Ökonomen zur Griechenland-Krise Nur die Drachme kann die Griechen retten

Griechenland stößt die Ex-Troika wieder einmal vor den Kopf und riskiert seine Zahlungsunfähigkeit. Athen könnte sich dann aber selbst helfen – mit der Einführung einer Zweitwährung, meinen Ökonomen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Kommt die Zweitwährung für Griechenland? Quelle: Getty Images

Berlin Angesichts der Blockadehaltung der griechischen Regierung gegenüber den internationalen Geldgebern rechnen führende Ökonomen damit, dass das Mittelmeerland schon bald gezwungen sein dürfte, eine Parallelwährung einzuführen. „Jeder Tag ohne eine glaubwürdige Strategie der Athener Regierung, wie sie das Land aus der Krise führen will, rückt das Land näher zum finanziellen und wirtschaftlichen Kollaps. Auch Europa wird für das Scheitern Griechenlands und seines Staates einen hohen Preis zahlen“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Letztlich wird diese Politik wohl zur Einführung einer griechischen Parallelwährung führen, was jedoch die europäischen Regeln brechen würde.“

Ob das die Staats- und Regierungschefs, die sich am Abend in Brüssel treffen, um über die Griechenland-Krise zu beraten, notfalls in Kauf nehmen würden? Möglicherweise haben sie darauf keinen Einfluss mehr, wenn Athen am Ende des Monats seine Staatsbediensteten nicht mehr in Euro zahlen könnte – und stattdessen Schuldscheine ausgeben muss. Durch die Schuldscheine würde de facto eine Parallelwährung entstehen.

Auch der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier, hält einen solchen Schritt für wahrscheinlich, sollten die Finanzhilfen ausbleiben und auch keine sonstige Lösung gefunden werden. „Dann dürfte Griechenland zahlungsunfähig werden“, sagte Bielmeier dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). In einem solchen Fall geht Bielmeier davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) dann die Nothilfen für die angeschlagenen griechischen Banken (ELA) stoppt. Das Land wäre dann zwar insolvent, müsse deshalb aber nicht den Euro-Raum verlassen muss. Dies sei eine Entscheidung die Griechenland unabhängig hiervon treffen könne. „Aus meiner Sicht ist es wahrscheinlicher, dass Griechenland in einem solchen Szenario eine parallele Währung zum Euro einführt.“

Diese Ansicht vertritt auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, auch wenn sich die die griechische Regierung gegen ein solches Szenario stemmen sollte. Ohne Hilfe der internationalen Geldgeber wird Griechenland keine weiteren finanziellen Verpflichtungen mehr erfüllen oder es werde versuchen, durch Umlenkung von Mitteln aus dem Staatshaushalt eine kurzfristige Lösung zu finden. Weit trage aber auch das nicht, sagte Hüther dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Denn die Möglichkeiten seien angesichts anderer Ausgabenverpflichtungen und „weitgehend ausgereizter Abschöpfungen“, wie beispielsweise der Sozialversicherung, „sehr begrenzt“.

Auch Hüther geht davon aus, dass die EZB angesichts solcher Entwicklungen die bisher für Griechenland rettenden ELA-Kredite kaum weiterführen könne. „Zugleich wird die Kapitalflucht forciert weiter gehen, falls nicht schnell restriktive Kapitalverkehrskontrollen verhängt werden“, ist der IW-Chef überzeugt. Dann aber dürfte der Liquiditätskreislauf im Land zusammenbrechen und Griechenland zu einer „Barter-Ökonomie“ (Tauschhandel-Wirtschaft) werden. „Überdies“, so Hüther weiter, „droht dann, dass Rohstoffimporte – wie Öl – nicht mehr zu finanzieren sind und unterbleiben, was den Kollaps von Produktion und Mobilität in weiten Teilen begründen kann.“ Der Regierung bleibe dann „nichts übrig, als eine eigene Währung einzuführen“.


Merkel dämpft Erwartungen von Tsipras

Auch DIW-Chef Fratzscher schätzt, dass Athen eine solche Entwicklung noch verzögern kann. Zwar hänge die Regierung nach wie vor am Tropf seiner europäischen Gläubiger und könne die laufenden Ausgaben nicht aus eigenen Einnahmen bestreiten. „Die griechische Regierung ist jedoch nicht unbedingt auf die letzte Kreditzahlung des Hilfsprogramms angewiesen“, sagte Fratzscher. „Denn bereits jetzt plündert Athen sehr fleißig die Sozial- und Pensionskassen seiner Bürger.“ Und, so Fratzscher weiter: „Wir sollten die Phantasie der griechischen Regierung weitere Gelder zu konfiszieren nicht unterschätzen.“

In Sachen Griechenland war für heute Abend am Rande des EU-Gipfel in Brüssel ein Sondertreffen geplant, an dem neben Kanzlerin Angela Merkel und dem griechischen Premier Alexis Tsipras auch Gipfelchef Donald Tusk, Frankreichs Präsident François Hollande, EZB-Präsident Mario Draghi, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sowie Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem teilnehmen sollten.

