Proteste gegen Erdoğan Der kranke Mann am Bosporus

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Erdoğan will auch in der Türkei keine Kompromisse

Diese Volkswirtschaften geben 2050 den Ton an
Skyline Berlin schön Quelle: dpa
Eine Frau verkauft Hülsenfrüchte Quelle: REUTERS
Platz 9: Russland und der IranDank erneut hoher Ölpreise und einer stark steigenden Konsumnachfrage ist das russische BIP im Jahr 2011 laut amtlicher Statistik um 4,3 Prozent gewachsen. Für die kommenden drei Jahre sagen die HSBC-Experten Wachstumsraten in ähnlicher Größenordnung voraus. Sie gehen davon aus, dass Russland bis 2050 durchschnittlich um 3,875 Prozent wächst. Damit würde das Riesenreich in der Liste der größten Volkswirtschaften der Welt von Rang 17 (2010) auf Rang 15 steigen. Ebenfalls eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3,875 Prozent bis 2050 prophezeit die britische Großbank dem Iran. Im Jahr 2011/2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt Schätzungen zufolge circa 480 Milliarden US-Dollar. Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Irans zählen die Öl- und Gasindustrie, petrochemische Industrie, Landwirtschaft, Metallindustrie und Kfz-Industrie. Die Inflationsrate wird von offizieller Seite mit 22,5 Prozent angegeben, tatsächlich liegt sie bei über 30 Prozent. Die Arbeitslosenrate beträgt offiziellen Angaben zufolge 11,8 Prozent. Quelle: dpa-tmn
Ginza-Viertel in Tokio Quelle: dpa
Mexikanische Flagge Quelle: dapd
Copacabana Quelle: AP
Baustelle in Jakarta Quelle: AP

Erdoğan hat die traditionellen islamischen Kräfte in der Türkei wirtschaftsfreundlicher gemacht, aber damit noch nicht europafreundlicher. Er hat ein zunehmend schuldenbasiertes Wirtschaftswachstum, das vielleicht auch ohne ihn entstanden wäre, generiert und er hat eine Türkei geformt, in der die Moderne und ein erzkonservativer, religiöser Traditionalismus systematisch immer unversöhnlicher einander gegenüber stehen.

Erdoğan will auch in der Türkei keinen Kompromiss, sondern den Sieg, den er nach der brutalen Zerschlagung der Proteste inzwischen auch schon verkündet hat. Dass moderne Einkaufszentren und westlicher Konsum, die in der Türkei noch eine Minderheit erreichen, kein geeignetes Mittel sind, die Herzen der Menschen zu erreichen, sieht man überall auf der Welt. Insofern sind Erdoğans Bemühungen Luxustempel neben Gigantmoscheen zu bauen kein faktischer Widerspruch zu seiner Politik der Abgrenzung gegenüber dem Westen.

Und die deutsche Politik muss für sich klären, ob sie das vergleichsweise hemmungslose Hineinregieren Erdoğans in die Bundesrepublik wirklich für verfassungskonform und sachdienlich hält. Auch die privaten, religiös auftretenden Vereinigungen und Strukturen aus der Türkei, die hierzulande ihre politischen Süppchen kochen und den Integrationsprozess oft stören, sind Teil einer fehlgeleiteten Erdoğanschen Politik.

Claudia Roth, Guido Westerwelle und die Schizophrenie der deutschen Politik

Die Schizophrenie der deutschen Politik lässt sich am Beispiel einer Claudia Roth besonders gut demonstrieren: Vom Tränengas der Erdoğanschen Administration gezeichnet, verkündet die Grünen-Politikerin ihre Solidarität mit den Demonstranten, die sie am liebsten alle gern mit einem grünen Parteibuch versehen würde und mäkelt dabei auch ein bisschen gegen Erdoğan. Trotzdem will sie aber ihre irrlichtende Politik mit dem Slogan "Jetzt erst recht - die Türkei muss in die EU", sofort fortsetzen. Das darf man geheuchelte Solidarität mit den Demonstranten nennen.

Westerwelle, der sich abmüht einen mustergültigen Außenminister zu spielen, setzt gerade jetzt darauf,  Erdoğan doch noch bekehren zu wollen, so als wenn das einzige Anliegen der Weltpolitik ausgerechnet jetzt der Beitritt der Türkei in die EU wäre. Das europäische Parlament brauchte gar eine Spezialbeschimpfung von Erdoğan, um eine Türkeireise abzusagen. Die europäische Türkeipolitik benimmt sich wie kollektiv besoffen. Der seit langem geplante Neubeginn der Beitrittsverhandlungen der Türkei in die EU ist, begleitet von wüsten Beschimpfungen der türkischen Regierung, vorerst ausgesetzt worden. Man darf allerdings gespannt sein, ob am kommenden Montag die EU-Außenminister in allerletzter Minute wieder zu Kreuze kriechen und die Beitrittsverhandlungen doch noch aufnehmen.

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