Osteuropa Misswirtschaft treibt die Ukraine in die Pleite

Kein Land in Osteuropa steckt so tief im Schlamassel wie die Ukraine. Politisches Missmanagement hat die Auswirkungen der Finanzkrise verschärft.

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Gaskompressionsstation Quelle: dpa

Das Schicksal der Ukraine entscheidet sich in einem Kiewer Luxushotel. Dort logiert Ceyla Pazarbasioglu. Die zierliche Türkin mit dem schulterlangen schwarzen Haar leitet die derzeit in der Hauptstadt weilende Mission des Internationalen Währungsfonds (IWF) und ist damit sozusagen die oberste Finanzaufseherin des Landes, seit der IWF der ehemaligen Sowjetrepublik im November einen Notkredit genehmigt hat. Zwar steht die Ukraine damit nicht alleine da, doch kein Land bekam im Zuge der weltweit wütenden Finanzkrise so viel Geld vom IWF – 16,5 Milliarden Dollar.

Kein Land steckt auch so tief im Schlamassel wie die Ukraine. Landesweit kommt es zu Massenentlassungen. Metall- und Chemiebetriebe, die Stützen des ukrainischen Exports, haben ihre Produktion seit Herbst um mehr als die Hälfte zurückgefahren, 21 von 43 Hochöfen wurden kalt gestellt, sämtliche Eisenlegierungs- und Aluminiumwerke geschlossen. Die meisten Baustellen im 46,6 Millionen Einwohner zählenden Flächenstaat stehen still. Bauunternehmer, die noch einen Auftrag haben, können oft nicht einmal ihren Zement vorfinanzieren, weil sie keine Kredite bekommen. Der Staat kommt seinen Verpflichtungen nicht mehr nach; in manchen Krankenhäusern und Schulen werden die Gehälter nicht ausbezahlt. Zu allem Überfluss belasten steigende Gaspreise infolge des Gasstreits mit Russland die Industrie, Privatverbraucher und den Staatssäckel.

Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts in der Ukraine

Für dieses Jahr rechnen die Analysten der Commerzbank mit einer Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um fünf Prozent. Robert Kirchner von der deutschen Beratergruppe der Kiewer Regierung erwartet sogar ein Minus von sechs bis sieben Prozent – ein herber Rückschlag für ein vor kurzem noch aufstrebendes Land, das in den vergangenen Jahren teils zweistellige Wachstumsraten erreicht hat. Noch im Oktober hatte Premierministerin Julia Timoschenko öffentlich behauptet, die Finanzkrise betreffe die ukrainische Volkswirtschaft nicht. Tatsächlich erwischt die Krise das Land besonders hart, weil die politische Führung dringend nötige Strukturreformen versäumt hat.

Seit der orangenen Revolution im Dezember 2004, als nach tagelangen Demonstrationen in Kiew das autoritäre Kutschma-Regime weggefegt wurde, lähmen anhaltende Machtkämpfe die Politik. Jedes Jahr gab es seitdem entweder Parlamentsneuwahlen oder Regierungsumbildungen. Persönliche Antipathien zwischen Premier Timoschenko und Präsident Viktor Juschtschenko machen das Exekutiv-Tandem zuweilen handlungsunfähig. Die Folge ist eine konzeptlose, oftmals verkehrte Wirtschaftspolitik, die auch deutsche Investoren zunehmend frustriert. Sie haben allein wegen der drastischen und blitzschnellen Abwertung der Landeswährung Griwna in den letzten Monaten herbe Umsatzeinbußen hinnehmen müssen und kommen wegen der Unterkapitalisierung im Finanzsystem kaum an Kredite.

„Den Unternehmen der Metall- und Chemiebranche stehen noch sehr viel schwierigere Zeiten bevor“, fürchtet Anna Derewjanko, die als Geschäftsführerin der European Business Association Lobbying für ausländische Investoren betreibt. „Viele Marktteilnehmer sind nicht rechtzeitig zu moderner Technologie übergegangen und erweisen sich in der Krise als nicht wettbewerbsfähig.“ Allerdings, moniert sie, habe es nie wirklich Anreize für Unternehmen gegeben, überhaupt Geld in eine Modernisierung der Produktion zu stecken.

