Vor einigen Wochen war ich in Peking, als die chinesische Regierung eine zusammengefasste Vorschau auf ihren dreizehnten Fünfjahresplan veröffentlichte. Um zu verstehen, wo China bis 2020 hinsteuert, ist das ein überaus wichtiges Dokument. Aber Vorsicht: chinesische Fünfjahrespläne sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.
Denn Chinas Wirtschaft ist natürlich nicht mehr das staatseigene und vom Staat gesteuerte System wie vor 30 Jahren, als ich zum ersten Mal das Land besuchte. Damals gab es keine privaten Unternehmen. Und wenn einer, der nicht für den Staat oder einen staatseigenen Betrieb agierte, jemanden zur Arbeit anstellte, machte er sich strafbar. Und heute? Da arbeiten nur noch 20 Prozent der chinesischen Werktätigen für staatseigene Unternehmen. Die Mehrheit der chinesischen Betriebe ist dynamisch, dezentralisiert und in privater Hand. Ausländische Unternehmen sind wichtige Mitspieler im ökonomischen Geschehen.
Dementsprechend kann der neue Fünfjahresplan kein exakter Fahrplan für den weiteren Ausbau der Industrie sein wie früher. Zu lesen ist darin vielmehr, was die chinesische Führung innerhalb eines von der Regierung gesetzten Rahmens zu erreichen hofft. Das Hauptziel ist die allgemeine Verbesserung des Lebensstandards. Peking erstrebt ein gezügeltes, aber immer noch starkes Wachstum, will den Anteil des privaten Konsums am Bruttoinlandsprodukt (BIP) erhöhen und die Qualität der Atemluft und des Trinkwassers verbessern. Die Instrumente dazu sind eine Kombination von Geld- und Haushaltspolitik wie in westlichen Ländern, vom Staat finanzierte Entwicklung der Infrastruktur und neue Bestimmungen zum Beispiel in der Umweltpolitik.
Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum
Seit Jahren schießen die Immobilienpreise in Chinas Großstädten in ungeahnte Höhen - seit Monaten mehren sich jedoch Zeichen für einen Kollaps.
Neben den trägen Staatsbanken hat sich in China ein großer Markt von nicht-registrierten Geldinstituten etabliert, die der Staat bislang nicht kontrollieren kann.
Banken haben ohne genaue Prüfung Firmen immense Kredite für unproduktive und verschwenderische Investitionen gegeben.
Mit Subventionen der Regierung haben viele Branchen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut, beispielsweise die Solarindustrie. Aber sie werden ihre Produkte nicht los.
Chinas Wirtschaft hängt vom Export ab. Geraten wichtige Abnehmerländer in Krisen, hat auch China Probleme.
China ist ein relativ armes Land
Eines der Schlüsselziele steht schon seit 2010 fest: die Verdopplung des Bruttoinlandsprodukts und der individuellen Realeinkommen bis 2020. Die chinesische Regierung teilt jetzt offiziell mit, dass hierfür das BIP im kommenden Jahrfünft um 6,5 Prozent pro Jahr steigen muss. China ist heute immer noch ein relativ armes Land, das BIP pro Kopf beträgt ungefähr ein Viertel des entsprechenden Wertes für die USA. Da erscheint auch eine derart hohe Wachstumsrate nicht unrealistisch.
Viele Beobachter betrachten die offiziellen chinesischen BIP-Daten mit Skepsis und zweifeln auch an der Fähigkeit des Landes, ein solches Wachstum aufrecht zu erhalten. Ihre Haltung speist sich aus ganz verschiedenen Nachrichten in jüngster Zeit, die auf schwache Produktionszahlen in verschiedenen Branchen hinweisen. Es gibt Schlagzeilen über verminderte Industrieproduktion, über den sinkende Exportzahlen für verschiedene Waren, auch über Betriebsschließungen in einigen Branchen.
Das sind die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt
Während Deutschland im Vorjahr noch auf Rang sechs lag, schafft es die Bundesrepublik in diesem Jahr nur noch auf den zehnten Platz. Der mitteleuropäische Staat steht 2015 vor vielen Herausforderungen. Dazu gehört der Druck, die Energiewende zu meistern, die digitale Transformation der Industrie voranzutreiben und private und öffentliche Investitionen zu fördern.
Bauen kann Deutschland auf seine hoch qualifizierten Arbeitskräfte und eine Politik der Stabilität und Vorhersehbarkeit.
