Österreichs neuer Kanzler Kern „Köpfe und Herzen nicht dem Populismus überlassen“

Erste Regierungsrede im Slim-Fit-Anzug: Wer auf ein konkretes Regierungsprogramm von Österreichs neuem Kanzler Christian Kern – Spitzname Austro-Obama – gehofft hatte, wurde enttäuscht. Doch seine Richtung ist klar.

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„Es muss durch unser Land ein Ruck gehen, um die Dinge zu verändern“, sagt der neue Kanzler in seiner ersten Regierungserklärung. Quelle: dpa

Wien Als Christian Kern kurz nach zehn Uhr am Freitagvormittag an das Rednerpult des österreichischen Parlaments trat, um seine Regierungserklärung abzugeben, war ihm seine Anspannung nicht anzumerken. In freier Rede formulierte der 50-Jährige in seinem dunkelblauen Slim-Fit-Anzug: „Es muss durch unser Land ein Ruck gehen, um die Dinge zu verändern.“ Alle Fraktionen spendeten im Nationalrat immer wieder Applaus für seine Ruck-Rede – mit Ausnahme der rechtspopulistischen FPÖ. „Wir sollten unser Denken nicht mit dem Kompromiss beginnen“, sagte der frühere Bahnchef, der erst am Dienstag das Amt des Bundeskanzlers übernommen hatte.

Er kündigte an, ein besseres politisches Klima im Land schaffen zu wollen. „Wir wollen die Köpfe und Herzen nicht dem billigen Populismus überlassen“, sagte er. Und weiter: „Die Hetze gegen Minderheiten müssen wir mit einem eigenen Programm entgegnen.“ Die Flüchtlingskrise müsse mit Menschenwürde gelöst werden, ohne die soziale Sicherheit zu vernachlässigen. Reale Ängste der Bevölkerung sollten mit einem positivem Weltbild bekämpft werden.

Hehre Worte. Wer jedoch auf ein konkretes Programm in Kerns Regierungserklärung gewartet hatte, wurde enttäuscht. Der Wiener aus dem Arbeiter- und Immigrantenviertel Simmering entwickelte lediglich die politische Matrix des politischen Handelns der neuen Bundesregierung. „Wir brauchen den Markt so weit wie möglich und den Staat so weit wie nötig“, sagte der frühere Wirtschaftsjournalist, der sich zuletzt bei einem zehntägigen Aufenthalt im Silicon Valley Ideen geholt hatte. Konkret will Österreichs neuer Kanzler vor allem den Maschinenbau, die Automobilwirtschaft und die Energietechnik stärken.

Er will nach amerikanischem Vorbild staatliche Förderung und Forschung besser mit unternehmerischen Initiativen miteinander verzahnen. Ein besonderes Gewicht soll künftig Bildung in der österreichischen Bundespolitik erhalten „Die Bildungspolitik wird in Zukunft die beste Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sein“, prognostizierte Kern.

Der neue Bundeskanzler plädierte für einen New Deal im Land, um die Wirtschaft auch mit öffentlichen Mitteln anzukurbeln. Kurzfristig will er vor allem die Investitionsbereitschaft der Unternehmen stärken. „Wir wollen eine positive Politik machen“, sagte er in seiner Regierungserklärung am Donnerstag.

Vor allem will Kern ähnlich wie es ihm als Vorstandschef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) gelungen ist, im ganzen Land die Stimmung drehen. „Wir wollen die Hoffnung nähren, nicht die Ängste und Sorgen“, sagt der neue Kanzler. „Wir müssen die Stimmung im Land drehen. Die größte Wachstumsbremse ist die schlechte Laune“. Österreich leidet unter hoher Arbeitslosigkeit, Reallohneinbußen, Rekordschulden und niedrigem Wirtschaftswachstum.

Der Koalitionspartner ÖVP sagte ihm nach seiner Regierungserklärung volle Unterstützung zu. „Ich und unsere Seite will auch“, erklärte Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner im voll besetzten Parlament. Die rechtspopulistische FPÖ ließ unterdessen an den in den österreichischen Medien als „Austro-Obama“ gefeierten Kanzler und seiner Mannschaft kein gutes Haar. „Das sind neue Gesichter mit einem alten Programm“, kritisierte FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache. Er warf Kern vor, keine Legitimation durch das Volk zu haben, da er noch nie in ein politisches Amt mit Ausnahme des SPÖ-Parteivorsitzes gewählt worden sei.


Ein rotes Tuch für die Rechtspopulisten

Auf harte Auseinandersetzungen mit der rechtspopulistischen FPÖ wird sich Kern einstellen müssen. Schon als ÖBB-Chef war der damalige CEO für die FPÖ ein rotes Tuch. Denn er stellte im vergangenen Jahr unbürokratisch Züge für den Transport der Flüchtlinge zur Verfügung. Migranten durften zeitweise sogar ohne Tickets die Bahn nutzen.

Der kommende Sonntag mit der Wahl eines neuen Bundespräsidenten ist für Kern ein entscheidender Tag. Dem sozialdemokratischen Regierungschef droht nämlich ein mächtiger Gegenspieler in Form des neuen Bundespräsidenten: Denn der rechtspopulistische FPÖ-Politiker Norbert Hofer geht als Favorit in die Stichwahl um das höchste Staatsamt. Der Chefideologe der ehemaligen Haider-Partei hatte bereits beim ersten Wahlgang mit 35,1 Prozent die meisten Stimmen geholt.

Der gelernte Flugzeugtechniker aus dem Burgenland hat sich im Wahlkampf geschickt als moderater Politiker in Szene gesetzt, um im konservativen Lager zusätzliche Stimmen zu holen. Bei der Stichwahl am Sonntag steht der 45-Jährige dem früheren Grünen-Chef und Wirtschaftsprofessor Alexander van der Bellen gegenüber, den auch Kanzler Kern unterstützt.

FPÖ-Mann Hofer hatte mehrmals im Wahlkampf angekündigt, sich im Gegensatz zu den jahrzehntealten Gepflogenheiten aktiv in politische Fragen einmischen zu wollen. Hofer wäre der erste Rechtspopulist an der Spitze eines westeuropäischen Landes.

Kern kann unterdessen auf die Unterstützung der Wirtschaft in seinem Land zählen. „Wir bauen darauf, dass die Wiederherstellung der heimischen Wettbewerbsfähigkeit und das Ziel der Reindustrialisierung Österreichs als Basis für Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze wieder in den politischen Fokus rücken“, sagte Georg Kapsch, einflussreicher Unternehmer und Präsident der Industriellenvereinigung. „Das Land kann es sich nicht leisten, noch weiter Zeit zu verlieren und in alten Denk- und Handlungsmustern zu verharren.“

Auch die Erwartungen deutscher Unternehmen in Österreich an die neue Regierung in Wien sind hoch. „Wir brauchen weniger Bürokratie“, forderte Wolfgang Hesoun, Vorstandsvorsitzender von Siemens in Österreich. Siemens, einer der größten Arbeitgeber in Österreich, erwartet sich mehr Reformen. „Wir hoffen, dass unsere Vorschläge künftig besser in der Politik gehört werden“, sagte auch Günter Thumser, Präsident von Henkel in Mittel- und Osteuropa.

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