Lange Zeit zahlten die Stahlhersteller Pfennigbeträge für Strom und Gas. Nun, da die Preise explodieren und die staatliche Subventionierung zurückgeschraubt wird, verursachen die energiefressenden Hochöfen der Stahlindustrie höhere Kosten als ihr überdimensionierter Personalbestand. Überdies, so Derewjanko, habe die Regierung bis heute die grassierende Korruption nicht in den Griff bekommen, das schwerfällig Justizsystem nicht reformiert, die komplizierte Produktzertifizierung nicht geändert, die hohen Steuersätze nicht reduziert und die hohen Hürden beim Landerwerb für Ausländer nicht beseitigt. Vor vier Jahren, als der Zauber der „orangenen Revolution“ noch über dem Land lag, begann die Regierung freiwillig das Regelwerk der Europäischen Union einzuführen. Damals träumten Juschtschenko und Timoschenko gemeinsam vom EU-Beitritt. Doch dieser Elan ist im Dschungel des politischen Systems auf der Strecke geblieben.

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Vitalij Ostaptschuk hat dieses Jahr in der Ukraine noch gar nichts verkauft. Der Kiewer leitet den Vertrieb des Münchner Mittelständlers F.X. Meiller im GUS-Raum. Die traditionsreiche Maschinenbaufirma macht ihren Umsatz mit hydraulischen Komponenten für Kipplaster – und ist somit in hohem Maße von der Baukonjunktur abhängig. Doch die Bauindustrie ist in der Ukraine kaum noch wahrnehmbar. Selbst wer sich noch einen Lastwagen leisten möchte, könnte ihn kaum mehr bezahlen. Die Zinsen auf Kredite, Leasing- oder Finanzierungsverträge sind in exorbitante Höhen geklettert. Trotzdem hält Ostaptschuk durch: „In meiner Firma versteht man sehr wohl, dass wir auf den osteuropäischen Märkten präsent sein müssen.“ Wer jetzt die Flinte ins Korn werfe, überlasse einen potenziellen Wachstumsmarkt der Konkurrenz. Deswegen wird er noch in diesem Jahr eine Vertriebsrepräsentanz in Kiew eröffnen – selbst wenn er vorerst keine Kipper verkauft.

Aufträge von Investoren, die gerade jetzt wie F.X. Meiller eine Repräsentanz aufbauen möchten, bekommt Sven Henniger vom Beratungsunternehmen Ukraine Consulting derzeit eher selten. Trotzdem hat er gut zu tun. An einem Tag, meint der Direktor, kämen oft fünf Anfragen von potenziellen Neukunden. Die einen wollen sich verkleinern, andere die Buchhaltung auslagern, viele wollen ihr Rechnungswesen durchforsten lassen. „Insbesondere jetzt, da die Währungskurse stark schwanken und Umsätze einbrechen“, begründet Henniger, „muss man seine Zahlungsströme im Griff haben.“

Politischer Grabenkrieg in der Ukraine

Die ordnende Hand ist momentan die von Ceyla Pazarbasioglu, der Ökonomie-Professorin vom IWF. Sie macht diese Woche in Kiew einen großen Kassensturz und prüft, ob die Regierung auch alle Auflagen für die Vergabe des Notkredits im Herbst eingehalten hat. Dazu zählt die Freigabe des Wechselkurses, die Weitergabe der Gaspreise an die Bevölkerung, ein Verbot zur Erhöhung der Sozialstandards, Steuersenkungen und ein ausgeglichenes Budget. Wenn die Ukrainer sich nicht dran halten, steht die zweite Tranche in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar auf der Kippe. Bislang hat die Regierung die meisten Kriterien weit verfehlt.

Zudem tobt wieder ein schmutziger Grabenkrieg: Das Timoschenko-Lager versucht seit Wochen Wladimir Stelmach abzusetzen, den Präsidenten der Nationalbank und Juschtschenko-Anhänger. Er widersetzt sich dem Willen der Regierung, das Rekorddefizit im Haushalt durch die Erhöhung der Geldmenge zu finanzieren. Der massive politische Einfluss auf die eigentlich unabhängige Zentralbank, die ständigen Spannungen in den politischen Lagern, die von vielen favorisierte Wirtschaftspolitik mit der Brechstange – das sind Dinge, die weder dem IWF gefallen, noch der Europäischen Union, der die Ukrainer ja eines Tages beitreten wollen.

Zum Glück wird die IWF-Mission in dieser Woche nur die Währungspolitik der letzten Wochen überprüfen, die ganz im Sinne der Währungshüter gewesen sein dürfte. Das Budget knöpfen sich die Gläubiger im Frühjahr vor. Für Timoschenko und Juschtschenko bedeutet das ein wenig Karenzzeit, um ihr Chaos in Ordnung zu bringen und zu einer stimmigen Wirtschaftspolitik überzugehen. Der Druck ist groß, denn beide wissen: Nichts wäre für die ukrainische Wirtschaft fataler als wenn die Finanzaufseherin vom IWF den Daumen senkt.

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