Putin jagt Bodenschätze Die Arktis erobern – mit Luftschiffen

Russland hat abgehobene Visionen: Für mehr als 200 Milliarden Dollar will der Kreml mit einer Zeppelin-Flotte die Arktis erobern. Es geht vor allem um die Öl- und Gasvorräte der Eiswüste – und die militärische Vormacht.

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Noch müssen sich Schiffe mühsam durchs Eis kämpfen – der Kreml will das Problem mit einer Zeppelin-Flotte umgehen. Quelle: dpa

Moskau Als vor neun Jahren die Besatzung des U-Boots Mir-1 in über 4.000 Meter Tiefe eine russische Flagge aus Titan in den Meeresgrund am Nordpol rammte, wurde dies vielerorts als reiner PR-Gag angesehen. Doch Russland meint es mit der Arktis völlig ernst. In Moskau wurde längst erkannt – nicht ohne Zutun des damaligen Expeditionsleiters Artur Tschilingarow, Polarforscher und Duma-Abgeordneter für die Kremlpartei „Einiges Russland“, dass die lebensfeindliche Eiswüste strategisch und wirtschaftlich von größter Bedeutung ist.

Es gibt geologische Schätzungen, dass bis zu 13 Milliarden Tonnen Öl in der Arktis lagern und fast 70 Billionen Kubikmeter Gas. Das wären 30 Prozent der weltweiten Gasvorkommen und immerhin ein Zehntel der globalen Ölreserven. Noch ist die Erschließung aufgrund der Extrembedingungen sehr kostspielig, doch Russland setzt darauf, dass die Förderung durch den Klimawandel künftig einfacher wird.

Schon jetzt hilft die Erwärmung der Arktis Russland bei einem anderen strategisch wichtigen Projekt; der Nordostpassage. Die 6.500 Kilometer lange Route durch das Nordpolarmeer entlang der russischen Küste ist deutlich kürzer als der traditionelle Seeweg zwischen Europa und Asien über den Suez-Kanal. Außerdem lauern im ewigen Eis auch keine Piraten entlang der Strecke. Dafür bietet sie andere Risiken.

Das Treib- und Packeis macht die Durchfahrt gefährlich, früher war die Passage grundsätzlich nur mit schweren Eisbrechern befahrbar. Inzwischen ist sie immerhin für einige Wochen zwischen Juli und Anfang Oktober eisfrei. Und so kommt die Route immer mehr in Mode.

Doch welchen Anspruch hat Russland überhaupt auf die Arktis und bis wohin erstreckt sich das Hoheitsgebiet? Die Fahne unter dem Nordpol reicht als Argument nicht aus, der Mond ist schließlich auch nicht amerikanisch. Und so wird gerade erbittert über Russlands Anrechte gestritten. Vor der UN erhebt das Land Anspruch auf ein gewaltiges Unterwassergebiet weit über die 200-Seemeilen-Grenze hinaus. Insgesamt 1,2 Millionen Quadratkilometer, ein Gebiet mehr als dreimal so groß wie die Bundesrepublik, will sich Russland einverleiben. Die anderen Arktis-Anrainer Dänemark (mit Grönland), Norwegen, Kanada und die USA sind darüber wenig begeistert.


Moskau forciert das Tempo

Der Kreml begründet seinen Anspruch mit geologischen Formationen: Die Mendelejew- und Lomonossow-Rücken, zwei unterseeische Höhenzüge im Nordpolarmeer, seien nur die natürlichen Verlängerungen des russischen Festlands und gehörten damit auch Moskau, so die Argumentation. Eine Arbeitsgruppe der UNO hat sich im August Russlands neue Landforderung angesehen, eine Entscheidung dürfte dazu allerdings nicht so schnell fallen.

Russland setzt daher nicht nur auf Diplomatie, sondern auf die Macht des Faktischen und hat schon damit begonnen, das Gebiet zu erobern. Geradezu märchenhaft mutet ein Plan an, der erst in der vergangenen Woche bekannt wurde: Demnach hat der nationale Sicherheitsrat der Regierung ein futuristisches Projekt zum Bau von Luftschiffen vorgelegt, die die Arktis, Sibirien und Russlands Osten miteinander verbinden sollen. Riesige Zeppeline mit einer Ladefähigkeit von 16 Tonnen und einer Reichweite von bis zu 5.000 Kilometern sollen über Russlands unendlichen Weiten schweben.

Russland will unabhängiger von den teuren Straßen- und Eisenbahnprojekten eine Infrastruktur schaffen, bei der auch die abgelegensten Orte zugänglich werden. Erreichbar werde damit auch „ein neuer sozialer und wirtschaftlicher Standard im Land durch einetiefe Erschließung Sibiriens, des Fernen Ostens und der Arktis“, so der Autor des Konzepts, Alexander Nekipelow, immerhin Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Billig ist Nekipelows Konzept eines „Einigen Eurasiens“ nicht: Auf bis zu 240 Milliarden Dollar schätzen die Verfasser den Bau und die Erhaltung dieser Luftflotte bis zum Jahr 2035.

Dass sich der nationale Sicherheitsrat mit dem Konzept befasst, ist kein Zufall. Die Arktis sieht man in Russland auch militärisch als wichtigen Vorposten. 2009 hat Russland die Aufstellung von Arktis-Streitkräften beschlossen. Nun geht der Aufbau von Stützpunkten in die entscheidende Phase. Auf sechs Inseln werden Basen gebaut. An einigen Standorten, wie der Wrangel-Insel, am Kap Schmidt und auf den Neusibirischen Inseln, sind schon Soldaten stationiert.

Nun forciert Moskau das Tempo: Zehn Schiffe hat das Verteidigungsministerium beim Aufbau der Stützpunkte im Einsatz. Nach neuesten Planungen sollen sie in diesem Jahr 300.000 Tonnen Güter in die Arktis bringen. Das ist das Doppelte von dem, was 2014/15 insgesamt an Materialien und Ausrüstung geliefert wurde. Sollte das Luftschiff-Konzept durchgehen, könnte sich die bis 2020 geplante Fertigstellung noch beschleunigen.

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