Schweden fällt im Vergleich zu 2014 um vier Ränge von Platz fünf auf Platz neun. Das nordeuropäische Königreich kann besonders mit qualifizierten Arbeitskräften, den stabilen politischen Verhältnissen, einem wirksamen Rechtssystem und einem starken Fokus auf Forschung und Entwicklung glänzen. Auch das Bildungsniveau ist sehr hoch und die Infrastruktur sehr verlässlich.
Auch Dänemark konnte sich im Vergleich zum Vorjahr verbessern, von Platz neun geht es hoch auf Platz acht. Gut schneidet das nordeuropäische Königreich bei Managementpraktiken, Gesundheit und Umwelt sowie Arbeitsstandards ab. Auf dem ersten Rang landet Dänemark in der Kategorie der Regierungseffizienz gleich fünf Mal, denn es zeichnet sich nicht nur durch eine besonders große Rechtstaatlichkeit aus, sondern auch dadurch, dass Bestechung und Korruption kaum eine Chance haben.
Norwegen kann im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von drei Plätzen verzeichnen und landet damit auf dem siebten Platz. Die skandinavische Halbinsel kann vor allem mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aufwarten, mit denen sie im internationalen Vergleich auf Platz eins landet. Weitere Faktoren, mit denen Norwegen punkten kann, sind im Bereich der Regierungseffizienz zu finden. Chancengleichheit, Transparenz sowie Rechtstaatlichkeit sind nur einige der besonders effektiven Maßnahmen der öffentlichen Hand.
Für Luxemburg ging es von Platz elf im Jahr 2014 hoch auf Platz sechs. Sehr gut schneidet das Großherzogtum im Bereich der politischen Stabilität, der wettbewerbsfähigen Besteuerung, des unternehmerfreundlichen Umfeldes und der qualifizierten Arbeitskräfte ab.
Kanada hat es in diesem Jahr auf Platz fünf geschafft. Im Vorjahr landete der nordamerikanische Staat noch auf Platz sieben des IMD World Competitiveness Ranking. Die gute Platzierung hat Kanada vor allem der Stabilität und Vorhersehbarkeit in der Politik, dem hohen Bildungsniveau, qualifizierten Arbeitskräften und einem wirksamen Rechtssystem zu verdanken. Ganz gut schneidet Kanada auch aufgrund einer unternehmerfreundlichen Umgebung und einer offenen und positiven Haltung ab.
Der vierte Platz geht in diesem Jahr an die Schweiz. Unternehmen aus aller Welt wissen vor allem die sehr gute Infrastruktur des kleinen Alpenstaates zu schätzen. Die hohe Bildung und der Umweltschutz landen gar im Vergleich zu 2014 nicht mehr nur auf Platz drei, sondern gleich auf der Eins. Auch die robuste Wirtschaft, Arbeitsstandards, geringe Entlassungs- sowie Kapitalkosten sind im internationalen Vergleich so gut wie unschlagbar.
Unter die ersten drei schafft es in diesem - wie auch schon im vergangenen Jahr - der Insel- und Stadtstaat Singapur. Besonders punkten konnte das asiatische Land bei Unternehmen in diesem Jahr mit seinem institutionellen Rahmen, der im weltweiten Vergleich auf Rang eins landet. Außerdem liegt Singapur bei der technologischen Infrastruktur sowie der Bildung ganz weit vorne.
Platz zwei geht an die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong. Im Vergleich zum Vorjahr hat die chinesische Metropole zwei Plätze gut gemacht. Unternehmen aus aller Welt schätzen Hongkong insbesondere aufgrund der betriebswirtschaftlichen Gesetzgebung, der Managementpraktiken, der unternehmerischen Einstellungen und Werte und der technologischen Infrastruktur. Ganz gut steht Hongkong auch bei internationalen Investitionen, der Fiskalpolitik und bei den Betriebsfinanzen da.
Die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Welt sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Das hat das IMD World Competitiveness Center in seiner aktuellen Vergleichsstudie bekannt gegeben.
Besonders attraktiv finden Firmen in den USA - laut Ranking - die dynamische Wirtschaft (66,2 Prozent), den guten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten (55,1 Prozent), den starken Fokus auf Forschung und Entwicklung (49,3 Prozent) sowie das unternehmensfreundliche Umfeld (43,4 Prozent).
