OSZE-Konferenz in Berlin Frank-Walter Steinmeier wagt den Neustart mit Russland

Seit Willy Brandt vertraut die SPD darauf, dass sich Russland per Handel zum Partner wandelt – ein Konzept, das zuletzt als „Modernisierungspartnerschaft“ scheiterte. Jetzt macht Steinmeier einen neuen Anlauf und hofft, dass Russland mitspielt.

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Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) reicht Russland die Hand Quelle: ZB

Es gab am Morgen einen Feueralarm, das Auswärtige Amt wurde evakuiert. Doch als die Wirtschaftskonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beginnt, sitzt der „weiße Elefant“ immer noch im prunkvollen Weltsaal – und wird prominent ignoriert. Es geht um Russland, dem (neben der Türkei) derzeit schwierigsten „Partner“ der Deutschen.

Und so tanzt auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lange Zeit um das imaginäre Fabelwesen herum, das viele Parteifreunde gern mit Samthandschuhen anfassen. Der deutsche Chef-Diplomat erwähnt Russland erst am Ende seiner Rede knapp. Er verkneift sich offene Kritik am Kreml, dessen Krim-Annexion die europäische Sicherheitsarchitektur erschütterte und dessen Separatisten weiter Krieg in der Ost-Ukraine führen. Die daraufhin verhängten Sanktionen kommentiert Steinmeier mit keinem Wort.

Vernetzung von Lissabon bis Wladiwostok

Heute ist kein Tag der Kritik, die Wirtschaft ist ja im Hause – also reicht Steinmeier den Russen die Hand: Er wirbt er für eine neue „Konnektivität“, also die stärkere ökonomische Vernetzung von Lissabon bis Wladiwostok, die zu Wohlstand für alle führe. Unternehmer seien die Treiber dieses Prozesses. Man wolle hören, welche Ideen sie haben und wo sie die Hindernisse sehen. Geschätzte 400 Geschäftsleute sind gekommen.

Es ist ein kluger Schachzug, die Wirtschaft stärker in den OSZE-Rahmen einzubinden. Die Organisation, der Deutschland dieses Jahr vorsteht, war zuletzt ein überfüllter politischer Debattierklub, dessen Arbeit wenig Einfluss hatte, nicht auf die Sicherheit und nicht auf die Zusammenarbeit in Europa.

Wenn sich die OSZE den Wirtschaftsthemen widmet, vergrößert sich die Interessen-Schnittmenge der 57 Teilnehmerstaaten. Politisch mögen die heillos zerstritten sein, aber Geschäfte machen wollen sie alle, auch Russland. Sinnvoll scheint da auch die Einbindung der Chinesen, deren pragmatische Wirtschaftspolitik sogar den Russen Respekt abnötigt.

Russland auf der Welle des Hurra-Patriotismus

Das Konzept der „ökonomischen Konnektivität“ folgt der Logik des „Wandel durch Handel“, ein Dogma, das die Sozialdemokraten seit der Ostpolitik von Willy Brandt auf Osteuropas Nachthimmel projizieren wie Batmans Fledermaus-Logo. Dem liegt die Annahme zu Grunde, das autoritäre Russland würde sich wie einst die Sowjetunion durch wirtschaftlichen Austausch zu einem verlässlichen Partner wandeln.

„Konnektivität“ ist die konzeptionelle Neuauflage der „Modernisierungspartnerschaft“ aus Steinmeiers erster Amtszeit (2005 bis 2009). Die scheiterte spätestens 2012, als Wladimir Putin erneut im Kreml das Ruder übernahm und sein Land unbeeindruckt in Richtung Autoritarismus steuerte.

von Florian Willershausen, Gregor Peter Schmitz

Im Kern will Steinmeier die Russen also bei ihren Interessen packen, den wirtschaftlichen Interessen. Das Problem ist, dass Russland (anders als Deutschland) nicht nur wirtschaftlichen Interessen folgt, sondern auch geopolitischen – und diese letztlich der russischen Innenpolitik dienen.

Die Krim-Annexion etwa löste in Russland eine solche Welle des Hurra-Patriotismus aus, dass sich kaum wer mehr über die Stagnation beklagte. Das imperiale Gefühl, Russland biete dem vermeintlich feindseligen Westen die Stirn, lässt die Russen vergessen, dass ihre Wirtschaftskrise die Folge verschleppter Wirtschaftsreformen ist.

Insgesamt löst also auch diese durchaus innovative OSZE-Konferenz ein Dilemma der deutschen Russlandpolitik nicht auf: Deutschland kann den Russen immer wieder die Hand ausstrecken – aber die müssen sie auch ergreifen. Und wenn sich die West-Partnerschaft im Inland schlecht vermitteln lässt, weil Kraftmeierei gerade besser ankommt, tun sie das eben nicht. Steinmeier behilft sich, indem er gegenüber Moskau konziliante Töne anschlägt, ohne den Völkerrechtsbruch der Russen zu akzeptieren.

Ob diese Ostpolitik für Fortgeschrittene zur dauerhaften Entspannung führen wird, bleibt offen. Moskau schickte jedenfalls nur einen der vielen stellvertretenden Wirtschaftsminister nach Berlin – und der behauptet ohne Angabe der Quelle, die EU-Sanktionen würden vor allem Europa schaden und dort zwei Millionen Jobs kosten. Stand jetzt, strotzt Russland weiterhin vor Selbstbewusstsein.

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