Präsidentschaftswahlen Ägypten droht der wirtschaftliche Kollaps

Nach dem Sturz von Husni Mubarak wählen die Ägypter einen neuen Präsidenten. Im Wahlkampf wagte keiner der vielen Kandidaten, den drohenden ökonomischen Kollaps anzusprechen.

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Die ägyptischen Präsidentschaftskandidaten Amr Moussa (rechts) und Abdel Moneim Abol Fotouh Quelle: REUTERS

Kairo, Alexandria, die Badeorte am Roten Meer und die archäologischen Ausgrabungsstätten am Nil: Alles Orte, wo sich Reisende sicher aufhalten können, vermeldet das deutsche Auswärtige Amt. Klingt eigentlich ganz gut, weil der Rest Ägyptens noch nie viele Europäer angelockt hat. Liest der potenzielle Tourist oder Geschäftsreisende die offiziellen Reisehinweise weiter, wird ihm allerdings „dringend empfohlen, Menschenansammlungen und Demonstrationen weiträumig zu meiden“ – als ob so etwas in der Millionenstadt Kairo oder an den Hafenanlagen der Nildampfer überhaupt möglich wäre.

Die deutschen Diplomaten sprechen die Warnung „insbesondere im Lichte der anstehenden Präsidentschaftswahlen“ aus und beschreiben so schon das Dilemma des künftigen Präsidenten: Er soll die Führung eines Landes am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruches übernehmen. Eine Aufgabe, für die keiner der aussichtsreichen Bewerber wirklich qualifiziert ist.

Das gilt sicher für Amr Moussa, einen heute 75-jährigen früheren Außenminister. Zehn Jahre diente er einst dem inzwischen gestürzten Diktator Mubarak als Minister. In dieser Zeit verstand er es, mit öffentlichen Hasstiraden gegen den ungeliebten Nachbarn Israel Popularität zu gewinnen und gleichzeitig für fast freundschaftliche Arbeitsbeziehungen zu den Israelis zu sorgen. Eine solche Raffinesse ist politisch sicher nützlich, hilft aber wenig bei der Lösung der riesigen Probleme des Landes.

Die Entscheidung über die Präsidentschaft fällt wahrscheinlich zwischen Moussa und dem Arzt Abdel Moneim Aboul Fotouh. Der 60-jährige Arzt hat als aktiver Moslem-Bruder vor der Revolution immer wieder im Gefängnis gesessen, aber inzwischen mit der islamistischen Bewegung der Moslem-Brüder gebrochen. Er gilt als frommer, aber gemäßigter Mann, der sowohl mit den liberalen Revolutionären als auch mit den extremen Salafisten gut kann. Nur dass er von Wirtschaft etwas versteht, hat er nie behauptet.

Keine Änderung in Sicht

In jedem Fall wird die Wahl zu einer Niederlage der Revolutionäre von 2011. Das war eine gebildete Minderheit unter den jungen Ägyptern, erfüllt vom Wunsch nach persönlicher Freiheit und Würde, aber auch nach wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten in einer von den herrschenden Militärs gefesselten Gesellschaft. Verwirklicht wurde nur die Beseitigung des Mannes an der Spitze: Der Ex-Präsident Hosni Mubarak sitzt im Gefängnis, aber seine Generalskollegen regieren das Land weiter. Daran haben die Parlamentswahlen im Winter wenig geändert, und auch die Präsidentschaftswahl am 23. und 24. Mai verheißt nicht viel Gutes.

Im Parlament sind die bis vor gut einem Jahr verbotenen Moslem-Brüder beherrschende Kraft. Die zumeist jugendlichen, gebildeten und liberalen Träger der Revolution von 2011 haben kaum noch politischen Einfluss: In den ländlichen Regionen des Landes, aber auch in den Industriestädten außerhalb der Hauptstadt haben sie kaum Anhänger. Ägypten ist nicht Kairo: Mit Facebook und Twitter ließ sich die Jugend der Hauptstadt mobilisieren, aber weder die verarmten Bauern am Nil noch die Industriearbeiter in den unter Mubarak gebauten Fabriken in der ägyptischen Provinz. Deren Besitzer, sehr häufig Generäle und andere Spezis des alten Regimes, haben nach Möglichkeit ihr Geld ins Ausland geschafft und fast immer anarchische Verhältnisse in ihren Unternehmen hinterlassen.

Wilde Streiks

„Natürlich können wir nicht mehr vernünftig planen“, verrät der Geschäftsführer einer Haushaltswarenfabrik irgendwo am Rand des Suezkanals. In Deutschland, wo er vor Jahren auch studiert hat, ist der Mann angeblich auf Geschäftsreise, vielleicht auch, um sich weit weg von der Heimat nach einer neuen Arbeitsmöglichkeit umzusehen. Namentlich genannt werden möchte er natürlich nicht: „Wenn ich doch noch zurückfahre, möchte ich keine Schwierigkeiten mit den Behörden oder der Gewerkschaft!“ Die ägyptischen Behörden, allen voran die Polizei, sind nach wie vor willfährige Agenten der herrschenden Militärbürokratie und haben mit rechtsstaatlichen Prinzipien wenig im Sinn. Und die Gewerkschaften haben voriges Jahr nach dem Sturz Mubaraks in wilden Streiks Lohnerhöhungen erzwungen, deretwegen kaum eine Chemie- oder Textilfabrik in Ägypten rentabel wirtschaftet.

