Ohne Schmiergeld kein Arztbesuch In der Ukraine blüht die Korruption

Wer in der Ukraine krank wird, hat ein Problem. Theoretisch ist die Gesundheitsversorgung zwar kostenlos, doch ohne Schmiergeld lassen sich die Ärzte gar nicht erst blicken. Auch in der Politik ist Bestechung üblich.

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Kiew Die OP der Mutter hat gerade begonnen, als einer der Arzt zu Anja und ihren Verwandten auf den Flur tritt und mehr Geld fordert: „Wir haben sie jetzt aufgeschnitten, doch die Probleme sind größer als vermutet, wir brauchen weitere 500 US-Dollar“, sagte der Arzt. Anjas Mann und ihr Vater rennen zu zwei Banken und besorgen das Geld. Zum Glück haben sie etwas auf dem Konto, denn eigentlich sollen von den 500 Dollar eine Kur für die krebskranke Mutter bezahlt werden. Doch nun geht es eben für den Arzt drauf, für eine lebensnotwendige Operation, hier in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine.

Angeblich gibt es weitere „Komplikationen“, auch der zweite Arzt verlässt den OP und fordert um eine „Nachzahlung“. Noch einmal sollen Anja und ihre Familie 500 Dollar locker machen. Der Grund: Weil die OP so langedauert, lässt die Narkose nach, die Patientin droht Patientin aufzuwachen. Doch die Familie hat kein Geld mehr. Anja weint. Denn das bedeutet: Ihre Mutter wird „einfach zugenäht und sich selbst überlassen“. Zwei Wochen nach der Operation später stirbt die Mutter .

Szenen wie diese sind keine Seltenheit in der Ukraine. Die Korruption hat den Alltag der Menschen längst erreicht. Zwar erklärte Präsident Petro Poroschenko vor wenigen Wochen während in einem seiner zahlreichen TV-Interviews: „Korruption gibt es auf der ganzen Welt, das ist kein rein ukrainisches Problem.“ Doch die Ukraine gilt nach wie vor als das korrupteste Land Europas. Transparency International führte das Land 2014 auf dem 142 Platz von 174 Plätzen, neben Bangladesch, Uganda und Guinea. Und der Alltag zeigt, dass ohne Bestechung gar nichts geht.

Doch auch in den politischen Reihen ist Bestechung normal. Zwar unternimmt die Regierung immer wieder halbherzige Versuche, um gegen die Korruption vorzugehen. Doch es hapert an der Umsetzung. Seit Anfang Dezember vergangenen Jahres sollte beispielsweise eine eigens gegründete „Anti-Korruptionsbehörde“ ihre Arbeit aufgenommen haben. Auch vier Monate später gibt es das neue Amt nur auf dem Papier. Angeblich würde die Führungsetage gerade ausgewählt, doch ob die Behörde jemals die Ergebnisse liefern wird, auf die viele Ukrainer warten, ist nicht sicher.

Schmiergelder von mehreren hundert Millionen Euro

Ein weiteres Beispiel der ukrainischen Regierung dafür, dass der „Kampf gegen Korruption im vollen Gang“ ist: Vor laufenden TV-Kameras wurden der Chef des Zivilschutzes und sein Vize während einer Regierungssitzung festgenommen. Für Bürgerrechtler und Parlamentarier wie Vitali Schabunin und Sergej Leschtschenko handelt es sich dabei aber eher um eine „PR-Aktion“ als um ernsthafte Korruptionsbekämpfung.

Sergej Leschtschenko ist seit Herbst 2014 Abgeordneter. Und er will die Korruption in seinem Land bekämpfen. Der hochgewachsene, schlaksige Mann fordert auch Transparenz und Korruptionsbekämpfung in den eigenen, politischen Reihen. Zum Beispiel fordert er, Nikolai Martinenko, Oligarch und Finanzier der Partei von Regierungschef Arsenij Jazenjuk, solle seinen Posten als Vorsitzender des Energieausschuss abgeben.

Unter anderem weil gegen Martinenko ein Ermittlungsverfahren in der Schweiz läuft. Der Vorwurf: Der Politiker soll über eine Züricher Privatbank Schmiergelder von mehreren hundert Millionen Euro gewaschen haben. 30 Millionen Franken wurden gesperrt. Bereits im vergangenen Herbst war Martinenko in die Schweiz gereist und hatte dort ausgesagt. Allerdings zu seinen Bedingungen, er forderte freies Geleit.

Über Mittelsmänner soll der Jazenjuk-Vertraute und Sponsor seiner Wahlkämpfe 2010, 2012 und 2014 Gelder aus geheimen Milliardendeals im Nuklearsektor zwischen Kiew und Moskau nach Zürich verschoben haben.
Der 54-Jährige Martinenko gilt in der Ukraine als politisches Chamäleon, als einer, der bei jeder Gelegenheit die politischen Seiten wechselt. Auch deshalb ist er seit Jahren die Hauptperson in der ukrainischen Atomindustrie. Den Parlamentsausschuss leitet er seit 2006 und ist eng mit dem Chef des staatlichen Atomkonzerns Energoatom befreundet.

Da alle 15 Atomkraftwerke der Ukraine russischer Bauart sind, obliegt die regelmäßige Lieferung von Technologie den Russen. Im Jahr 2010 hat die damalige ukrainische Regierung entschieden, die Laufzeiten der alten Meiler zu verlängern. Dazu sollten alle AKWs aufgerüstet werden. Ein Milliardengeschäft, dessen Details nur die Beteiligten aus Russland und der Ukraine kennen. Chef der Beraterkommission war damals Martinenko.

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