Tsipras will für eine politische Lösung werben, um rasch an frisches Geld zu kommen. Merkel schob hier bereits einen Riegel vor: Kein Treffen im kleinen Kreis könne und werde die Vereinbarungen Griechenlands mit den drei Institutionen EU, EZB und IWF sowie der Eurogruppe ersetzen, sagte sie im Bundestag.

Unterdessen verschärfte sich wieder der Ton zwischen Athen und der Ex-Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Die Gespräche über die weitere Zusammenarbeit mit der Ex-Troika liegen vorerst auf Eis, wie in Athen und Brüssel aus Kreisen bestätigt wurde. Die Regierung in Athen habe ohne Rücksprache neue Staatsausgaben beschlossen und gegen Vereinbarungen verstoßen, berichtete das Handelsblatt.

Merkel bekräftigte, Athen müsse seine Zusagen einhalten und den Haushalt sanieren, um irgendwann ohne fremdes Geld auszukommen. „Nur so wird es gehen.“ Bei der Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise insgesamt sei einiges erreicht worden. „Aber dauerhaft und nachhaltig überwunden haben wir sie noch nicht. Und dafür müssen wir uns weiter anstrengen.“

Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) erklärte, Europa bleibe solidarisch - Athen müsse aber vertragstreu sein: „Da darf es auch keine Kompromisse geben.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warnte, alle Seiten müssten aufpassen, „dass die Freundschaft zwischen Deutschland und Griechenland nicht zerbricht“.

Scharfe Kritik an Merkels Athen-Kurs kam von der Linkspartei. Deren Wirtschaftsexpertin Sahra Wagenknecht meinte: „Wenn Sie ein einiges Europa wollen, dann hören Sie auf, andere Länder zu demütigen und ihnen Programme zu diktieren, die ihrer jungen Generation jede Perspektive nehmen.“


Ifo-Chef sieht größere Wahrscheinlichkeit für Grexit

Tatsächlich verschärft der harte Sparkurs in Griechenland einer Studie zufolge die Armut in dem pleitebedrohten EU-Staat. Die nominalen Bruttoeinkommen privater Haushalte seien von 2008 bis 2012 um ein knappes Viertel gesunken, geht aus einer Studie Athener Wissenschaftler im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor.

Lohnkürzungen seien für knapp die Hälfte des Rückgangs verantwortlich. Besonders hart habe es Griechen mit niedrigem und mittlerem Einkommen getroffen. Fast jeder dritte griechische Haushalt habe 2012 mit einem Jahreseinkommen von unter 7000 Euro auskommen müssen, hieß es. Die ärmsten Haushalte hätten fast 86 Prozent Einkommen verloren, die reichsten 17 bis 20 Prozent.

Das Bruttoeinkommen errechnet sich aus den Gesamteinkünften aller Mitglieder eines Haushaltes vor Steuern und Sozialabgaben. Für die Studie wurden Daten von 260.000 griechischen Haushalten ausgewertet.

Der Befund dürfte die Geldgeber aber wenig beeindrucken. Merkel machte im Bundestag klar, dass sie nicht mit einem raschen Durchbruch im griechischen Schuldendrama rechnet. Niemand könne eine Lösung bereits am Donnerstagabend in Brüssel oder am Montag bei ihrem Treffen mit Ministerpräsident Tsipras in Berlin erwarten, betonte Merkel. Sie sprach von einem „Kraftakt“, der vor Athen liege. „Es bleibt ein sehr schwerer Weg zu gehen.“

Auf diesem Weg hat die griechische Regierung nach Einschätzung des Hamburger Ökonomen Dirk Meyer wenig Spielraum für ihr Pokerspiel mit der EU. Auch Meyer gibt zu bedenken, dass der griechische Staat Ende März ohne weitere Hilfen wohl zahlungsunfähig ist. „Spitzt sich die Lage zu, könnte es zu einem Bank Run und zu Bankenzusammenbrüchen kommen, die Griechen würden Euro-Bargeld horten“, schrieb der Wirtschaftswissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, kürzlich in einem Gastbeitrag für die „WirtschaftsWoche“.

