Tatsächlich gibt das Ministerium in Peking jeden Tag Direktiven an die Zeitungsmacher aus, über welche Nachrichten groß, welche klein und über welche besser gar nicht berichtet werden solle. Über den 25. Jahrestag des Tiananmen-Massakers zum Beispiel war am 4. Juni 2014 in keiner Zeitung zu lesen. Kaum ein Chinese weiß heute, was damals passiert ist.
An kritischen jungen Journalisten und Redakteuren fehlt es nicht. Viele aber resignieren nach einigen Jahren Berufserfahrung. „Ich bin oft am Verzweifeln“, sagt mir ein chinesischer Kollege Mitte 30, der bei einer auflagenstarken Tageszeitung arbeitet. „Meine Arbeit frustriert mich.“ Schlimmer noch als die Direktiven aus Peking sei die Schere im Kopf.
Die meisten Publikationen kontrolliert die Partei nicht direkt. Wenn aber ein Fehlverhalten im Nachhinein festgestellt wird, erfolgt eine Warnung. Spätestens bei der dritten Warnung kann das Projekt dicht gemacht werden. Journalisten in China wissen: Tabu sind die „drei Ts“: Tibet, Taiwan, Tiananmen. Doch wo genau die rote Linie verläuft, weiß niemand. „Wenn Du ständig darüber nachdenkst, ob du das schreiben kannst oder ob das vielleicht Ärger gibt, funktionierst du irgendwann genauso, wie sie dich haben wollen“, sagt mein chinesischer Kollege. Auch wirtschaftlich ist das ein Problem: Viele Unternehmen aus der Medien-Branche bangen täglich um ihr Fortbestehen.
„The Great Firewall“
Anfangs noch bezweifelte man im Westen, eine Diktatur könne ein derart dezentrales Medium wie das Internet beherrschen. Mittlerweile weiß man: Es geht. Die KP unterhält Heerscharen von jungen Kommentatoren, die Pekings Message im Internet verbreiten. Man nennt sie die „Wu Mao Dang“, die „50-Cent-Armee“, weil sie für jeden Beitrag 0,5 Yuan erhalten. Mittlerweile gibt es für die 50-Cent-Krieger auch ein eigenes Schulungsprogramm. Der Lerninhalt: Wie manipuliere ich Online-Diskussionen im Sinne der KP?
Seit letztem Jahr gilt ein Gesetz: Wer Gerüchte im Internet an mehr als 5000 Menschen verbreitet, macht sich strafbar. Täglich werden zu kritische Blogger verhaftet. Facebook, Youtube, Twitter, Google und zahlreiche ausländische Nachrichten-Websites wie die der „New York Times“, der „Süddeutschen Zeitung“ oder „Bloomberg“ sind innerhalb Chinas ohnehin gesperrt.
Auch im Ausland ist die 50-Cent-Armee aktiv. Wann immer ein China-kritischer Artikel in der deutschen Presse erscheint, zeigt sich alsbald ein Pulk von Kommentatoren, der in Pekings Sinn argumentiert.
Jubel-Meldungen und Hurra-Patriotismus
Lesen Festland-Chinesen kritische Berichte über ihr Land, vermuten sie eine Verschwörung des Westens. Oft höre ich die Frage: „Würdet ihr auch so kritisch über eure eigenen Politiker berichten?“
Meine Antwort: „Wulff“. Oder Guttenberg. Oder Helmut Kohl. Oder eigentlich jeder andere Politiker, der viel Macht hat. Weil es eine Funktion der Presse ist, kritisch gegenüber der Macht zu sein. Die meisten Chinesen verstehen das nicht. Ein Bewusstsein dafür, dass Berichterstattung immer kritische Aspekte beleuchten muss, weil nämlich für all die Jubelmeldungen und den Hurra-Patriotismus die Unternehmen und Regierungen dieser Welt schon selbst genug sorgen, gibt es in China so gut wie nicht. Übel nehmen kann man es ihnen nicht.