Nicht, dass sich dadurch der Lebensstandard der Bevölkerung sichtlich verbessert hätte. Eine Inflationsrate von mindestens zwölf Prozent – bei Lebensmitteln sind es deutlich mehr – hat vielmehr die Verarmung beschleunigt.

Wirtschaftlicher Winter

Eine Mutter sitzt mit ihren zwei Kindern vor dem ärmlichen Haus der Familien in Ägypten Quelle: dapd

Nach Joseph Torbey, dem Vorsitzenden der World Union of Arab Bankers, droht der viel gepriesene arabische Frühling zu einem „garstigen wirtschaftlichen Winter“ zu werden. Die Temperatur ist in Kairo inzwischen wieder sommerlich heiß, aber Torbeys Warnung ist im übertragenen Sinn sicherlich richtig.

„Wir haben noch kein deutlich sichtbares Licht am Ende des Tunnels,“ sagt Magda a-Sayyid Kandil vom Egyptian Center for Economic Studies in Kairo, und das ist nach ihren eigenen Daten optimistisch formuliert. Unter Mubarak galten 20 Prozent der Bevölkerung als arm, heute sind es nach den gleichen Kriterien 44 Prozent. Vor der Revolution waren zehn Prozent der Ägypter nach offiziellen Angaben arbeitslos, und auch diese Zahl hat sich schätzungsweise verdoppelt.

Kriselnde Beziehungen

Das Wirtschaftswachstum, 2010 noch bei 5,1 Prozent, ist nach Berechnungen der Ägyptischen Nationalbank 2011 auf 1,2 Prozent zurückgegangen: Pro Kopf ist das bei einem Bevölkerungswachstum von 1,9 Prozent ein deutlicher Rückgang. Wohlhabende Ägypter haben ihr Kapital zumeist ins Ausland gebracht: Ganz offiziell sind die Direktinvestitionen von Ägyptern im Ausland 2011 von 5,4 auf 6,1 Milliarden Dollar gestiegen, und das ist nur ein kleiner Teil des wirklichen Kapitalabflusses. In Gegenrichtung sind die offiziellen ausländischen Direktinvestitionen in Ägypten zwar um 2,6 Milliarden Dollar gestiegen, aber das geht ausschließlich auf das Konto der ölreichen arabischen Staaten am Golf: In Wirklichkeit kriselt es aus politischen Gründen in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Saudi-Arabien und Ägypten, weil die Ölscheichs weder die Generäle im herrschenden Militärrat noch die Moslem-Brüder im Parlament besonders schätzen.

Reserven der Ägyptischen Nationalbank in Fremdwährung Quelle: National Bank of Egypt, Bloomberg

Dabei ist Ägypten heute mehr denn je auf die saudischen Nachbarn jenseits des Roten Meeres angewiesen. 1,7 Millionen Ägypter leben nach Schätzung der Genfer International Organization of Migration in Saudi-Arabien, ihre Gastarbeiter-Überweisungen tragen neben den Einnahmen aus der Verwaltung des Suezkanals wesentlich dazu bei, dass Ägyptens Außenwirtschaftsbilanz nicht völlig zusammenbricht. Weit ist sie nicht mehr davon entfernt: Die Devisenreserven der Bank of Egypt sind vom Januar 2011, als die Revolution ausbrach, bis heute von 36 Milliarden auf 15 Milliarden Dollar zusammengeschmolzen (siehe Grafik). Der Rückgang scheint sich seit Februar oder März zu verlangsamen, weil die Touristenzahlen langsam wieder ansteigen, vor allem in den weit vom politischen Geschehen entfernten Badeorten mit ihren inzwischen im internationalen Vergleich unschlagbar billigen Hotelanlagen. Um 35 Prozent waren die Erlöse aus dem Tourismus 2011 zurückgegangen: katastrophal in einem Land, in dem jeder siebte Arbeitsplatz am Fremdenverkehr hängt.

Wer in einer solchen Situation das Land als Präsident führen will, muss gesundes Selbstvertrauen haben. Oder er hat keine Ahnung von den Problemen, und genau das scheint bei den Präsidentschaftskandidaten der Fall zu sein. Die meisten Ägypter ertragen es mit Gleichmut: entweder, weil sie auch wenig wissen, oder aber, weil sie sicher sind, dass die Generäle aus dem Militärrat sowieso nicht bereit sind, die Kontrolle über Staat und Wirtschaft aufzugeben.

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