Wer dieser Tage Herren wie Bob Dudley oder Ben van Beurden zuhört, könnte Mitleid bekommen. Handelte es sich nicht um die Chefs einiger der größten und am wenigsten sympathieträchtigen Konzerne der Welt: BP und Shell. Denn was sie erzählen, klingt dramatisch: „Für unsere Branche ist eine sehr harte Zeit angebrochen – es fühlt sich wieder so an wie 1986“, sagt Dudley von BP. „Ich habe keine Kristallkugel, doch der Ölpreis könnte noch mehrere Jahre niedrig bleiben“, sagt van Beurden, Vorstandsvorsitzender des britisch-niederländischen Ölmultis Shell.
1986, das war das Jahr eines großen Ölpreisverfalls, der dem damals neu erschlossenen Nordseeöl geschuldet war. Seinerzeit gehörte der britische Konzern dank seiner Claims in der Nordsee zu den Profiteuren des Wandels.
Heute dagegen ist der Preisverfall der vergangenen Monate für die großen internationalen Ölkonzerne ein Problem. Der wichtigste aller Rohstoffe kostet weniger als die Hälfte des Vorjahrespreises. Das alleine verändert die Weltwirtschaft. Noch viel dramatischer aber ist die Tatsache, dass praktisch alle Marktteilnehmer damit rechnen, dass der Trend sich nicht umkehrt. Die Weltbank rechnet jetzt gar mit einem weiteren Preisverfall um 20 Prozent im kommenden Jahr. So etwas hat es kaum je gegeben. Öl, der Treibstoff der globalisierten Industriegesellschaft, ist Ramschware.
Drei Faktoren wirken hier zusammen und sorgen erst einmal für immer weitere Preissenkungen:
- Für die Opec-Länder von Saudi-Arabien bis Venezuela ist Umweltpolitik eine wachsende Bedrohung ihres Geschäftsmodells. Wer garantiert ihnen, dass US-Präsident Barack Obama mit seiner Anti-CO2-Initiative scheitert? Oder der Klimagipfel der Vereinten Nationen nicht damit endet, dass auch ihre großen Kunden China und Indien vom Kohlenwasserstoff Abschied nehmen? Bevor das passiert, wollen die Saudis und ihre Freunde so viel Öl wie möglich verkaufen.
- Im Zeitalter der Dekarbonisierung, also des Abschieds der Weltwirtschaft von den Kohlenwasserstoffen, möchten sich die Ölscheichs am liebsten als Techno-Scheichs neu erfinden: Das zeigen Riesenprojekte wie die King Abdullah University of Science and Technology in Saudi-Arabien oder die Ökostadt Masdar bei Abu Dhabi in den Emiraten. Der Wandel kostet aber erst einmal viel Geld, das sich derzeit nur durch Ölexport erwirtschaften lässt. Um jeden Preis.
- Und schließlich hat die neue Konkurrenz durch die amerikanische Fracking-Technik die Ölproduzenten zur Dumpingstrategie motiviert.
Für viele Industrien und private Konsumenten bedeutet das erst einmal niedrigere Kosten. Grund zum Jubeln? So einfach ist es leider nicht. Der Preisverfall und mehr noch die Erwartung weiter niedriger Preise haben zum Teil wenig erfreuliche Gründe. Und die Auswirkungen des billigen Öls auf die Geschäfte deutscher Unternehmen sind auch nicht alle positiv.
Saudi-Arabien hatte seine Erdölproduktion seit Jahren ohne Rücksicht auf das Auf und Ab der Preise am Weltmarkt fast konstant zwischen neun und zehn Millionen Barrel pro Tag gehalten. Die Saudis fördern ihr Öl zu sehr geringen Produktionskosten von höchstens 15 Dollar für das Barrel, während vielen amerikanischen Ölquellen schon bei Marktpreisen unter 75 Dollar Schwierigkeiten drohen. Nach diesem Kalkül hätten die Saudis in diesem Frühjahr, als sich die Nachrichten von gesunkenen Investitionen in der amerikanischen Ölwirtschaft häuften, den eigenen Ölhahn etwas drosseln und höhere Preise für ihren Rohstoff kassieren können.
Doch nichts dergleichen geschieht. Saudi-Arabien hat für Juni eine Fördermenge von 10,6 Millionen Barrel gemeldet, so viel wie zuletzt vor 35 Jahren während des Ölpreisschocks von 1980. Saudische Erdölgurus wie der altgediente Ölminister Ali al-Naimi schweigen über die Motive des Landes. Vergangenen Winter beschied er seinen zum Teil über die saudische Strategie erbosten Opec-Kollegen aus Ländern wie Venezuela und Angola, nur so könne man die teuer produzierenden Konkurrenten aus dem Markt drängen und weiter den Preis bestimmen.