Präsident des Kosovo „Ich fürchte keine neue Flüchtlingswelle“

Hashim Thaci, Präsident des Kosovo, spricht im Interview über Flüchtlinge und das Problem der Schlepper auf dem Balkan. Zudem hat er hohen Erwartungen an Deutschland und die politische Führung der EU.

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Kosovos Präsident verspricht, solidarisch mit den Flüchtlingen zu sein. Quelle: Reuters

Der frühere Außenminister Hashim Thaci ist seit 2016 Präsident des bitterarmen Kosovo. Der einstige Anführer der kosovarischen Miliz UCK, dem in der Vergangenheit Verwicklungen in die organisierte Kriminalität vorgeworfen wurden, hat sich zum proeuropäischen Staatsmann gewandelt. Der 48-Jährige sucht die Aussöhnung mit dem Nachbarn des ehemaligen Jugoslawiens und setzt auf eine enge Partnerschaft mit den USA. Doch durch die nationalistische Opposition und die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung steht er innenpolitisch unter Druck

Herr Präsident Thaci, ein Jahr nach der Schließung der Balkan-Route stauen sich Tausende von Flüchtlingen. Muss die EU für die vergessenen Flüchtlinge auf dem Balkan mehr tun?
Meine Bürger waren selbst Flüchtlinge. Wir müssen alle sehr viel mehr zusammenarbeiten um das Flüchtlingsproblem zu lösen. Der Kosovo wird solidarisch sein. Nur zusammen mit allen Kräften werden wie die Herausforderungen meistern können. Das werden wir aber nicht mit Mauern, sondern mit Solidarität und gegenseitigen Verständnis schaffen. Wir sollten uns davor hüten, in einer rassistischen Art und Weise mit dem Flüchtlingsproblem umzugehen.

Wie groß ist das Problem des Menschenschmuggels auf dem Balkan?
Kosovo ist nicht länger Teil des illegalen Menschenschmuggels. Wir werden aber mit allen Nachbarländern zusammen arbeiten, damit sich solche Dinge wie Menschenschmuggel nicht ereignen. Wir müssen auch realistisch sein: Angesichts der enormen Flüchtlingswelle wird es natürlich Schlupflöcher geben. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Schlepper immer neue Räume finden. Alle unserer Sicherheitskräfte – von der Polizei bis zum Geheimdienst  - arbeiten, um Menschenhandel, aber auch den Grenzübertritt von Terroristen zu verhindern.

Eines ihrer großen Ziele ist die Reisefreiheit für die Bürger des Kosovo, die für die Einreise in die Europäische Union noch als einer der wenigen Staaten in Europa ein Visum brauchen. Wird die lange ersehnte Visa-Liberalisierung im Jahr 2017 kommen?

Kosovo hat alle Kriterien und Bedingungen der EU für die Abschaffung der Visapflicht erfüllt. Es liegt nun ausschließlich an den EU-Mitgliedsländern, endlich grünes Licht für die Visa-Liberalisierung zu geben und die Bürger des Kosovo nicht weiter zu isolieren. Unglücklicherweise gibt es aber keine klare Vorstellung in der EU-Führung über die Zukunft des West-Balkans.  

Was sind die Konsequenzen, wenn sich die EU doch nicht zu einer Visa-Liberalisierung für den Kosovo durchringt?
Es ist die letzte Möglichkeit für Brüssel, eine positive Entscheidung für unser Land zu treffen. Jedes anderes Ergebnis der EU schafft Raum für Ideologien, die nicht proeuropäisch und proatlantisch sind.

Muss sich Europa auf eine erneute illegale Flüchtlingswelle aus dem Kosovo gefasst machen, wenn die Visapflicht nicht abgeschafft wird?
Kosovo ist kein Flüchtlingsland. Wir arbeiten noch immer am Prozess, zurückgekehrte Asylbewerber aus der Europäischen Union wieder in unsere Gesellschaft zu integrieren. Ich fürchte keine neue Flüchtlingswelle, sondern vielmehr Ideologien im Kosovo und im gesamten West-Balkan, die gegen den Westen gerichtet sind.

Fühlen Sie sich von Europa alleine gelassen?
Die Spannungen zwischen Kosovo und Serbien, die wir gesehen haben, sind ein direktes Resultat für die Verspätungen des West-Balkan-Prozesses, welche die EU verschuldet hat. Ich sehe keine klare Führung und keinen Plan in Brüssel. Das hat negative Auswirkungen für unsere Region. Es vergrößert die Unzufriedenheit in der Bevölkerung sowie den Nationalismus und den Hass zwischen den Ethnien. Es fördert die Unzufriedenheit mit der Europäischen Union.

Welche Rolle spielt Deutschland?
Deutschland und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in den vergangenen Jahren eine immens wichtige Rolle zum Wohl des Kosovo und des West-Balkans gespielt.

Was sind ihre Erwartungen an die Bundesregierung?
Sie muss auf Brüssel mehr Druck ausüben, damit die Integration und die Zukunftsfähigkeit auf dem West-Balkan vorankommen.

Wie viele ihrer Bürger sind überhaupt noch von Europa begeistert?
Wir sind voll bewusst, dass sich die EU verändert hat. Heute ist die EU eine andere als vor der Brexit-Entscheidung. Die Welt verändert sich, doch die Verspätungen der EU in unserer Region verändern den West-Balkan. Die Bürger vertrauen daher vor allem auf sich selbst. Die Länder der Region konzentrieren sich darauf, sich selbst zu festigen, da die EU sich hermetisch dem West-Balkan und Kosovo verschließt.

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