Parteitag in Nordkorea „Hast du Deinen Plan erfüllt, Genosse?“

In Nordkorea findet der erste Kongress der Arbeiterpartei seit 36 Jahren statt. Nordkorea-Experte Rüdiger Frank spricht im Interview über die dortige Wirtschaft, die Arbeitsmotivation und die Erwartungen an den Parteitag.

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„Die Menschen im Dunkeln und immer wieder raten zu lassen, ist eines der Herrschaftsinstrumente des Regimes.“ Quelle:

Tokio Der erste Kongress der nordkoreanischen Arbeiterpartei seit 36 Jahren hat nach Berichten ausländischer Medien am Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit begonnen. Wahrscheinlich – denn so ganz genau wusste das zu Beginn niemand. Es ist nicht einmal bekannt, wie lange der Parteitag dauern soll. Südkoreanische Experten schätzen, drei bis vier Tage. Die Veranstalter hüten die Tagesordnung wie ein Staatsgeheimnis.

Ausländische Journalisten, die am Morgen erst zu einem Punkt in der Nähe des Veranstaltungsorts gebracht worden waren, wurden kurz darauf zum Hotel zurückgekarrt. Statt Gesprächen mit Parteitagsdelegierten gab es dann einen Besuch beim Friseur und einer Kabelfabrik. Auch das staatliche Fernsehen berichtet tagsüber weder live noch in Ausschnitten über den Kongress, berichteten Beobachter.

Von seiner letzten Reise nach Nordkorea ist Rüdiger Frank erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt. Der Ökonom und Ostasienwissenschaftler der Universität Wien ist ein echter Kenner Nordkoreas.

Herr Frank, haben Sie während Ihrer Reise etwas von den Vorbereitungen auf den Parteitag mitbekommen?
Die Vorbereitungen waren nicht zu übersehen. Überall wiesen Plakate auf den Parteitag hin. Und die Menschen waren bis Montag schwer beschäftigt mit der so genannten 70-Tage-Schlacht.

Tage-Schlacht?
Sie ist eine dieser typischen Massenkampagnen in Nordkorea. Zur Vorbereitung auf den Parteitag wurden die Menschen aufgefordert, 70 Tage lang länger und intensiver zu arbeiten. Auf Plakaten gab es einen Countdown mit der Frage: „Hast Du schon Deinen Plan erfüllt, Genosse?“ Die Menschen, die ich getroffen habe, wirkten dementsprechend erschöpft.

Was erwarten die Koreaner von dem Parteitag?
Das ist schwer zu sagen. Sie wussten recht wenig über die Veranstaltung. Selbst das Datum ist ja erst am Mittwoch voriger Woche offiziell bekannt gegeben worden. Die Menschen im Dunkeln und immer wieder raten zu lassen, ist eines der Herrschaftsinstrumente des Regimes. Aber es gibt eine gewisse Erwartungshaltung.

Und die besteht worin?
Die Nordkoreaner sind heutzutage generell vor allem wirtschaftlich orientiert. Die meisten Menschen wollen ihre persönlichen Lebensbedingungen, ihren Wohlstand verbessern. Sie erwarten, dass der Staat ihnen dies 5erleichtert. Es geht ihnen weniger um militärische Sicherheit, sondern um wirtschaftlichen Aufschwung, den man auch wirklich im Alltag spürt. Wird dies nicht geleistet, wären sie wahrscheinlich enttäuscht.


„Es gibt Märkte, Restaurants und Autos“

Es gibt wenig Einblicke in den Alltag der Nordkoreaner. Sie sind dort seit 1991 Stammgast. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Nordkorea hat sich gerade in den letzten Jahren wirklich radikal gewandelt. Es gibt freie Märkte, Kaufhäuser, Restaurants und Autos – das war vor 15 Jahren noch nicht vorstellbar. Auf den Straßen Pjöngjangs sieht man sogar mehr und mehr übergewichtige Menschen. Der Abstand der glänzenden Hauptstadt mit ihren privilegierten Bewohnern zum Rest des Landes wird immer deutlicher. Das ist gewollt – die Menschen sollen von einem Paradies im eigenen Land träumen.

Die Marktwirtschaft blüht also?
Das Land ist sehr auf den Kommerz ausgerichtet. Und das Leben scheint sich wirklich zu verbessern. Eine Mittelschicht entsteht. Man sieht die Ausdifferenzierung der Gesellschaft auch in der Kleidung. Es gibt eine enorme Bautätigkeit in Pjöngjang. Das Ziel ist eine Verschönerung der Hauptstadt, was nach innen und nach außen wirken soll.

Welche Erwartungen haben denn Sie an den Parteitag?
Ich sehe in ihm ein Zeichen für die Konsolidierung von Kim Jong Uns Macht. Es wurde bereits angekündigt, dass große Siege verkündet werden sollen. Insofern ist der Parteitag sicher ein Zeichen für die Stabilisierung des Regimes und die Normalisierung der Lage. Meine kleine Hoffnung ist, dass er das Land auf einen Reformpfad nach chinesischen oder vietnamesischen Vorbild bringt. Auch in China und Vietnam ging die Öffnung von Parteitagen aus. Und eine Konsolidierung der Macht der Partei wäre vielleicht auch in Nordkorea stabilisierend. Immerhin bündelt sich dort die geistige Elite des Landes.

