschlossen worden. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder vereinbarten nach stundenlangen Verhandlungen ein neues Hilfsprogramm für Griechenland. Es sieht vor, dass Athen 50 Prozent seiner Schulden erlassen werden. Das bedeutet, dass die privaten Gläubiger auf Forderungen in Höhe von 100 Milliarden Euro verzichten sollen. Das geht einher mit einem Anleihetausch, der vom Euro-Rettungsfonds EFSF mit 30 Milliarden Euro abgesichert wird. Zudem soll Griechenland bis 2014 noch einmal Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro erhalten. Die Euro-Länder vereinbarten außerdem die Hebelung des EFSF, für die Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Mandat des Bundestages erhalten hatte. Zum Auftakt des Euro-Gipfels beschlossen die EU-Mitgliedsstaaten, dass die europäischen Banken ihre Kernkapitalquote auf neun Prozent anheben sollen. Dafür werden voraussichtlich 106 Milliarden Euro benötigt.

Ackermann findet Einigung befriedigend

Die Beschlüsse des Euro-Gipfels stießen bei Politik und Banken auf Zustimmung. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann äußerte sich zufrieden über den Schuldenerlass für Griechenland. Im Interesse Europas sei ein befriedigendes Ergebnis erzielt worden. Ackermann ist Präsident des Internationalen Bankenverbandes IIF. Dessen Geschäftsführer Charles Dallara hatte die Verhandlungen in Brüssel geführt und erklärte anschließend, der Verband begrüße die Ankündigung der Euro-Staaten, das Bankensystem zu stärken und die griechischen Reformanstrengungen zu unterstützen.

Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou sagte, mit diesen Plänen sei die Schuldenlast tragfähig für sein Land. Die IWF-Vorsitzende Christine Lagarde sagte, sie werde dem Direktorium des Währungsfonds nun die Freigabe der nächsten Hilfszahlung für Griechenland empfehlen. Weltbankpräsident Robert Zoellick sagte, mit den Brüsseler Beschlüssen habe man Zeit gewonnen. Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Nicols Sarkozy zeigten sich zufrieden mit dem Gipfel. Merkel sagte am frühen Morgen in Brüssel, man habe das Richtige für die Eurozone getan. Sarkozy betonte, alle Staaten hätten auf mutige Entscheidungen gewartet.

Deutsche-Bank-Analyst Nicolaus Heinen fürchtet, dass die Beschlüsse am Ende als Mogelpackung gesehen werden könnten. Auch, wenn immer wieder betont werde, dass die Freiwilligkeit der Gläubigerbeteiligung im Falle Griechenlands ein Einzelfall sei, liege nahe, dass sich Ähnliches bei anderen Ländern wiederholen könnte. „Problematisch ist, dass der Hebel der EFSF als eine Art Kreditausfallsversicherung gestaltet ist“, warnte Heinen. „Diese greift jedoch nicht bei einer freiwilligen Gläubigerbeteiligung.“ Inwiefern dies tatsächlich für Vertrauen sorgen solle, bleibe daher fraglich.

Als „sicherlich ehrenwert“ bezeichnete Heinen, dass ein Großteil der Gipfel-Abschlusserklärung neue Möglichkeiten der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Euro-Ländern behandle. Doch gleichzeitig behandele das Dokument Italien in mehreren Absätzen ausführlich - eine Folge des immensen Drucks der Staats- und Regierungschefs auf Premier Silvio Berlusconi. Das zeige, dass die neuen wirtschaftspolitischen Steuerungsinstrumente, wenn hart auf hart komme, wohl „noch immer keinen Biss haben“. Nationale Politik bewege sich weiterhin „nur über bilateralen Druck, der natürlich über Ratings und Markteinschätzungen verstärkt wird“, so Heinen.

Vor verfrühter Euphorie warnt auch der Chefvolkswirt der Schweizer Privatbank Julius Bär, Janwillem Acket. „Die Euro-Zone bleibt eine Riesenbaustelle, an der an vielen Ecken und Enden noch gewerkelt werden muss. Die Lage bleibt ernst“, sagt Acket in einer ersten Analyse der Gipfelbeschlüsse. Si liege der Schuldenschnitt von 50 Prozent für Griechenland eher an der unteren Grenze. „Wir haben eher für 70 Prozent plädiert“, sagte der Ökonom. Entsprechend sei die Rekapitalisierung der Banken mit 106 Milliarden eher niedrig gehalten. Beides hänge zusammen.

Das Geld für die Rekapitalisierung solle von privaten Geldgebern kommen, erläuterte Julius-Bär-Chefökonom Acket weiter. „Das heißt im Grund genommen, dass einige Banken im kommenden Jahr auf Dividenden verzichten müssen.“ Auch könnte das nach Ackets Einschätzung zu Fusionen und Zusammenschlüssen führen. „Beides ist bei den Banken sehr unbeliebt“, gibt er zu bedenken. Allerdings habe sich die deutsche Linie hier durchgesetzt. Das bedeute, dass nicht die EZB die Banken heraushauen müsse, sondern zuerst private Geldgeber und danach die Nationalstaaten in der Pflicht seien.

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