Parlamentswahl auf der Vulkaninsel Piraten könnten Island erobern

Wird Island zur Pirateninsel? Die Bürger vertrauen der Regierung nicht mehr. Bei den Parlamentswahlen liegen deshalb die Piraten Umfragen zufolge knapp vorn. Für die Partei wäre die Regierung in Reykjavík eine Premiere.

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In Island protestieren Bürger vor dem Parlament in Reykjavik. Bei der Parlamentswahl liegt die Piratenpartei in Umfragen knapp vorne. Quelle: dpa

Reykjavík Wer auf einer abgelegenen Insel lebt, hat vielleicht mehr Mut zu Experimenten. Die Isländer haben das schon einmal bewiesen, als sie den Komiker Jón Gnarr 2010 zum Bürgermeister ihrer Hauptstadt Reykjavík machten. Jetzt sieht es so aus, als würden sich die Menschen in dem 330.000-Einwohner-Land politisch wieder etwas Neues trauen. Vor der vorgezogenen Parlamentswahl am Samstag (29. Oktober) liegt die Piratenpartei in Umfragen knapp vorn - und könnte zum ersten Mal überhaupt in einer Regierung mitmischen.

Dass die Isländer den politischen Institutionen in ihrem Land tief misstrauen, spielt den Piraten in die Karten. Nach Wirtschaftskrise und Banken-Crash 2008 hatten sie gerade erst ein winziges bisschen Vertrauen in ihre Politiker zurückgewonnen. Dann stürzten die „Panama Papers“ die Regierung in eine neue Krise. Der rechtsliberale Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson sollte nicht nur Millionen in einer Offshore-Firma versteckt haben, sondern auch auf der Gläubigerliste der Krisenbanken stehen. Die Isländer kochten vor Wut.

Auf dem Platz vor dem isländischen Parlament, einem quadratischen Fleck Rasen, um den sich Cafés reihen, protestierten sie den ganzen April: die Ärztin, der Taxifahrer, die Verkäuferin. Nie sind in Island mehr Menschen auf die Straße gegangen. An einem Tag kamen mehr als 20.000 mit Trommeln und Trillerpfeifen, schmissen Bananen und Eier auf das Gebäude, das für sie für alles Übel stand: eine korrupte Regierung, ein gebeuteltes Gesundheitssystem, den Stillstand in Sachen neue Verfassung. Noch so ein Experiment der Isländer.

2012 hatten sie in einem Referendum für die von Bürgern erarbeiteten neuen Regeln gestimmt, die ein Zeichen des Neuanfangs nach der Krise sein sollten. Doch das Projekt liegt auf Eis. Es wieder voranzutreiben, ist das wichtigste Vorhaben der Piraten. „Die Verfassung ist ein Schritt dahin, die Dinge transparenter zu gestalten“, sagt die Künstlerin Sara Oskarsson. „Das ist der einzige Weg, wie das Vertrauen in die Politik zurückerlangt werden kann.“

Oskarsson hat ihr Atelier in einem alten Hochschulgebäude, einem abgenutzten Kasten 20 Busminuten südlich von Reykjavík. Die Isländerin ist 2012 aus Schottland zurück auf die Insel gezogen, weil sie will, dass ihre Kinder in der ruhigen Idylle aufwachsen. Doch dann macht sie vieles wütend. Die unterfinanzierten Krankenhäuser, der Opportunismus in der Politik, wo wenige gut vernetzte Isländer viel bestimmen. „Manchmal entschuldigen sie sich nicht einmal und kommen trotzdem damit durch.“

„Die Panama Papers waren einfach nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Oskarsson. Über Facebook gründet sie die Gruppe „Jaeja“, durch die die 35-Jährige zum Gesicht des Aufstands wird. Die Proteste zwingen den Ministerpräsidenten zum Rücktritt, die Neuwahlen werden um ein halbes Jahr vorgezogen. Reform ist das Zauberwort im Wahlkampf.

Sieben Parteien könnten es laut Umfragen ins Parlament schaffen - mehr als je zuvor. Doch voraussichtlich können keine zwei Parteien eine Regierung stellen, wie es die Isländer seit Jahrzehnten gewohnt sind. Auch mit Minderheitsregierungen haben die Inselbewohner so gut wie keine Erfahrung. Die meisten glauben, dass Island künftig von einer Mitte-Links-Koalition aus drei bis vier Parteien regiert wird.

Obwohl auch die Piraten nicht mehr so stark da stehen wie noch zu Beginn des Jahres, könnten sie die Anzahl ihrer Sitze im Parlament nach jüngsten Umfragen verfünffachen. Um eine Mehrheit zu erreichen, hat die Partei um Birgitta Jónsdóttir die anderen Oppositionsparteien kurz vor knapp zu Gesprächen zusammengetrommelt. „Wir sind gewillt, den Ministerpräsidenten zu stellen“, sagt Jónsdóttir. Der Journalist Thordur Snaer Juliusson glaubt aber nicht, dass künftig ein Pirat an der Spitze der Republik steht. „Sie haben Leute, die im Vordergrund stehen“, sagt er. „Aber sie definieren sich als flache Organisation ohne Hierarchien.“

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