Präsidentschaftswahlen Ägypten droht der wirtschaftliche Kollaps

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Wirtschaftlicher Winter

Eine Mutter sitzt mit ihren zwei Kindern vor dem ärmlichen Haus der Familien in Ägypten Quelle: dapd

Nach Joseph Torbey, dem Vorsitzenden der World Union of Arab Bankers, droht der viel gepriesene arabische Frühling zu einem „garstigen wirtschaftlichen Winter“ zu werden. Die Temperatur ist in Kairo inzwischen wieder sommerlich heiß, aber Torbeys Warnung ist im übertragenen Sinn sicherlich richtig.

„Wir haben noch kein deutlich sichtbares Licht am Ende des Tunnels,“ sagt Magda a-Sayyid Kandil vom Egyptian Center for Economic Studies in Kairo, und das ist nach ihren eigenen Daten optimistisch formuliert. Unter Mubarak galten 20 Prozent der Bevölkerung als arm, heute sind es nach den gleichen Kriterien 44 Prozent. Vor der Revolution waren zehn Prozent der Ägypter nach offiziellen Angaben arbeitslos, und auch diese Zahl hat sich schätzungsweise verdoppelt.

Kriselnde Beziehungen

Das Wirtschaftswachstum, 2010 noch bei 5,1 Prozent, ist nach Berechnungen der Ägyptischen Nationalbank 2011 auf 1,2 Prozent zurückgegangen: Pro Kopf ist das bei einem Bevölkerungswachstum von 1,9 Prozent ein deutlicher Rückgang. Wohlhabende Ägypter haben ihr Kapital zumeist ins Ausland gebracht: Ganz offiziell sind die Direktinvestitionen von Ägyptern im Ausland 2011 von 5,4 auf 6,1 Milliarden Dollar gestiegen, und das ist nur ein kleiner Teil des wirklichen Kapitalabflusses. In Gegenrichtung sind die offiziellen ausländischen Direktinvestitionen in Ägypten zwar um 2,6 Milliarden Dollar gestiegen, aber das geht ausschließlich auf das Konto der ölreichen arabischen Staaten am Golf: In Wirklichkeit kriselt es aus politischen Gründen in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Saudi-Arabien und Ägypten, weil die Ölscheichs weder die Generäle im herrschenden Militärrat noch die Moslem-Brüder im Parlament besonders schätzen.

Reserven der Ägyptischen Nationalbank in Fremdwährung Quelle: National Bank of Egypt, Bloomberg

Dabei ist Ägypten heute mehr denn je auf die saudischen Nachbarn jenseits des Roten Meeres angewiesen. 1,7 Millionen Ägypter leben nach Schätzung der Genfer International Organization of Migration in Saudi-Arabien, ihre Gastarbeiter-Überweisungen tragen neben den Einnahmen aus der Verwaltung des Suezkanals wesentlich dazu bei, dass Ägyptens Außenwirtschaftsbilanz nicht völlig zusammenbricht. Weit ist sie nicht mehr davon entfernt: Die Devisenreserven der Bank of Egypt sind vom Januar 2011, als die Revolution ausbrach, bis heute von 36 Milliarden auf 15 Milliarden Dollar zusammengeschmolzen (siehe Grafik). Der Rückgang scheint sich seit Februar oder März zu verlangsamen, weil die Touristenzahlen langsam wieder ansteigen, vor allem in den weit vom politischen Geschehen entfernten Badeorten mit ihren inzwischen im internationalen Vergleich unschlagbar billigen Hotelanlagen. Um 35 Prozent waren die Erlöse aus dem Tourismus 2011 zurückgegangen: katastrophal in einem Land, in dem jeder siebte Arbeitsplatz am Fremdenverkehr hängt.

Wer in einer solchen Situation das Land als Präsident führen will, muss gesundes Selbstvertrauen haben. Oder er hat keine Ahnung von den Problemen, und genau das scheint bei den Präsidentschaftskandidaten der Fall zu sein. Die meisten Ägypter ertragen es mit Gleichmut: entweder, weil sie auch wenig wissen, oder aber, weil sie sicher sind, dass die Generäle aus dem Militärrat sowieso nicht bereit sind, die Kontrolle über Staat und Wirtschaft aufzugeben.

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