PKK-Chef Öcalan Vermittler oder Terrorist?

Der Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK sitzt hinter Gittern – lebenslang. Doch vielleicht könnte Öcalan zur Entspannung der Lage beitragen.

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Viele wollen die Freiheit des PKK-Chefs. Quelle: dpa

Er liest viel, schreibt Bücher und lebt in einer zwölf Quadratmeter großen Zelle, die er jede Woche für fünf Stunden verlassen darf, um mit anderen Häftlingen Sport zu treiben: Abdullah Öcalan, Gründer und immer noch oberster Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), sitzt auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul eine lebenslange Haftstrafe ab. Abgeschnitten von der Außenwelt, verfolgt der 66-Jährige die Nachrichten über den neu aufgeflammten Kurdenkonflikt über Radio und Fernsehen. Doch möglicherweise könnte Öcalan zur Entspannung der Lage beitragen.

Schon unmittelbar nach seiner Festnahme im Jahr 1999 bot sich der PKK-Chef dem türkischen Staat als Verhandlungspartner an. Seit 2012 spricht Öcalan auf Imrali mit Vertretern des Geheimdienstes über Möglichkeiten, den seit mehr als 30 Jahren andauernden Konflikt zwischen der PKK und der Türkei friedlich beizulegen. Ein im Frühjahr 2013 in Kraft getretener Waffenstillstand war das konkreteste Ergebnis dieser Verhandlungen.

Laut der türkischen Regierung gibt es weiterhin Kontakte zwischen Öcalan und Staatsvertretern, doch der PKK-Chef kann seine Anhänger nicht darüber informieren: Seit April ist Öcalan verstummt, denn Ankara lässt keine Besucher mehr zu ihm.

Das ist ein unhaltbarer Zustand, findet Idris Baluken, Parlamentsabgeordneter der Kurdenpartei HDP und Mitglied mehrerer Kurdendelegationen, die Öcalan in den vergangenen Jahren besuchen durften. Als studierter Mediziner sorgt sich Baluken um den Gesundheitszustand des PKK-Chefs, der an Allergien leidet. „Die Regierung sagt, es gehe ihm gut, aber wie können wir sicher sein, dass sie nicht lügt? Wir müssen ihn sehen“, sagte Baluken der Nachrichtenagentur AFP.

Gerüchte, Öcalan sei schwer krank, werde auf Imrali vergiftet oder sei bereits tot, haben seit 1999 mehrmals heftige Proteste der Kurden ausgelöst, die den PKK-Chef nach wie vor als Helden verehren. Als die Verhandlungen zwischen Öcalan und den türkischen Geheimdienstlern gut liefen, erlaubte Ankara die Veröffentlichung neuer Fotos, die Öcalan gut gelaunt und mit inzwischen grauem Schnurrbart zeigten.

Lange hatte Öcalan aus der Zelle raus die Macht

Es geht Kurdenpolitikern wie Baluken aber nicht nur um Öcalans Gesundheit. Sie wollen wissen, was er denkt und wie er die Situation einschätzt. Lange Zeit hatte Öcalan von seiner Zelle aus die Zügel bei der PKK fest in der Hand, denn er konnte über seine Anwälte immer wieder Anweisungen verteilen. Seit April aber hat er keine Möglichkeiten mehr, über Besucher wie seinen Bruder Mehmet oder die HDP-Delegationen mit der Kurdenbewegung zu kommunizieren. „Das hat Öcalans Macht über die Organisation geschwächt·, schrieb Nigar Göksel von dem Politikinstitut International Crisis Group kürzlich.

Seit Ende Juli geht die PKK wieder mit Gewalt gegen türkische Soldaten und Polizisten vor: Mehr als 30 Mitglieder der Sicherheitskräfte wurden seitdem bei Gefechten und Anschlägen getötet. Der türkische Staat antwortet mit Luftangriffen und groß angelegten Militäreinsätzen im Kurdengebiet.

Gareth Jenkins vom privaten Institut Zentralasien-Kaukasus ist sicher, dass Öcalan zu einer neuen Waffenruhe aufrufen würde, wenn er sich öffentlich äußern könnte. „Er weiß, dass er nur dann eine Chance hat, jemals wieder aus dem Gefängnis herauszukommen, wenn es Verhandlungen und eine Waffenruhe gibt“, sagt Jenkins. Die PKK fordert eine Haftentlassung Öcalans, und auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof rügte die Haftbedingungen für den PKK-Chef. Doch eine Entlassung ist für Ankara kein Thema. Man werde dem Rebellenführer wohl kaum eine Villa einrichten, sagt Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Das wäre auch nicht nötig, meint Jenkins. Für Öcalan würde es genügen, „wenn er sich freier äußern könnte, etwa im Fernsehen, und die Leute ihm zuhören“. Aber Sendezeit für den PKK-Chef kommt derzeit für Ankara nicht in Frage.

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