Parteikrieg in Großbritannien Labour droht der Königsmord

Lagerbildung bei britischer Partei: Der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn leidet unter schlechtem Umfragewerten und soll gehen – doch der wehrt sich. Bringt eine Urwahl der Parteibasis die Lösung?

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Die Parteimitglieder können zwischen dem umstrittenen linken Vorsitzenden Jeremy Corbyn (l.) und seinem Herausforderer Owen Smith wählen. Quelle: AFP

London Das Drama, das die britische Labour-Partei derzeit durchleidet, hat in der Tat Seltenheitswert. Seit Monaten steht der Vorsitzende Jeremy Corbyn unter massiven Druck zu gehen. Seine eigenen Abgeordneten sprachen ihm das Misstrauen aus, führende Parteileute werfen ihm Führungs-Unfähigkeit vor – doch der Altlinke Corbyn weigert sich zu gehen. Jetzt soll die Urwahl der Parteibasis den Ausweg bringen – ob das klappt, ist mehr als fraglich. Schon fragen Kommentatoren in London: Kommt die Spaltung der Partei?

Gekämpft wird mit harten Bandagen, erst am Wochenende gießt der neue Londoner Bürgermeister Sadiq Khan Öl ins Feuer. Corbyn habe auf der ganzen Linie versagt, seine Umfragewerte seien unterirdisch, er habe das Vertrauen der Briten verspielt. Tenor der Brutal-Kritik: „Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, so weiterzumachen.“ Das ist eine Aufforderung zum Königsmord – so gehen Linke nur im absoluten Kriegszustand miteinander um. Jetzt sucht die Partei in einer Urwahl die Rettung. Einziger Herausforderer des 67-jährigen Corbyn ist der Abgeordnete und Ex-Schattenminister Owen Smith. Der Mann ist 46 Jahre alt, Labour-Mitglied seit er 16 ist - ansonsten aber ein eher unbeschriebenes Blatt. Aber Smith ist der Einzige, der sich überhaupt traut, gegen den Parteichef anzutreten.

Tatsächlich befindet sich die Partei in einem Dilemma, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Auf der einen Seite: Corbyn steht unter Feuer seiner Abgeordneten – zu links, zu ideologisch, zu unattraktiv für den Wähler finden sie ihn. 172 Parlamentarier sprachen ihm unlängst ganz offiziell das Misstrauen aus – nur 40 stellten sich hinter ihn. Das ist eine Abfuhr, die wohl jeden anderen Chef einer demokratischen, westeuropäischen Partei zum sofortigen Rücktritt bewegen würde. Auf der anderen Seite: Die zumeist links-orientierte Basis steht hinter Corbyn, einschließlich mächtiger Gewerkschaften. Erst vor einem Jahr hatten die Mitglieder ihn bei einer Urabstimmung mit fast 60 Prozent an die Spitze gewählt – nach der herben Schlappe bei den Parlamentswahlen sollte der Altlinke die Partei wieder auf die Erfolgsspur bringen.

Für weite Teile der Partei, die sich nach klaren Werten und Antworten sehnen, gilt der Mann mit dem weißen Bart als aufrechter Linker, Kämpfer für die kleinen Leute - ein waschechter Labour-Mann mit Stallgeruch. Atomwaffengegner, Kriegsgegner, Befürworter von Verstaatlichungen – Corbyn versteht sich als Gegenentwurf zu den politisch glatt gebügelten Abgeordneten, zur angepassten „New Labour“. Die Frage ist nur: Ist das mehrheitsfähig? Erst kürzlich hat Corbyn in London für erhebliches Stirnrunzeln gesorgt. Es ging um das höchst sensible Thema Russland und den Nato-Beistandspakt. Würde er militärisch eingreifen, wenn Moskau einen Nato-Staat angreift, wurde er bei einer Veranstaltung gefragt.

Die Antwort war ein verbaler Eiertanz: „Ich möchte nicht in den Krieg ziehen. Was ich erreichen möchte, ist eine Welt, in der wir nicht in den Krieg ziehen müssen.“ Dann sagte er noch etwas über einen besseren Dialog mit Moskau. Was viele vermissten war ein klares Bekenntnis zum Beistandspakt, Kommentatoren in London waren entsetzt. Bis zum 21. September können die 650.000 Parteimitglieder und Sympathisanten per Briefwahl oder online abstimmen. Am 24. September wird das Ergebnis verkündet. Britische Medien gehen davon aus, dass Corbyn die Wahlen erneut gewinnt. Die Frage ist: Was geschieht dann? 

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