Wie wirken sich bisher die verschärften Sanktionen der Uno aus?
Von den Sanktionen ist bisher noch nichts zu spüren. Im Land gibt es enorm viel Strom. Mehr als früher. Im Gegensatz zu anderen Reisen habe ich keinen einzigen Stromausfall erlebt. Die Supermärkte und die freien Märkte sind voll. Es bilden sich nirgendwo Schlangen, was wiederum auf eine stabile Versorgung der Bevölkerung hinweist. Auch rauchen die Schornsteine der Kohlekraftwerke mehr als früher. Dies ist vielleicht eine Folge davon, dass China weniger Kohle abnimmt und die Nordkoreaner daher mehr selbst verfeuern können.

Wie sieht es in den Märkten aus?
In die freien Märkte kommt man als Ausländer bis auf wenige Ausnahmen nicht rein. Sie können nur spezielle Läden besuchen, in denen mit Devisen bezahlt wird. Die Mehrzahl der Kunden dort sind allerdings Nordkoreaner. Das Angebot ist vielfältig, besonders bei Lebensmittel. Es gibt vor allem ausländische Produkte. Aus Deutschland habe ich Müsli-Riegel von Corny gesehen.

In den vergangenen Wochen las man, dass die Ernte voriges Jahr schlecht ausgefallen ist.
Nordkorea ist immer sehr abhängig vom Niederschlag, der dort jahreszeitlich sehr stark konzentriert ist. Dieses Jahr hat es im Frühjahr zur Aussaat genug geregnet. Dies ist ein guter Start. Die Nordkoreaner müssen nun hoffen, dass es im Sommer nicht zu große Überschwemmungen gibt. Und dann ist da natürlich das Problem der schlechten Lagerung, durch die viele Lebensmittel verderben. Aber man arbeitet daran.

Inwiefern?
Ein wichtiger Wandel sind die riesige Anzahl an Obstbäumen, die in den Aufforstungskampagnen der letzten Jahre gepflanzt wurden. Die sind nicht nur zur Verbesserung der Versorgungslage der Bevölkerung wichtig, sondern auch ein enormer Beitrag gegen die starke Erosion des Bodens. Das Land leidet darunter, dass es großflächig abgeholzt wurde, weil die Menschen Brennholz brauchen. Obstbäume helfen da, denn die Menschen wissen, dass sie Früchte bringen, und fällen sie daher weniger.


„Es gibt genug zu essen“

Aufgrund schlechter Ernte gab es Sorgen um eine Wirtschaftskrise, weil die Landwirtschaft in Nordkorea sehr wichtig ist. Wie ist die wirtschaftliche Lage Ihren Beobachtungen zufolge?
Die wirkliche Lage ist immer schwer zu beurteilen, weil wir keinen Zugang zu makroökonomischen Daten haben. Wir können daher nur auf der Grundlage von Anekdoten und eigenen Beobachtungen verallgemeinern. Sicher ist: Es gibt große regionale Unterschiede. Aber nach meinen Beobachtungen glaube ich, dass die wirtschaftliche Lage und das Regime derzeit relativ stabil sind, jedenfalls stabiler, als man das im Ausland gerne wahrhaben will.

Können Sie einige Beispiele geben?
Ich bin viel auf Umwegen gefahren, also nicht entlang der Protokollstrecke. Und mein Eindruck ist, dass es genug zu essen gibt. Auch die Landwirtschaft scheint nicht zu leiden. Ich habe viele Menschen auf den Feldern und keine vernachlässigten Äcker gesehen, wie man es bei einer Hungersnot hätte. Allerdings kann sich das mit einer katastrophalen Missernte jederzeit ändern. Denn der Überschuss ist gering.

Reisende haben früher berichtet, dass Nordkoreas Bauern ihre Äcker oft mit Ochsen bestellen. Einige sagen, die Landwirtschaft sei weniger stark mechanisiert als in afrikanischen Entwicklungsländern. Was haben Sie gesehen?
Ich habe dieses Mal enorm viele Traktoren auf den Feldern gesehen, sogar mehr Traktoren als Ochsen. Noch letztes Jahr war das anders. Das kann viele Gründe haben. Aber einer ist vielleicht die bessere Versorgung mit Treibstoff. Es gibt mehr Tankstellen als früher. Irgendwie scheinen sie dieses eine Problem gelöst zu haben, jedenfalls zeitweilig.

Wie groß sind Ihre Hoffnungen auf neue, große wirtschaftliche Reforminitiativen?
Ich hoffe sehr darauf, aber man muss realistisch bleiben. In den vergangenen Jahren ist schon einiges geschehen. Die Führung wurde bereits verjüngt. Zudem gibt es freie Märkte und Sonderwirtschaftszonen. Vielleicht wird es eine generelle Aussage zur Entwicklungsrichtung geben. Aber die konkrete Umsetzung wird wahrscheinlich nicht auf dem Parteitag beschlossen, sondern später in der Regierung. Die wirklichen Effekte des Parteitags werden wir daher erst in ein paar Wochen oder Monaten sehen.

Herr Frank, vielen Dank für das Gespräch.

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