Für diesen Fall sieht Meyer die neue Regierung vor dem Problem, die Löhne der Staatsbediensteten und den Ankauf von Gütern und Sozialleistungen nicht mehr in Euro bezahlen zu können. Auch er rechnet dann damit, dass Griechenland dann eine eigene Währung einführen müsste. „Ähnlich wie das Deutsche Reich 1923 die Rentenmark als staatliche Schuldverschreibungen einführte, würde wohl eine neue Drachme auf Schuldscheinbasis als nationale Parallelwährung neben dem Euro entstehen. Dies käme einem De-facto-Austritt aus der Währungsunion gleich.“ Angesichts dieses Szenarios bestehe auf Seiten der Euro-Länder gar kein Druck, auf die Forderungen Griechenlands nach einem Schuldenschnitt einzugehen.

Nach Ansicht des Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, ist die Wahrscheinlichkeit eines Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone (Grexit) durch die verhärteten Fronten sogar gestiegen. „Ich interpretiere die harte Haltung beider Seiten so, dass sie sich als eine der möglichen Lösungen des Konflikts unteren anderen auch auf den Grexit einstellen“, sagte Sinn dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). In diesem Fall gehe es um die Höhe des Schuldenschnitts beziehungsweise die Höhe der Anrechnung der Reparationsforderungen. Zudem dürfte die Frage eine Rolle spielen, „ob es gelingt, den Austritt als Schuld der jeweils anderen Seite darzustellen“, so Sinn.

 


Griechen räumen ihre Konten

Dahinter steht, wie Sinn erläuterte, der Umstand, dass es nach dem Euro-Austritt einige Zeit dauern werde, bis sich die Wirtschaft wieder fängt. „Für diese Zeit wird eine gewisse Leidensbereitschaft der Bevölkerung benötigt, und die verlangt, dass zuvor ein Zustand der öffentlichen Empörung herbeigeführt wird.“ Die Athener Regierung müsse deshalb den Eindruck zu erwecken versuchen, Griechenland sei von „den bösen Deutschen ausgestoßen“ worden. „Die Emotionalisierung der deutschen Öffentlichkeit  nimmt man dafür billigend in Kauf, ja, sie kann  wegen der Rückwirkung auf die eigene Bevölkerung sogar nützlich sein“, fügte Sinn hinzu. So sei es immer gewesen, wenn Konflikte zwischen den Völkern ausbrachen. 

Dass der griechische Premier Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis „aus bloßer Unfähigkeit ein solch harte Karte spielen“, halte er zwar nicht für wahrscheinlich. Das heiße daher auch nicht, dass man den Austritt wirklich wolle. „Noch lieber will man natürlich ganz viel Geld“, sagte Sinn. „Aber wenn schon Austritt, dann richtig.“  

Abgesehen davon würde eine Zweitwährung („Geuro“ oder neue Drachme) gegenüber dem Euro im Wert sinken. In diesem Fall könnten griechische Exporteure im Ausland billiger anbieten, die griechische Wirtschaft könnte so ihre Konkurrenzfähigkeit steigern, was dringend nötig wäre, damit sie aus der Rezession herauskommt.  Besonders schwerwiegend bei Einführung einer neuen Währung wäre allerdings, dass für Griechenland die in Euro aufgenommenen Altschulden infolge der Abwertungseffekte drastisch steigen würden. Das Bankensystem geriete ins Wanken, ein Ansturm der Sparer wäre programmiert.

Schon jetzt sind die Griechen wegen der neuerlichen Zuspitzung im Schuldenstreit tief verunsichert und ziehen wieder mehr Gelder von ihren Bankkonten ab. Darin äußert sich die Furcht vor bevorstehenden Kapitalverkehrskontrollen oder gar einem drohenden Staatsbankrott. Nach inoffiziellen Schätzungen aus Bankenkreisen flossen am Mittwoch Einlagen von 350 bis 400 Millionen Euro ab. Am Donnerstag habe sich der Trend fortgesetzt, heißt es.

Nach Angaben der EZB sind im vergangenen Dezember, als sich die vorzeitigen Parlamentswahlen und der Sieg der radikalen Linkspartei Syriza abzuzeichnen begannen, vier Milliarden Euro von den griechischen Banken abgeflossen. Im Wahlmonat Januar waren es bereits zwölf Milliarden. Schätzungen zufolge flossen seit Februar weitere zehn Milliarden ab. Damit hätten sich die Einlagen der griechischen Banken von 164 Milliarden Euro im November 2014 auf jetzt 138 Milliarden reduziert.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%