Präsidentschaftswahlen in Russland Putin stellt Oppositionskandidatin auf

Wladimir Putin lässt die Wähler über seine Kandidatur zur Wahl im nächsten Jahr im Ungewissen. Stattdessen stellt er jetzt eine polarisierende Oppositionskandidatin auf – an deren Ernsthaftigkeit das Land zweifelt.

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Die ehemalige Moderatorin des russischen Big-Brother-Verschnitts „Dom-2“ hatte Mitte der Woche ihre Bewerbung bekannt gegeben. Quelle: dpa

Moskau Ungewissheit als politisches Stilmittel: Russlands Präsident Wladimir Putin lässt seine Anhänger und Gegner weiter über eine Kandidatur bei der Präsidentenwahl im März 2018 rätseln. Mit Spannung war dazu eigentlich der Auftritt des Kremlchefs vor dem Waldai-Klub erwartet worden, schließlich hatte sein Sprecher Dmitri Peskow mit der Ankündigung, sein Chef werde „etwas sehr Wichtiges sagen“, zuvor die Intrige angeheizt .

Am Ende beschränkten sich Putins Aussagen zum Thema Präsidentschaft aber darauf, dass der nächste Präsident Konkurrenzfähigkeit und Flexibilität Russlands erhöhen müsse und durchaus auch eine Frau sein könne. „Bei uns ist alles möglich“, sagte Putin orakelhaft.
Dass allerdings ausgerechnet das einstige It-Girl Xenia Sobtschak den 65-Jährigen ablösen wird, scheint mehr als unwahrscheinlich. Die ehemalige Moderatorin des russischen Big-Brother-Verschnitts „Dom-2“ hatte Mitte der Woche ihre Bewerbung bekannt gegeben. Als 36-Jährige habe sie nun das Recht zu kandidieren und wolle das auch nutzen, „schon weil ich gegen alle anderen bin, die dieses Recht gewöhnlich beanspruchen“, sagte sie bei der Verkündung ihrer Entscheidung.

Die ewigen Kandidaten Wladimir Schirinowski, Gennadi Sjuganow und Girgori Jawlinski verlören seit Jahrzehnten „freudig“ gegen die jeweiligen Amtsinhaber und auch Putin sei schon seit 18 Jahren an der Macht. Sie wolle nicht, dass ihr einjähriger Sohn irgendwann zwischen diesen Kandidaten wählen müsse, fügte sie hinzu.

Pikant an der Sache ist, dass Sobtschak sich als Oppositionelle präsentiert, ihre Ankündigung aber ausgerechnet nach einem Treffen mit Putin im Kreml traf. Offizieller Anlass des Gesprächs war ein Film über ihren Vater, St. Petersburgs einstigen Bürgermeister Anatoli Sobtschak, der auch als politischer Ziehvater Putins gilt. Xenia Sobtschak betonte, ihre Entscheidung sei bereits vorher gefallen, sie habe Putin nur davon in Kenntnis gesetzt.

Große Chancen werden Sobtschak nicht eingeräumt. Die Mehrheit der Russen steht dem ehemaligen Glamourgirl, das 2012 überraschend zur Protestbewegung überlief, negativ gegenüber – laut dem Politologen Konstantin Kalatschow sogar „äußerst negativ. Die Menschen meinen, dass ihre Teilnahme den Wahlkampf in einen Zirkus und ein Schmierentheater verwandelt“, sagte er.

Selbst innerhalb der Opposition gibt es Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten. Mit ihrem ersten Werbespot, in der sie ihren Antritt ausschließlich als Protest beschrieb und sich als Kandidatin „gegen alle“ positionierte – eine bis 2006 in Russland mögliche Ankreuzvariante für Protestwähler – hat sie diese Skepsis ebenso verschärft wie mit dem kurz darauf folgenden Eingeständnis, dass sie keine Chance auf einen Sieg sieht und auch ohne Programm ins Rennen gehen werde.


Warum sich Geschichte wiederholt

So verstärken sich nur Spekulationen, dass sie vom Kreml selbst als Kandidatin aufgestellt wurde anstelle des unbequemen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, der seit Monaten mit Protestaktionen seine Teilnahme an der Wahl erzwingen will. „Der einzige Sinn hinter der Nominierung Xjuschas [Kosename für Xenia – die Redaktion] ist es, die bittere Pille der Nichtzulassung Nawalnys zu versüßen – so nach dem Motto: „Ihr Liberalen habt doch immer noch einen Kandidat“, kommentierte beispielsweise der frühere Vizeenergieminister Wladimir Milow.

Tatsächlich erteilte der Kreml nach langem Schweigen den Ambitionen Nawalnys nach Bekanntwerden der Kandidatur Sobtschaks eine endgültige Absage. Peskow begründete das Verbot mit einer umstrittenen Vorstrafe des Oppositionellen.
Gewissermaßen wiederholt sich damit Geschichte, denn auch 2012 wurde aus dem liberalen Lager ausgerechnet eine der unbeliebtesten Figuren als Herausforderer Putins zugelassen: Damals durfte Michail Prochorow antreten, der als Oligarch ohnehin eine Reizfigur für viele Russen war – und zudem zuvor nicht durch politische Ambitionen, sondern durch einen Callgirl-Skandal im französischen Courchevel bei seinen Landsleuten Bekanntheit erlangte.

Dass ausgerechnet die als freizügig geltende Sobtschak nun als Feigenblatt herhalten soll, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich sind auch die übrigen Kandidaten offensichtlich keine echten Herausforderer, wenn Putin antritt: Der Nationalpopulist Wladimir Schirinowski (71) hat seit 1991 an fünf Präsidentenwahlen teilgenommen (bestes Ergebnis 2008: 9,35 Prozent), Kommunistenführer Gennadi Sjuganow (73) viermal (bestes Ergebnis 1996: 40,31 Prozent in der Stichwahl gegen Boris Jelzin) und der Altliberale Grigori Jawlinski (65) dreimal (bestes Ergebnis 1996: 7,35 Prozent im ersten Wahlgang).
Keiner dieser Kandidaten kommt laut Umfragen auf zweistellige Zustimmungswerte. Putin hingegen werden vom unabhängigen Lewada-Institut 64 Prozent der Wählerstimmen zugeschrieben. Dass der Amtsinhaber seine erneute Kandidatur herauszögert, wird von politischen Beobachtern als taktisches Manöver gesehen. So kann sich Putin weiterhin als Präsident präsentieren, ohne offiziell in den Wahlkampfmodus wechseln zu müssen.

Neu ist diese Taktik übrigens bei Putin nicht: Bei der Wahl 2004 erklärte er erst drei Monate vor der Abstimmung seine Teilnahme und auch die Rückkehr in den Kreml 2012 wurde erst im Herbst 2011 verkündet. Die meisten russischen Medien erwarten ein Statement des Präsidenten im November, allerdings wird vereinzelt auch darüber spekuliert, dass er sich die Ankündigung für die große Pressekonferenz zum Jahresende aufhebt.

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