Punkten können die USA zudem als attraktiver Forschungsstandort. Nachholbedarf gibt es im Bereich der Schulbildung.
Aber auch wenn ich mich nicht rühmen kann, ein Experte für chinesische Wirtschaftsstatistik zu sein, scheinen mir diese Berichte doch eine ebenso natürliche wie irreführende Folge der bewussten Absicht der Staatsführung zu sein, dem Wirtschaftssystem eine neue Orientierung zu geben: vom Ausbau der Industrie und Steigerung des Exports hin zu Dienstleistungen und mehr privatem Verbrauch im Inland. Chinesische Wirtschaftsexperten betonen den Boom ihres Dienstleistungssektors: Der sei stark genug, um das auf fünf Prozent oder noch weniger reduzierte industrielle Wachstum so auszugleichen, dass sich die derzeitige gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate von etwa sieben Prozent ergebe.
6,5 Prozent Wachstum wird zur Herausforderung für China
Doch selbst wenn das mit den heutigen sieben Prozent stimmt, wird das Ziel von jährlich 6,5 Prozent in den kommenden fünf Jahren zur Herausforderung, aus mindestens vier Gründen:
Erst einmal bedeutet der Übergang von der Schwerindustrie zu den Dienstleistungen, dass der einzelne Beschäftigte erst einmal weniger erwirtschaftet als bisher. Es bedeutet weniger Kontrollmöglichkeiten für die Regierung in Peking.
Gleichzeitig absorbieren die dringend notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Umwelt – bessere Atemluft und sauberes Trinkwasser – Ressourcen und bremsen das Wachstum.
Und die Kampagne von Präsident Xi Jinping gegen die Korruption hat die Nebenwirkung, staatliche Entscheidungen und damit die Verwirklichung neuer Projekte zu verzögern.
Zitate von Xi Jinping
"Wagt zu träumen und arbeitet hart, damit der Traum wahr wird!"
"Wir verbreiten den Sozialismus mit chinesischen Merkmalen!"
"Chinas Traum ist der Traum von einer schönen Umwelt!"
"Von Chinas Traum sollen alle Nationen profitieren!"
"Wir sollten eine offene Weltwirtschaft errichten!"
Am wichtigsten aber ist die Demographie. Die Zahl der Chinesen im arbeitsfähigen Alter steigt nicht mehr, Folge von 35 Jahren, in denen den meisten Ehepaaren verboten war, mehr als ein Kind zu haben. Dass die Regierung vor kurzem diese Ein-Kind-Politik durch eine Zwei-Kinder-Begrenzung ersetzt hat, kann sich erst in annähernd zwei Jahrzehnten auf den Arbeitsmarkt auswirken. Bis dahin lässt sich die Zahl der produktiven Arbeitskräfte in China nur erhöhen, wenn weiter viele Leute die wenig produktive Landwirtschaft aufgeben und in den Städten zu arbeiten beginnen.
Abbau des Hukou-Systems
Die chinesische Regierung denkt darum über verschiedene Maßnahmen zur weiteren Urbanisierung nach. Dazu könnte der Bau mehrerer neuer Millionenstädte gehören, die einen Teil der heute noch 600 Millionen Landbewohner aufnehmen könnten. Dazu dürfte auch der Abbau des sogenannten Hukou-Systems der Wohngenehmigungen gehören: Danach verlieren heute noch viele Chinesen vom Land nach der Abwanderung in die Stadt das Recht auf umfassende Versorgung im Krankheitsfall und auf Schulbildung für ihre Kinder.
Ein weiterer Politikwechsel zur Förderung der Verstädterung ist sinnvoll: Bauern müssen das Recht erhalten, ihren Landbesitz zu einem realistischen Marktpreis frei zu verkaufen, so dass ihre Neigung steigt, das Geld zu kassieren und umzuziehen. In der Stadt wiederum würde das Angebot von Mietwohnungen nach westlichem Muster Familien ohne nennenswertes Geldvermögen oder Unterstützung durch Verwandte erlauben, in vernünftige Wohnungen zu ziehen, die man in den großen chinesischen Städten bisher käuflich erwerben muss.
Das ist ein ganzes Bündel politischer Maßnahmen. Nicht jede davon muss in den kommenden fünf Jahren auch gelingen. Aber wenn es mit einigen von ihnen gut funktioniert, sind die 6,5 Prozent Wachstum kein utopisches Ziel.