Parlamentswahl im Krieg Demokratie-Farce in Syrien

Millionen sind schon geflüchtet, heute lässt Diktator Assad sein verbliebenes Rest-Volk über ein neues Parlament abstimmen. Die Wahl wird zur Farce mitten im Krieg, denn von Frieden ist das Land weit entfernt.

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Damaskus steht vor der Parlamentswahl – eine Chance auf Veränderungen birgt sie jedoch nicht. Quelle: AP

Noch in der Nacht zum Dienstag ist ein russischer Mi-28 Militärhubschrauber nahe der Großstadt Homs abgestürzt und hat damit erneut deutlich gemacht, dass von einem Frieden in Syrien nicht die Rede sein kann. Auch um die Industriestadt Aleppo intensivieren sich seit Tage wieder die Kämpfe – trotz des vereinbarten Waffenstillstandes.

Dabei stünden nach US-Angaben vor allem wieder Rebellengruppen im Zielfeuer, für die der Waffenstillstand eigentlich gelte. Darüber beschwerte sich US-Außenminister John Kerry telefonisch bei seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Dennoch lässt Diktator Bashar al-Assad sein im Land verbliebenes Rumpf-Volk an diesem Mittwoch ein neues Parlament wählen.

Die Millionen vor seiner Camarilla und der Terrorbande des „Islamischen Staates“ (IS) geflüchteter Syrer können nicht an die Wahlurnen. Und auch in den vom IS besetzten Teilen des Landes und den Rebellengebieten kann Assads Baath-Einheitspartei die Urnen gar nicht erst aufstellen lassen. Am Ende wird die herrschende Baath-Partei wieder die klare Mehrheit im 250 Abgeordnete zählenden Parlament haben, das ohnehin zumeist die Vorgaben der Staatsführung nur abnickt.

Denn Regimekritiker wie der einstige Unternehmer Riad Seif wurden von der Geheimpolizei ungeachtet ihres Schutzes als Abgeordnete verfolgt: „Ich war damals Abgeordneter, und Assad ließ mich ins Gefängnis werfen, meine Immunität wurde einfach ignoriert“, berichtet Seif, der später mit Hilfe der Vereinten Nationen aus Syrien herausgeholt werden konnte wegen schwerer Krankheit, dem Handelsblatt. „Zuvor schon haben sie mir alles genommen, meine Fabriken, mein Geschäft. Ich habe alles verloren, saß fünf Jahre im Gefängnis.“

Das Vergehen des Textilfabrikanten, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Syrien für Adidas produzierte: „Als wir 2011 in Damaskus mit friedlichen Demonstrationen begannen, wollten wir von Assad Reformen. Es waren so viele Menschen auf den Straßen, eine echte Revolution. Aber statt wenigstens eine zaghafte Öffnung zu beginnen, antwortete Assad mit Gewalt“, erzählt der 1946 in Damaskus geborene Anführer der liberalen syrischen Opposition, der heute in Berlin und Istanbul lebt.

„Während ich im Mai 2011 erneut festgenommen wurde, entließ Assad hunderte Verbrecher und Extremisten. Er hat damit den Islamischen Staat und die islamistische Al Nusra-Front gestärkt, um die politische Opposition zu vernichten. Aber wir Syrer wollen keine islamischen Fundamentalisten. Wir wollen Demokratie und Freiheit.“


Bürde für die Friedensgespräche

Darauf werden Seif und die anderen Syrer noch lange warten müssen. Denn die Opposition lehnt die Wahl am Mittwoch als „Farce“ ab. Selbst die vom Regime in Syrien geduldete Opposition ruft zu einem Wahlboykott auf. Der angesetzte Urnengang sei der Versuch der Assad-Regierung, eine politische Lösung für den Bürgerkrieg zum Scheitern zu bringen, sagte Hassan Abd al-Asim, Vorsitzender des Oppositionsbündnisses Nationales Koordinierungskomitee.

Zudem hat es einen sehr auffälligen „Kandidatenschwund“ gegeben: Hatten sich anfangs etwa 11.000 Syrer um ein Abgeordnetenmandat beworben, so finden sich inzwischen nur noch 3500 Anwerber für einen Parlamentssitz auf den Stimmzetteln. Das sei eine normale Angelegenheit, meinte der Chef der Wahlkommission, Hischam al-Schaar, lakonisch dazu. Viele hätten aufgegeben, da sie für die Wahl ungeeignet seien oder chancenlos.

Die Abstimmung belastet zusätzlich die Friedensgespräche in Genf, bei der – vereinbart von unter anderen den USA, Russland, Deutschland – die syrische Regierung und die Opposition eine politische Lösung für den seit über fünf Jahren tobenden Bürgerkrieg suchen sollen. Von Mittwoch an soll dazu der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura zunächst mit Vertretern der Opposition sprechen. Die Regierungsdelegation will wegen der Assad-Wahlshow erst am Freitag dazukommen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sieht in den Genfer Gesprächen „zum ersten Mal seit fünf Jahren einen Hoffnungsschimmer, dass ein Ende der Gewalt möglich ist“, sagte der SPD-Politiker kürzlich zum fünften Jahrestag des Beginns des syrischen Bürgerkrieges. „Was vor fünf Jahren als friedlicher Protest gegen Korruption und Gewaltherrschaft begann, hat sich – angefacht von religiösem Hass und unerbittlichem Ringen um regionale Vorherrschaft – nicht nur zu einem der grausamsten sondern auch zum folgenschwersten Konflikt unserer Zeit entwickelt. Über 250.000 Menschen sind gestorben, über zehn Millionen auf der Flucht, Syriens Städte und Kulturschätze in Schutt und Asche. Die Folgen der Krise erleben wir heute auch hierzulande überall in unseren Bahnhöfen, Schulen und Sporthallen“, so Steinmeier.

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